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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 16 in der NFL

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 16 in der NFL.
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2. Was zeigt uns diese Saison in puncto Roster Building?

Wir kommen im NFL-Kalender langsam aber sicher in den Teil des Jahres, in dem Roster-Building mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt. Nicht nur mit Blick auf die anstehende Offseason - auch wenn ultimativ die Frage danach, wie die Lions und Texans ihren Umbruch angehen dann die praktische Umsetzung dieser Diskussionen bedeuten kann -, sondern auch, was den NFL-Kalender selbst angeht.

Denn wenn die Playoffs starten, ist auch die Zeit für Zwischenfazits gekommen - manche mit mehr, andere mit weniger Substanz dahinter. "Die besten Rushing-Teams sind in den Playoffs - so viel zur Dominanz des Passing Games!", war einer der wilderen Takes aus der jüngeren Vergangenheit. Aber ein gewisses Maß an Big-Picture-Analyse bietet sich hier fraglos an, auch wenn man in der NFL mit der Problematik der kleinen Sample Size während einer Saison immer aufpassen muss.

Ich denke, ein wichtiger Punkt hierbei - und daran muss ich mich selbst regelmäßig erinnern - ist, dass man nicht im Vakuum analysiert. Bestimmte Teams haben bestimmte Ausgangssituationen, und die Fragen sollten dementsprechend in erster Linie sein: Was machen sie daraus? Was hätten sie daraus machen können? Und was im Ergebnis ihrer Handlung ist vielleicht auf andere Teams und andere Situationen anwendbar?

Ein wenig hatte ich diese Diskussion letzte Woche schon geführt und im Vorfeld zum Cardinals-Colts-Spiel hier und da mal angedeutet, weil die beiden Teams perfekte Beispiele für extrem unterschiedliche Ausgangslagen sind und in ihrer Entwicklung auch in der Folge an sehr verschiedenen Punkten ihrer Entwicklung angekommen sind.

Die Colts als Musterbeispiel für Stabilität

Ich halte es für sinnvoll, hier in Fenstern von drei bis vier Jahren zu denken. Das ist ein realistisches Fenster, um Umbrüche zu analysieren, mit Rücksicht darauf, wie lange ein Team braucht, um sich an einen neuen Head Coach zu gewöhnen, um den Kader umzubauen, und so weiter.

Frank Reich übernahm die Colts 2018, Kliff Kingsbury die Cardinals ein Jahr später. Im ersten Jahr unter Reich schafften die Colts als erst drittes Team überhaupt nach einem 1-5-Start noch die Playoffs. Das Team schien bereit für den nächsten Schritt - doch dann trat überraschend Andrew Luck zurück.

Diese riesige Lücke versuchte Indianapolis anschließend mit Jacoby Brissett, Philip Rivers und jetzt Carson Wentz zu schließen. Um die Quarterback-Auswahl soll es hier aber nicht gehen, denn der Knackpunkt war, dass dieses Team um Spieler wie T.Y. Hilton, Quenton Nelson (2018er Draft-Klasse), Ryan Kelly (2016), Braden Smith (2018), Darius Leonard (2018), Mark Glowinski (Neuzugang 2017) und Kenny Moore (Neuzugang 2017) ein wahnsinnig stabiles Grundgerüst gebaut hatte.

Das wurde dann später mit DeForest Buckner, Jonathan Taylor, Michael Pittman und Julian Blackmon unter anderem erweitert, aber der Kern dieses Teams war bereit, um mit Andrew Luck ein neues Fenster zu prägen - und plötzlich war der Fixpunkt in diesem Konstrukt weg. Das limitiert das mögliche Ceiling, also das Potenzial nach ganz oben, empfindlich; aber es ändert nichts daran, dass das Fundament sehr stabil ist. Das macht das Team unheimlich robust und gibt den Colts dank Reichs Coaching einen immens hohen Floor.

Die Colts sind dahingehend ähnlich konstruiert wie die 49ers und auch die Browns. Alle drei Franchises haben viele Ressourcen in die Lines auf beiden Seiten des Balls investiert, sie sind eher darauf aus, Spiele zu kontrollieren statt zu dominieren. Und alle drei sind schematisch offensiv sehr in sich schlüssig, weshalb diese Teams viele Spiele gewinnen können, wenn der Quarterback die Rolle des Game Managers gut umsetzt.

Der Lauf der 49ers war dafür das beste Beispiel - wie auch die Niederlage am Donnerstag gegen Tennessee: Denn den konstanten Game Manager zu geben ist alles andere als ein Selbstläufer, der Spielraum für Fehler ist so gering. Und wenn die dann doch kommen, oder die Defense mal einen schwachen Tag hat, oder das Run Game wackelt, dann kann es für diese Teams viel schwieriger sein, Spiele dennoch an sich zu reißen. Ganz generell ist der Spielraum für Fehler einfach viel kleiner.

Das ist auch ein maßgeblicher Grund dafür, dass alle paar Wochen darüber diskutiert wird, ob Garoppolo, Mayfield und Co. nicht doch die Antwort sein können - bevor ihre Limitierungen dann doch wieder zu einem desolaten Spiel und einer Niederlage führen. Die Frage für Teams muss letztlich sein: wie lange will man das in Kauf nehmen? Oder besser: wie groß ist die Bereitschaft, damit zu leben, verglichen mit der Angst, bei einem forcierten Quarterback-Tausch sogar noch abzurutschen?

Arizona: Schnelle Fortschritte, Baustellen bleiben

Die Cardinals auf der anderen Seite waren am Ende der 2018er Saison ohne Frage das schwächste Team in der NFL. Die einzigen "Fundament"-Spieler, die am Ende jener Saison da waren und die man heute noch mit Arizona in Verbindung bringt, waren Budda Baker, D.J. Humphries, Chandler Jones - dessen Zeit in Arizona jetzt aber womöglich abläuft - und Christian Kirk. Das Team stand vor einem radikalen Neustart, welcher dann bekanntermaßen mit neuem Head Coach und neuem Rookie-Quarterback auch erfolgen sollte.

Drei Jahre später würden die meisten diesen Umbruch bis dato wohl als gelungen bezeichnen, aber auffällig ist, dass Arizona einige riesige Schritte machte: Die Verpflichtung von DeAndre Hopkins, die drastische Entwicklung 2020 und 2021 von Spielern wie Baker, Kirk, Byron Murphy, Jalen Thompson und in erster Linie natürlich Kyler Murray. Dann die Verpflichtungen von Rodney Hudson, J.J. Watt und A.J. Green in der vergangenen Offseason.

Arizona startete brandheiß in diese Saison und war das beste Team der ersten Saisonhälfte, was in erster Linie daran lag, dass man an seinem Ceiling, an seinem aktuellen Maximum spielte. Doch diese Rädchen griffen alle ineinander: Die Defense spielte deutlich besser als es das individuelle Talent vermuten lassen würde, weil Arizona hier ultra-aggressiv zu Werke gehen konnte, mit der "Sicherheit", dass die eigene Offense 30 Punkte macht. Die Offense profitierte umgekehrt von den daraus resultierenden Turnovern, und die Schwäche in der Run-Defense fiel weniger ins Gewicht, weil Teams irgendwann vom Run weggehen müssen, wenn sie deutlich hinten liegen.

Doch der zentrale Unterschied zwischen den Colts und den Cardinals und wo deren Teams aktuell stehen liegt darin, dass Arizona mit Blick auf den Kader noch nicht die Stabilität hat. Wo die Colts nicht zu den Höhen in der Lage sind, die Arizona in der ersten Saisonhälfte hatte - die Cardinals haben den Vorteil in puncto Quarterback, Receiving-Gruppe, Explosivität und schematischer Aggressivität in der Defense - profitiert Indianapolis davon, dass eine "Quarterback-freundliche"-Offense in Kombination mit einer schematisch passiveren Defense und guten Lines auf beiden Seiten des Balls eine größere Stabilität mit sich bringt.

Arizona hat innerhalb von drei Jahren den Sprung vom Keller auf das Dach geschafft, muss jetzt aber noch die Zwischengeschosse vernünftig einziehen. Der Kader braucht Tiefe, die im Moment absolut fehlt; aber auch Kingsbury - und das sind die nächsten notwendigen Schritte für Arizona - muss besser darin werden, der Offense einen konstanten Floor zu verschaffen. So wie Frank Reich das in Indianapolis schafft.. Die Colts auf der anderen Seite haben das Fundament gebaut und suchen jetzt nach der Leiter rauf aufs Dach.

Die Philadelphia Eagles als ein Paradebeispiel

Und das bringt uns ins Hier und Jetzt, und wieder bietet sich eine doppelte Betrachtungsweise an: Mit Blick auf die Playoffs geht für mich die Tendenz klar in Richtung der "High-Ceiling"-Teams, gegenüber den "High-Floor"-Teams. Das Team, das 35 Punkte machen kann und 20 davon im letzten Viertel im Zuge einer wilden Aufholjagd, sehe ich hier vorne gegenüber dem Team, das Spiele besser verwalten und kontrollieren kann, dafür aber auf einen gewissen Spielverlauf angewiesen ist. Und ja, mir ist klar, dass das überspitzt formuliert ist; aber wenn ihr ein Beispiel dafür sucht, empfehle ich den Super Bowl zwischen den 49ers und den Chiefs.

Mit Blick auf die Offseason muss man natürlich zwei, drei Schritte zurück machen. Nochmal, kein Team bewegt sich im Vakuum - umso wichtiger ist es deshalb, den Prozess zu bewerten. Wie gehen etwa die Lions mit ihrem Top-5-Pick um? Investiert man weiter in das Gerüst, welches analog zu den Colts auf beiden Seiten des Balls bereits in den jeweiligen Lines entsteht? Wird mehr am Ceiling geschraubt, mit etwa einer Priorität auf Playmaker (Wide Receiver, Corner) oder sogar einen Quarterback? Wie gehen die Jets mit ihrer Situation um, nach einer ohne Frage enttäuschenden Rookie-Saison von Zach Wilson? Was machen die Browns mit Mayfield?

Wie schieben die Dolphins ihren Umbruch, der ziemlich ins Stocken gekommen ist, wieder an? Das, was Miami dieses Jahr spielt, lässt kaum ernsthafte Rückschlüsse oder darauf aufbauende Predictions zu. Die Offense ist so simpel und eindimensional, und das funktioniert. Im Moment. Aber es sagt uns wenig darüber aus, was für ein Quarterback Tua ist oder werden kann, gleichzeitig spielt er solide, abschreiben würde ich ihn nicht. Hier könnte es sinnvoll sein, in den Floor des Teams in Form der Offensive Line zu investieren - das ist in jedem Fall zwingend nötig -, aber sich eventuell auch abzusichern. Vielleicht mit einem Quarterback an Tag zwei des Drafts.

Ich komme dabei auf die Philadelphia Eagles als eine Art Paradebeispiel zurück: Den Shot auf Jalen Hurts in der zweiten Runde des Drafts zu nehmen war ein Geniestreich und unterstreicht den Value darin, die Quarterback-Position auch außerhalb der ersten Runde im Blick zu haben. Dass es so krachend mit Carson Wentz (und Doug Pederson) scheitern würde, hatte vor zwei Jahren sicher niemand vermutet - aber man hat sich abgesichert.

Dieses Spiel trieben die Eagles dann in der vergangenen Offseason eindrucksvoll weiter, und ihre Trades sicherten ihnen drei Erstrunden-Picks im kommenden Draft. Dass Jalen Hurts diese enormen Fortschritte in dieser Saison gezeigt hat, ist natürlich nicht planbar - aber der Punkt ist, selbst wenn das nicht passiert wäre, wäre Philadelphia abgesichert gewesen: Die drei First Rounder hätten in einen Quarterback-Trade oder einen Uptrade für einen Rookie investiert werden können, wenn nötig.

Stattdessen ist man jetzt an einem Punkt, an dem die drei Erstrunden-Picks allesamt investiert werden könnten, um etwas um Jalen Hurts aufzubauen. Oder aber vielleicht sichert man sich mit dem einen oder anderen Downtrade abermals ab, holt sich einen Erstrunden-Pick 2023 - und baut so für den Fall vor, dass Hurts sich doch nicht als langfristige Lösung entpuppt.

Die Art und Weise, wie die Eagles in den letzten beiden Offseasons den Draft und die Quarterback-Position angegangen sind, ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie Teams ohne klaren Superstar-Quarterback auf der Position damit umgehen sollten. Und so kann dann auch der schnelle Turnaround statt der zähe, unbefriedigende weil lange Umbruch mit zu vielen Jahren im Niemandsland der NFL gelingen.