Adelhardt, der in der Vergangenheit als Draft-Experte unter anderem für die FIVE und basketball.de geschrieben hat und auf seinem Twitter-Account regelmäßig Scouting-Berichte veröffentlicht, erklärt, wieso sich Chet Holmgren vom Rest seines Jahrgangs abhebt, welche Bedenken er bei Paolo Banchero hat, wer vom Turnier am meisten profitieren könnte und wie der Jahrgang insgesamt einzuschätzen ist.
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Herr Adelhardt, fangen wir direkt an der Spitze des Jahrgangs an. Selbst wer die NCAA kaum verfolgt, ist wohl oder übel schon mal über den Namen Chet Holmgren gestolpert. Gerade in einer Zeit, in der große, multitalentierte Spieler in der NBA Trumpf sind, wirkt der Gonzaga-Big als fast schon logischer Top-Pick-Kandidat. Was macht ihn aus?
Torben Adelhardt: Im Prinzip ist Holmgren ein Flügelspieler, der dribbeln, passen und werfen kann - nur im Körper eines 7-Footers. Was ihn abgrenzt von Jungs wie Bol Bol oder Aleksej Pokusevski, mit denen er teilweise verglichen wird, ist die Tatsache, dass er auch defensiv unheimlich gut ist. Er sieht dünn aus, aber es ist falsch, sich zu sehr darauf zu fokussieren: Er hat diese Länge mit über 2,30 m Spannweite, er kann das Pick'n'Roll auf alle erdenklichen Arten verteidigen und er bietet kaum Angriffsfläche. Es ist schon unterhaltsam, regelmäßig versuchen Wings oder andere Bigs, ihn mit der Schulter bis zum Korb zu schieben, aber er ist so agil und beweglich, dass er sie dann trotzdem blockt. Das ist reizvoll, und offensiv kann man ihn auch wie einen Evan Mobley auf der Vier einsetzen: Sein Wurf ist sehr gut, sein Touch in Korbnähe überragend, er trifft jeden Hookshot und jeden Fadeaway. Er kann dribbeln, den Ball im Fastbreak selbst nach vorne bringen. Für mich macht ihn das zum spannendsten Talent, weil er sehr skalierbar ist - er passt quasi in jedes Team, in allen möglichen unterschiedlichen Rollen. Für mich wäre es daher sehr überraschend und auch falsch, wenn er nicht wenigstens in der Top 3 gedraftet wird.
Nachdem der Name Mobley schon gefallen ist - was unterscheidet Holmgren vom letztjährigen Nr.3-Pick und was sind Parallelen?
Adelhardt: Beide bringen diese Flexibilität mit, können offensiv einige ähnliche Sachen bringen und funktionieren sowohl als einzige Bigs als auch als Vierer neben einem klassischen Big. Das macht Mobley in Cleveland, das macht Holmgren in Gonzaga neben Drew Timme. Holmgren ist allerdings ein besserer Werfer, er hat mehr Floorspacer-Potenzial. Mobley wiederum war defensiv einer der mobilsten 7-Footer der vergangenen 15 Jahre am College, da sehe ich Holmgren nicht. Beide verbindet aber die Agilität in lateralen Bewegungen, sie können Drop Coverage spielen, aber auch auf Guards switchen. Man bekommt gegen sie keine Mismatches. Mobley war aber schon das größere Defensiv-Talent.
Klingt eigentlich sehr überzeugend, als Consensus Nr. 1 gilt Holmgren aktuell trotzdem nicht. Wo kommen die Zweifel her?
Adelhardt: Er sieht einfach schmal aus, ich denke, das führt zu einem ästhetischen Vorurteil. Viele fokussieren sich auf seinen Körper und denken immer, dass er sich auf der nächsten Stufe physisch nicht mehr durchsetzen kann - dabei konnte er das bis dato auf jeder Stufe. Seine Schultern sind nicht so breit, was manchmal ein Indikator dafür ist, was jemand noch an Muskelmasse draufpacken kann, siehe Giannis Antetokounmpo. Wobei ich die Fragezeichen da trotzdem nicht in der Defensive sehe, eher offensiv. Man will es auf jeden Fall vermeiden, dass ein großer Spieler von einem gegnerischen Guard verteidigt werden kann und das nicht bestraft - das ist beispielsweise bei Kristaps Porzingis das Dilemma. Wenn du das nicht bestrafen kannst, was hast du dann gewonnen? Da wünsche ich mir bei Holmgren noch eine Entwicklung, auch wenn er ein viel besseres Ballhandling mitbringt als KP. Auch er neigt manchmal dazu, einen Fadeaway zu nehmen, statt seine Vorteile in Korbnähe auszuspielen. Da müsste er noch kräftiger werden, um sich leichtere Abschlüsse kreieren zu können.
Wie wichtig ist ein gutes NCAA Tournament für Holmgrens Draft-Position?
Adelhardt: Gute Frage. Man sollte eigentlich denken, dass die Teams mehr auf das Gesamtpaket als auf die Eindrücke aus dem Turnier achten, aber in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass ein tiefer Run durchaus helfen kann - bei Malachi Richardson oder Shabazz Napier zum Beispiel. Man darf nicht vergessen, wie klein das Zeitfenster für viele Top-Level-Mitarbeiter des Front Office eines NBA-Teams ist, sich mit dem Draft zu beschäftigen. Deswegen spielt March Madness eine große, vielleicht zu große Rolle. Draft-Experte Sam Vecenie von The Athletic sagte vor kurzem, Holmgren könne ein großer Gewinner des Turniers werden - aber ich sehe das anders. Gonzaga hat einen schweren Turnierpfad und wenn sie früh ausscheiden sollten, fühlen sich eher die Kritiker bestätigt. Ich glaube, dass sich dieses Narrativ, dass er nicht für die NBA gemacht ist, verfestigen könnte, wenn er ein schlechtes Spiel erwischt oder früh ausscheidet. Das ist Bullshit, aber es ist eine reale Gefahr.
Wenn man schon einen Schritt weiter geht: Zu welchem der derzeit schlechten NBA-Teams würde Holmgren denn am besten passen?
Adelhardt: Es gibt kein Team, bei dem er nicht reinpasst. Ideal wäre sicherlich Detroit: Es gibt dort den Playmaker mit Cade Cunningham, mit Isaiah Stewart ist außerdem ein Big Man da, der neben Chet gut passen könnte. Orlando wäre auch wahnsinnig, mit dem Kern, den sie jetzt schon haben, vielen langen Wings, die alle dribbeln, passen und schießen können. Auch Wendell Carter Jr. könnte ich mir neben Holmgren vorstellen. Oder in Houston als Weakside-Ringbeschützer neben Alperen Sengün, wenn er dort der Big Man der Zukunft sein soll ... aber man merkt schon: Leute wie Holmgren sind so reizvoll, weil sie überall reinpassen. Welches Team hat keinen Bedarf für Spieler, die den Ring beschützen und vorne für Spacing sorgen? Und das ist bei ihm nur die Basis.
Ist Holmgren die klare Nummer eins des Jahrgangs? Im Prinzip sind es drei Namen, die immer wieder gehandelt werden ...
Adelhardt: Ich hatte eine ganze Weile Jabari Smith an eins, habe das aber vor einiger Zeit geändert und kann mir schwer vorstellen, dass sich das noch einmal ändert. Eher denke ich, dass Holmgren in sein eigenes Tier gehört. Danach kommt für mich Smith, ein weiterer großer Spieler (2,08 m) mit unfassbarem Shooting-Touch. Michael Porter Jr. mit Defense wird als Vergleich oft genannt, das vermittelt für mich ein recht gutes Bild von seinem Spielerprofil. Er und A.J. Griffin bilden für mich das nächste Tier hinter Holmgren.