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Taktik-Analyse zum Super Bowl: Die Offense der Buccaneers - Bradys größtes Meisterwerk?

SPOX bringt euch vor dem Super Bowl die Offense der Tampa Bay Buccaneers näher.
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Die vertikale Bucs-Offense: Hoch und weit gibt Sicherheit

Ganz spezifisch ein Spruch prägte Bruce Arians' Zeit als Head Coach der Arizona Cardinals: "No risk it, no biscuit". Nur wer wagt, gewinnt.

Das beschreibt nicht unbedingt Arians' Herangehensweise etwa im In-Game-Coaching; nur die Denver Broncos waren in dieser Saison noch zurückhaltender bei Fourth-Down-Entscheidungen, um ein Beispiel zu nennen. Es beschreibt aber sehr wohl Arians' Herangehensweise im Passspiel.

Wenn man die Quarterbacks der letzten Jahre heraussucht, die den Ball im Schnitt am tiefsten geworfen haben, dann findet man in dieser Saison (Minimum jeweils 300 Pässe) Brady auf Platz 1, 2019 Jameis Winston auf Platz 1, 2016 Carson Palmer auf Platz 4 und 2015 Carson Palmer auf Platz 1. Das waren allesamt die Arians-Quarterbacks der jeweiligen Jahre.

2018 war Arians nach seinem vorübergehenden Rücktritt nicht in der Liga, 2017 hatten die Cardinals aufgrund mehrerer Verletzungen keinen Quarterback mit mehr als 300 Pässen. Dreht man die Anforderung für 2017 aber auf 150 Pässe herunter, hätte Arizona in dem Jahr drei (!) Quarterbacks in der Top-7 in puncto Target-Tiefe gehabt: Drew Stanton auf Platz 2 (158 Pässe), Carson Palmer auf Platz 6 (266) und Blaine Gabbert auf Platz 7 (171). Eine spektakuläre Statistik.

Kurzum: Der Ball fliegt tief, und blickt man jetzt auf die Bucs-Saison zurück, dann ist auch klar, dass sich vermeintliche Kompromisse hier in Grenzen hielten. Hier fand nur bedingt ein "aufeinander zugehen" zwischen Brady und Arians statt - die Offense war nicht ganz so extrem vertikal wie in vergangenen Jahren, aber die Tendenz gerade früh in der Saison ging klar in die Arians-Richtung. Brady spielte im Kern weitestgehend Arians' Offense, mit allen Vor- und Nachteilen.

Super Bowl: Wie attackieren die Buccaneers Defenses tief?

Die Shot-Plays bei Play Action sind das eine Mittel, um Eins-gegen-Eins-Matchups zu kreieren, die Defense auf dem falschen Fuß zu erwischen und den Ball tief zu werfen, wenn die Safeties einen vermeintlichen Run lesen. Das wird man von den Bucs fraglos auch am Sonntag einige Male sehen.

Was generell auffällt, ist, dass die Buccaneers es häufig schaffen, Spieler vertikal zu isolieren, um so tief anzugreifen. Das ist natürlich das Ziel vieler Offenses, bei Arians ist es schon so etwas wie das Markenzeichen.

Dieser Touchdown von Scotty Miller gegen die Vikings ist so ein Beispiel:

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© NFL Gamepass

Minnesota ist in Cover-3, also mit einem tiefen Safety in der Mitte und je einem tiefen Cornerback auf beiden Seiten. Die Idee des Play-Designs hier ist es, die Aufmerksamkeit auf die In-Breaking-Routes zu richten.

Mike Evans und Chris Godwin, genau wie Rob Gronkowski sind die obersten Prioritäten für die Defense, und dementsprechend orientiert sich der tiefe Safety auch zunächst darauf.

Scotty Miller (blau umrandet, unterer Bildrand) - bei dem man nicht den Fehler machen sollte, ihn als Slot-Receiver einzustufen: Miller ist ein Outside Receiver und ein Deep Threat - ist aus Sicht der Defense eher eine untergeordnete Priorität, und in der Theorie wollen die Vikings sicher lieber die Safety-Hilfe gegen Evans und nehmen das Eins-gegen-Eins gegen Miller in Kauf.

Und hier kommt dann die Tiefe dieses Waffenarsenals ins Spiel. In dieser Offense mag Miller nur Option Nummer 4 sein - in vielen anderen wäre er vermutlich das Nummer-2-Target. Miller bekommt so das Eins-gegen-Eins, und weil der Safety zunächst nach vorne arbeitet, kann Miller in seinem Rücken ins Zentrum ziehen. Und das ist irre viel Raum, um ihn von einem Cornerback gegen einen solchen Speedster verteidigen zu lassen.

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© NFL Gamepass

Das Play hier zeigt den spielentscheidenden Touchdown von Antonio Brown im ersten Duell gegen die Atlanta Falcons. Die Bucs gewannen dieses Spiel durch diesen Touchdown nach einer furiosen Aufholjagd mit 31:27.

Die Falcons sind in Man Coverage, und Tampa Bay nutzt das sofort aus, mit einem Shot-Play-Design, das Arians häufiger nutzt.

Die Crossing-Route bekommt einen freien Release, weil der Receiver hinter dem anderen Receiver auf seiner Seite loslaufen darf. Am unteren Bildrand gibt es ein Eins-gegen-Eins-Duell für Mike Evans, was gemeinsam mit der Crossing-Route den einzelnen tiefen Safety eher auf diese Seite zieht.

Das wiederum kreiert sehr viel Raum für Brown am oberen Bildrand. Auch Brown hat so ein Eins-gegen-Eins-Duell und Brady hätte zwar den Crosser ebenfalls offen gehabt, sieht aber das Matchup und gibt seinem Spieler eine Chance auf das Big Play. Auch das ist ein wichtiger Teil dieser Offense.

Brady hatte in der ersten Saisonhälfte ziemliche Probleme mit dem Deep Ball. Bis einschließlich Woche 11 hat er 24 Prozent seiner tiefen Pässe getroffen, für zwei Touchdowns und drei Interceptions.

Seit Woche 12? 48 Prozent der tiefen Pässe angebracht, für zehn Touchdowns (!) und ebenfalls drei Picks. Zwar ging es in diesem Zeitraum auch gegen einige schwächere Defenses, doch Timing und Antizipation scheinen hier zunehmend besser zu passen.

Beide Plays waren gegen eine Single-High-Defense, also nur einen tiefen Safety in der Mitte des Feldes; und sollten die Chiefs anfangen, mehr Spieler in die Box zu schieben, dann muss die Alarmglocke für einen langen Pass angehen.

Aber Kansas City hat in dem Regular-Season-Duell aufgezeigt bekommen, dass Brady auch gegen Split-Safety-Looks - zwei Safeties, die sich den tieferen Bereich des Feldes aufteilen - lange Pässe anbringen kann.

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© NFL Gamepass

Das kann einmal über die Mitte des Feldes passieren, gewissermaßen zwischen den Safeties, wo die Buccaneers mit Sicherheit versuchen werden, die in Coverage anfälligen Chiefs-Linebacker zu attackieren. Einer der Bucs-Tight-Ends könnte hier einige Plays machen.

Oder es kann wie in der Szene hier bei dem Touchdown von Evans funktionieren, indem man einen der beiden tiefen Safeties lange genug beschäftigt, dass doch ein Eins-gegen-Eins entsteht.

Die Bucs bewegen Chris Godwin (grüner Kreis) hier nach innen, das verändert nochmals einige Zuteilungen bei den Chiefs. Der Safety am oberen Bildrand bleibt in der Folge mit den Augen noch kurz länger im Backfield oder bei Godwins Route über die Mitte, wodurch er Evans nicht mehr einholen kann. Und Brady wirft abermals einen exzellenten Pass zum Touchdown.