FC Bayern München: Boateng-Rückkehr wäre ein doppeltes Fehler-Eingeständnis

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Jérôme Boatengs Rückkehr zum FC Bayern München steht unmittelbar bevor - am Sonntag nahm er bereits am Training teil. Aus Sicht vieler Fans ist das moralisch fragwürdig, für den FC Bayern gewissermaßen ein doppeltes Fehler-Eingeständnis und für Boateng ein persönlicher Triumph. Eine Einordnung.

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Vor einigen Wochen ist Jérôme Boateng schon einmal zum FC Bayern zurückgekehrt - damals aber nicht als aktiver Profi, sondern als sogenannte Legende. Bei der Saisoneröffnung in der Allianz Arena Ende Juli spielte der 35-Jährige mit den Münchner Altstars gegen die Artgenossen von Borussia Dortmund. Anlass war das zehnjährige Jubiläum des deutschen Champions-League-Finals von 2013, als Boateng in der Innenverteidigung eine prägende Rolle spielte. Wie einst setzte sich der FC Bayern auch diesmal mit 2:1 durch.

Als Boateng, von 2011 bis 2021 in München unter Vertrag, vorab in einem über soziale Netzwerke verbreiteten Video seine Teilnahme am Spiel verkündete, war ihm aber ein veritabler Shitstorm entgegengeschlagen. Der Grund: Boateng wird vorgeworfen, seine ehemalige Partnerin während eines gemeinsamen Urlaubs 2018 tätlich angegriffen zu haben. Deshalb steckt er in einem langwierigen Rechtsstreit wegen angeblicher Körperverletzung.

Im November 2022 wurde Boateng zu einer Geldstrafe in Höhe von 1,2 Millionen Euro verurteilt. Diese Entscheidung revidierte das Bayerische Oberste Landesgericht zwar vor wenigen Tagen, der Prozess wird nun aber neu aufgerollt. In einem neuen Urteil könnte Boateng womöglich sogar noch härter bestraft werden.

Beim Aufkommen der Rückkehr-Gerüchte am Samstagabend war es wie im Sommer beim Legenden-Spiel: In den sozialen Netzwerken hagelte es Kritik, schnell etablierte sich bei Twitter der Hashtag #KoanBoateng.

Jerome Boateng, Olympique Lyon
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Lyon-Sportdirektor Juninho: Boateng-Transfer "ein Fehler"

Zu den negativen Schlagzeilen abseits des Platzes kamen zuletzt fehlende positive darauf. Tatsächlich erlebte der Weltmeister und zweifache Triple-Sieger seit seinem ablösefreien Wechsel vom FC Bayern zu Olympique Lyon 2021 einen rasanten Abstieg.

War er in der Hinrunde seiner ersten Saison in Frankreich noch gesetzt, nahmen seine Spielzeiten auch aufgrund von Fitnessproblemen bereits in der Rückrunde rapide ab. Dazu kamen angebliche Streitigkeiten mit diversen Mitspielern. Bereits nach nur einem Jahr soll Lyon auf einen Abschied Boatengs gedrängt haben. Angebliches Interesse türkischer Top-Klubs konkretisierte sich aber nicht, trotz Boatengs Avancen scheiterte auch eine Bundesliga-Rückkehr. "Abgeschlossen ist das Thema nicht. Die Bundesliga ist kein No-Go", hatte Boateng damals dem kicker gesagt.

Lyons ehemaliger Sportdirektor bereute unterdessen Boatengs Verpflichtung. "Wir haben alle zusammen einen Fehler gemacht", sagte Juninho bei RMC. Als Grund nannte er auch Boatengs wiederholte Abwesenheit aufgrund des anhaltenden Rechtsstreits. "Er musste mehrmals nach Deutschland. Wir hätten die Dinge auf den Tisch legen und uns fragen sollen, wie viele Reisen er nach Deutschland machen muss." In der vergangenen Saison absolvierte Boateng insgesamt nur 430 Pflichtspielminuten für Lyon, seitdem ist er vereinslos.

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Boateng-Rückkehr wäre doppeltes Fehler-Eingeständnis

Sollte es nun tatsächlich zu einer Rückkehr zum FC Bayern kommen, wäre das aufgrund des anhaltenden Rechtsstreits aus Sicht vieler Fans moralisch zumindest fragwürdig. Vor allem käme es aber auch einem doppelten Fehler-Eingeständnis der Klubführung des FC Bayern gleich. Einerseits, weil sie Boateng einst hat ziehen lassen. Andererseits, weil mit einer jetzigen, äußerst panisch anmutenden Boateng-Rückkehr das Versagen auf dem sommerlichen Transfermarkt nochmal unterstrichen werden würde.

Ein Rückblick: Nach sportlich schwierigen Monaten hatte Trainer Hansi Flick Boateng in der Triple-Saison 2019/20 zu alter Stärke zurückgeführt. Er war in der Innenverteidigung neben David Alaba gesetzt und auch in der darauffolgenden, seiner letzten Spielzeit in München Stammspieler. Boateng selbst hätte seinen 2021 auslaufenden Vertrag gerne verlängert, die damalige Klubführung zeigte aber kein Interesse daran. So zweifelhaft die Entscheidung aus sportlicher Sicht war, so zweifelhaft war auch die Kommunikation.

Bereits zuvor hatten die Bosse des FC Bayern Boateng regelmäßig übertrieben scharf kritisiert. Ob nun Karl-Heinz Rummenigge mit seinem "Back-to-Earth-Appell" 2016. Oder Uli Hoeneß, der dem eigenen Spieler bei der Meisterfeier 2019 nahegelegt hat, er solle sich lieber heute als morgen einen neuen Klub suchen.

Im Herbst 2020 erfuhr Boateng schließlich aus der Bild, dass sein Vertrag nicht verlängert werden soll. "Ich wusste nichts davon, ich war überrascht", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Sportvorstand Hasan Salihamidzic kündigte anschließend zwar eine "faire Entscheidung" an - ehe er im April im Vorfeld eines Champions-League-Spiels gegen Paris Saint-Germain Boatengs Abschied kommunizierte. Angeblich ohne Absprache zwischen ihm, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Rummenigge und Boateng selbst.

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FC Bayern: Die Innenverteidigung als teure Baustelle

Zeitgleich mit Boateng verließ 2021 auch David Alaba ablösefrei den Klub, er wechselte zu Real Madrid. Seitdem ist die Innenverteidigung eine teure Baustelle: Der bereits zuvor für 80 Millionen Euro verpflichtete Lucas Hernández fehlte oft verletzt, ehe er diesen Sommer erfolgreich auf einen Wechsel zu PSG drängte. Für 42,5 Millionen Euro kam Dayot Upamecano, für 67 Millionen Matthijs de Ligt, für 50 Millionen Min-Jae Kim. Vier der sechs teuersten Neuzugänge der Klubgeschichte sind Innenverteidiger

Ein langfristig funktionierendes Pärchen hat sich trotz der hohen Investitionen seit den Abschieden von Boateng und Alaba aber nicht gefunden. In den neun Pflichtspielen der aktuellen Saison kassierte der FC Bayern bereits zwölf Gegentore, nach dem 2:2 gegen RB Leipzig kritisierte Thomas Tuchel Upamecano und Kim. Ausschlag für eine Boateng-Verpflichtung würde nun aber nicht die fehlende Qualität in der Spitze geben, sondern die fehlende Breite.

Mit Hernández, Benjamin Pavard und Josip Stanisic verließen den FC Bayern im Sommer drei potenzielle Innenverteidiger, mit Kim kam aber nur ein neuer. Dazu rückte (das aktuell verletzte) Talent Tarek Buchmann hoch. Probleme waren vorprogrammiert, beim DFB-Pokalspiel am Dienstag gegen Preußen Münster (4:0) zeigten sie sich erstmals mit voller Wucht. Alle vier Kandidaten fielen aus, die Innenverteidigung bildeten Mittelfeldspieler Leon Goretzka und Rechtsverteidiger Noussair Mazraoui.

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Jérôme Boateng: Bayern-Rückkehr wäre persönlicher Triumph

In der Klubführung herrscht offensichtlich Panik, dass eine solche Situation auch in einem sportlich kniffligeren Spiel eintreten könnte. Deshalb wenden sich die Bosse nun an den Mann, den sie einst vergrault haben - wobei mit Salihamidizic eine treibende Kraft der damaligen Entscheidung mittlerweile entlassen ist. Für Boateng würde eine Rückkehr auf die große Bühne nach dem unwürdigen Abgang einem persönlichen Triumph gleichkommen.

Sein Wohnsitz ist in München, in den vergangenen Monaten hielt er sich auch ohne Klub fit und schlug in Hoffnung auf einen Europa-Verbleib sogar ein lukratives Angebot aus Saudi-Arabien aus. Bei seinem Abschied vor zwei Jahren verfügte Boateng zweifelsohne über das nötige Niveau für den FC Bayern, womöglich hätte er es im gewohnten Umfeld und mit regelmäßiger Spielpraxis bis heute gehalten.

Nach den zwei zurückliegenden Spielzeiten erscheint das mittlerweile aber fraglich. Das Risiko eines kurzfristigen, wohl nicht allzu hoch dotierten Vertrages wäre jedoch selbstverständlich gering. Boateng kennt viele Mitspieler, Ansprüche auf Einsatzzeiten dürfte er mit Blick auf seine aktuelle Situation kaum stellen. Bereits im Winter kann der FC Bayern den in der Defensive zu dünn aufgestellten Kader mit zukunftsträchtigen Lösungen verbreitern.

Vor gar nicht allzu langer Zeit suchte der FC Bayern schon einmal panisch nach einem neuen Innenverteidiger: Nachdem sich Anfang 2016 Boateng und Javi Martinez verletzten, kam letztlich der ehemalige Nationalspieler Serdar Tasci von Spartak Moskau. Er spielte anschließend aber nur exakt dreimal für den FC Bayern - Trainer Pep Guardiola setzte in der Innenverteidigung lieber auf Joshua Kimmich.