Ex-Düsseldorf-Boss und DFB-Vorstand Robert Schäfer: "Fußball zerstreitet sich mit Argumentationen, die aus der Zeit gefallen sind"

Robert Schäfer war drei Jahre lang Vorstandsvorsitzender bei Fortuna Düsseldorf.
© imago images / Jan Huebner
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Dass es den meisten Vereinen nicht gelingt, an die Top-Mannschaften der Bundesliga heranzukommen, hat demnach vor allem mit der Verteilung der internationalen Gelder in der Champions und Europa League zu tun?

Schäfer: Ja. Diese Summen sind enorm angestiegen und machen einen riesigen Unterschied, weil man den Vereinen noch einmal so viel gibt, wie sie in einem Jahr Bundesliga erspielen - teils sogar noch mehr. Zu versuchen, das Thema auf die TV-Gelder in Deutschland zu reduzieren, greift zu kurz. Unser bestehendes System in Deutschland hat dazu geführt, dass der gesamte Fußball profitiert hat, da es zu gesteigerten Fernseheinnahmen führte, die allen zu Gute gekommen sind. Vielleicht dem einen mehr, dem anderen weniger - aber sie sind allen zu Guten gekommen. Das ist eine gute Basis, die man gerne in Nuancen verändern kann. Ich schlage beispielsweise vor, den Einsatz von Jugendspielern noch stärken zu belohnen. Das System beizubehalten und die Solidarität zu erhalten ist auf jeden Fall besser als das System zu ändern und die Solidarität zu verlieren.

Hat es Sie denn überrascht, dass so vielen Klubs der wirtschaftliche Kollaps droht?

Schäfer: Nein, denn der Schock über die Auswirkungen von Corona war ja gewissermaßen hausgemacht. Wenn du nämlich nach drei Wochen schon am Ende deiner Liquidität angekommen bist, muss man auch Fragen stellen. Der Fußball hätte schon längst Beschlüsse fassen können. Zum Beispiel, dass für die Zeit nach Corona gewisse Liquiditätsreserven aufgebaut werden müssen. Also Reserven, an die man nicht herankommt, wenn man sich in Anführung nur im Abstiegskampf befindet und eigentlich noch einen Stürmer bräuchte. Damit man eben in einem vergleichbaren Krisenfall zumindest ein paar Monate mehr Zeit hat, um vernünftige Lösungen zu erarbeiten.

Mit welchen Themen müsste sich der Fußball derzeit noch beschäftigen?

Schäfer: Zum Beispiel damit, wie er andere Sportarten unterstützen oder die Förderung von Individualsportlern hochfahren kann. Es gibt ja allein schon genügend Sportler, denen nun die Olympischen Spiele weggebrochen und die damit in wirtschaftliche Schieflagen geraten sind. Ich plädiere dafür, dass sich der Fußball mit derselben Intensität, die er aufgebracht hat, um den Profisport wieder ins Laufen zu bekommen, dafür einsetzt, dass eben auch Amateursport wieder möglich ist. Doch dazu höre ich nichts.

Der finanziell arg gebeutelte FC Schalke 04 liebäugelt aufgrund der Corona-Krise besonders stark mit dem Thema, die Profiabteilung auszugliedern, um an frisches Geld zu kommen. Kann man es sich denn in diesen Zeiten, in denen auch vor Corona die vermeintlich ungezügelte Kommerzialisierung herrschte, überhaupt leisten, weiter ein eingetragener Verein sein zu wollen?

Schäfer: Man muss sich gerade in diesen Zeiten fragen, ob es nicht Sinn ergibt, den eV zu schützen. Wenn Schalke 04 als möglicher Sanierungsfall nicht schnell eine Lösung findet, dann gibt es kein Schalke 04 mehr, sondern ein Schalke 20, weil der Verein neu gegründet werden müsste. Die Ausgliederung war in den 1990er Jahren ein Schutz des Vereins, inzwischen ist es gleichbedeutend mit dem Einstieg von Investoren.

Robert Schäfer: "Es gibt kein Früher mehr, nur noch ein Jetzt"

Wäre es den Fußball-Fans am Ende nicht ohnehin egal, ob ihr Verein ein eV oder eine AG ist, solange man erfolgreich ist?

Schäfer: Fans erwarten von ihrem Klub in erster Linie sportlichen Erfolg. Zudem möge er sich dabei anständig verhalten und bei Themen wie Diversity oder Nachhaltigkeit vielleicht auch Vorbild sein. Wenn ihr Verein nun ausgegliedert wäre und sogar einen strategischen Partner hätte, sich aber weiterhin so vorbildlich verhalten würde, wäre das glaube ich für die Fans in Ordnung. Sie haben vor allem Angst davor, dass jemand von außen kommt und um der Gewinnoptimierung willen keine Rücksicht mehr auf solche Themen nimmt.

Andreas Rettig, einstiger DFL-Geschäftsführer, nennt die 50+1-Regel das letzte Bollwerk gegen die Kommerzialisierung, weil so das Letztbestimmungsrecht bei den Vereinen liegt. Stimmen Sie ihm zu?

Schäfer: Aus meiner Sicht wäre es wichtig nun zu überprüfen, welche Diskussionen wir vor Corona geführt haben und welche wir jetzt führen müssen. Die Vereine stehen mit dem Rücken zur Wand. Der Staat kann nicht alle retten und ist ohnehin dabei, sehr viel Geld auszugeben, um für den Alltag wichtige und daher schützenswerte Dinge wie Kultur und Gastronomie zu erhalten. Jeder, der sich selbst helfen kann, sollte das aus meiner Sicht tun - das gilt erst recht für den Profifußball. Wenn er Möglichkeiten dazu hat, und das Investoren oder Fremdkapital sein könnten, dann ist er verpflichtet, das zu nutzen, bevor er staatliche Hilfe in Anspruch nimmt.

Dazu müsste man aber einige altbekannte Positionen überdenken. Haben Sie das Gefühl, der Fußball verstünde grundsätzlich, in welch großer Krise er sich gerade befindet?

Schäfer: Nein, das habe ich nicht, weil noch die alten Vor-Corona-Diskussionen weitergeführt werden. Allerdings ohne dabei zu merken, dass es keine normale Zeit mehr ist, sondern wir uns in einer neuen Realität befinden. Mir scheint, als denke man, diese Sache sei nur temporär und anschließend geht es irgendwie weiter wie zuvor. Meine tiefe Überzeugung ist: Es gibt kein Früher mehr, sondern nur noch ein Jetzt und die Frage, wie es weitergehen kann. Und das wird fundamental anders sein wie das, was zuvor einmal war.

Kurzum: 50+1 muss aufgeweicht werden?

Schäfer: Ich bin dafür, alles neu zu überdenken. Das geht mir ja genauso, auch ich passe meine Positionen an die neue Realität an. Die Vereine müssen in dieser Krise Lösungen finden, über eine Änderung ihres Geschäftsmodells und neue Einnahmequellen nachdenken. Diese Lösungen kann es freilich auch mit 50+1 geben - das haben die Bayern, der BVB oder Hertha BSC gezeigt. Wenn das aber nicht ausreicht, sind die Klubs meiner Meinung nach vor dem Schritt zur Staatshilfe dazu verpflichtet, auch über die 50+1-Regel nachzudenken. Der Staat hat momentan schlichtweg wichtigere Dinge zu tun.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Hilfe bei Schalke 04, das Ende Juli eine Landesbürgschaft von Nordrhein-Westfalen erhalten hat?

Schäfer: Ich hoffe, der Staat hat in diesem Fall Auflagen erteilt, so dass mögliche erzielte Erlöse zuerst zur Rückführung der Sicherheiten des Staates gehen und es nicht einfach so weitergeht. Dann nämlich würde das Risiko verstaatlicht - und ein verstaatlichter Profifußball wäre ein Unding.