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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 9 in der NFL

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3. Miamis Höhenflug - wie geht es weiter mit Tua?

Mit dem Sieg gegen die Bears marschieren die Miami Dolphins weiter Richtung Playoffs - und dementsprechend werden die Diskussionen um die Offense und ihren Quarterback nicht leiser werden. Eher im Gegenteil: Je näher die Dolphins Richtung Playoffs kommen, desto stärker wird darüber diskutiert, wie weit Miami mit Tua Tagovailoa kommen kann - in dieser Saison, aber auch perspektivisch.

Ich denke - und das sage ich ganz klar in dem Wissen, dass ich selbst bisweilen dazu beitrage - dass wir manchmal in der Analyse die Fokussierung auf den Quarterback reduzieren sollten. Nicht was die grundsätzliche Bedeutung der Position angeht, nicht was den grundsätzlichen Impact der Position angeht, wenn es um die übergreifende Analyse geht, um das Potenzial und das Roster Building eines Teams und dergleichen.

Aber die Fokussierung auf die Position des Quarterbacks hat auch dazu geführt, dass der gesamte Output der Offense im Einzelfall individuell auf den Quarterback übertragen wird.

Ein gutes Beispiel sind Expected Points Added pro Play: Eine sehr gute, eine der besten gar, Statistik, um Offenses generell einzusortieren. Aber ich würde in den meisten Fällen davon abraten, das zu stark direkt als Schlussfolgerung auf die Qualität des Quarterbacks zu übertragen; gute Offenses sind in der NFL mindestens genauso häufig deshalb gut, weil ein sehr guter Play-Caller mit Elite-Waffen schematisch das Maximum herausholt, wie sie es sind, weil ein Elite-Quarterback mögliche Defizite kaschiert.

Die besten Offenses gibt es, wenn beide Punkte zusammenkommen. Die Chiefs waren der goldene Standard dafür in den letzten fünf Jahren, eine Offense, die herausragende Waffen und einen Elite-Play-Caller mit einem Elite-Quarterback kombinierte. Dann bekommt man Offenses, die wirklich schwer zu stoppen sind.

Tua und der Quervergleich zu Jimmy Garoppolo

Doch Offenses, die schwer zu stoppen sind und die Top-10-Zahlen auflegen, kann man auch bekommen, wenn zwei dieser drei Kategorien erfüllt sind - und der Quarterback mehr funktionierender Teil einer funktionierenden Maschinerie ist.

Die 49ers waren unter Shanahan mehrfach das Paradebeispiel dafür: San Franciscos Offense belegte nach Expected Points Added pro Play den sechsten Platz in der vergangenen Saison, und das, obwohl kaum jemand für Jimmy Garoppolo als Top-10-Quarterback argumentieren dürfte.

Wir alle wissen, was Garoppolo ist, was er kann und was er nicht kann, und wie ideal die Umstände sein müssen, damit er überhaupt eine Chance darauf hat, eine Playoff-konkurrenzfähige Offense aufs Feld zu führen. San Francisco investierte viel, um ein Upgrade zu dieser Art Quarterback zu finden.

Die Dolphins in diesem Jahr haben eine Top-10-Offense, mit zwei Receivern, die statistisch auf historischem Kurs sind, und ich antizipiere nicht, dass Miami zeitnah aus dieser Top 10 rausfällt. Die beiden Receiver, Jaylen Waddle und Tyreek Hill, sind zwei der fünf, sechs gefährlichsten Speed-Receiver in der NFL, und wir sehen, wie gut Mike McDaniel darin ist, mit diesen beiden außergewöhnlichen Waffen zusätzlich vorteilhafte Matchups zu kreieren.

Und hier kommt Tua ins Spiel: Seine Accuracy ist gut, die Geschwindigkeit seiner Reads, seines Decision-Makings und seines Releases tragen dazu bei, dass die Offense funktioniert. Diese Eigenschaften tragen die Offense nicht, ich würde nicht einmal so weit gehen, zu sagen, dass es essenzielle Qualitäten sind, um die Offense in die Top 10 zu hieven. Aber sie helfen fraglos dabei, dass die Dolphins eine der gefährlichsten Offenses in der NFL haben.

Tagovailoas Aggressivität und Antizipation sind wichtig

Tua öffnet mit seinem hohen Spieltempo Dinge, die nicht jeder Quarterback öffnen kann, und weil er gegen Zone Coverage regelmäßig Räume antizipieren und den Ball schnell loswerden kann, kann er auch dann, wenn er den Ball nur sehr kurz nach dem Snap wirft, tiefere Räume anspielen. Diese Aggressivität ist wichtig dafür, dass die Offense regelmäßig Chunk Plays rausholen kann.

Tua spielt diszipliniert innerhalb der Offense, und das ist eine sehr gute Eigenschaft. Zu einer Top-10-Offense führt das jedoch nur mit kräftiger Mithilfe. Mit den Räumen, die Hill öffnet. Mit McDaniels auf Motion und Play Action ausgelegter Offense, deren Speed allein dafür sorgt, dass die Dolphins sich kaum mit Man Coverage herumschlagen müssen.

Vielleicht sind die Dolphins in einigen Jahren an einem ähnlichen Punkt, an dem die Niners mit Garoppolo angekommen waren. Denn darauf komme ich mit Tua immer wieder zurück: Dass er ein Quarterback ist, der ein funktionierendes System nicht nur umsetzen, sondern auch besser machen kann. Der aber auch davon abhängig ist, dass System und Mitspieler einen signifikanten Teil tragen können.

Garoppolo und Tua haben stilistisch einige Ähnlichkeiten, vor allem aber in ihrer Bedeutung für die Offense findet man einige Parallelen. So sind auch die Dolphins in der Situation, dass ein Upgrade sicher möglich ist, der Quarterback gleichzeitig aber auch eine ausreichend große Stütze in der Offense ist, dass ihn zu ersetzen keineswegs eine Selbstverständlichkeit wäre.

Oder anders formuliert: Tua spielt gut, und dennoch sieht man selbst in guten Spielen auch das Negative: Der Underthrow früh im Spiel zu Waddle, der Underthrow später, der 4th-Down-Pass - Tua Tagovailoa ist ein guter Quarterback, dessen größte Stärke sein Spieltempo ist und der wenige mentale Fehler macht; das Steelers-Spiel, in dem er gut und gerne drei Interceptions hätte haben müssen, mal ausgeklammert. Aber er ist auch ein Quarterback, bei dem Woche für Woche die gleichen Themen auf der negativen Seite aufkommen.

Die Frage, ob und was man einem solchen Quarterback bezahlt, und inwieweit man um ihn herum etwas aufbaut, ist eine kritische Weichenstellung für eine Franchise.

Dolphins: Wie sieht die Zukunft aus?

Spannend werden diese Überlegungen deshalb auch dahingehend, wenn es darum geht, welche Entscheidungen man jetzt mit dem Kader weiter trifft.

Der Trade für Bradley Chubb, der größte Trade zur diesjährigen Deadline, war ein klarer Fingerzeig dahingehend, wo sich die Dolphins sehen und wie sie ihre weitere Kaderplanung anpeilen. Miami hatte eigentlich zwei Erstrunden-Picks im kommenden Draft - nette Munition, um gegebenenfalls im Quarterback-Markt mitbieten zu können.

Diese beiden Picks sind weg, nach dem Tampering-Skandal in der Offseason sowie jetzt dem Chubb-Trade. Miami ist dabei, einen Kader zusammenzustellen, der sehr schnell sehr Top-heavy werden könnte. Mit teuren Verträgen für Chubb, Xavien Howard, Tyreek Hill, Terron Armstead sowie zeitnah - mutmaßlich - Tua und perspektivisch Jaylen Waddle, während es jetzt gleichzeitig schwieriger wird, junges, günstiges Talent nachzuziehen.

Die Dolphins hatten 2022 keine Picks in Runde eins oder zwei, werden im kommenden Draft nicht in der ersten, der vierten oder der fünften Runde picken und haben 2024 bereits ihre Picks in Runde 3 und Runde 4 abgegeben. Den Effekt davon wird man erst in zwei, drei Jahren spüren - aber er wird kommen. Wir sehen es dieses Jahr bei mehreren Teams.

Je weiter sich ein Kader entwickelt, desto schwieriger ist es, das aktuelle Leistungsniveau zu halten oder gar zu verbessern. Es braucht nicht nur gute Drafts, sondern an irgendeinem Punkt wird der Quarterback unvermeidbare Kader-Defizite kaschieren und Teile des Teams tragen müssen.

Ist Tua die Art Quarterback, bei dem ich bereit wäre, darauf zu setzen, dass er dazu in der Lage ist, und dass es sich in der Folge lohnt, den eingeschlagenen Kurs weiter zu verfolgen? Meine Tendenz geht immer noch in Richtung Nein. Gleichzeitig ist auch klar, dass es für Teams schwierig ist, einen Quarterback aufzugeben, der in einer der gefährlichsten Offenses der Liga spielt.