Schwimmen - Michael Groß im Interview: "Das sah schon rattenscharf aus"

Michael Groß mit Sportreporter Harry Valerien vom ZDF:
© imago images

Der Albatros! Michael Groß (58) ist mehrfacher Olympiasieger und einer der besten deutschen Schwimmer der Geschichte. In einem Cafe in Frankfurt traf SPOX ihn zum Gespräch über seine größten Erfolge, hautenge Anzüge, Tierkostüme und Jörg Wontorras "Flieg, Albatros, flieg!". Außerdem verriet er, was es bedeutet, wenn ein Schwimmer "das Wasser nicht zu fassen bekommt", warum die Wahl zum Sportler des Jahres ein Desaster wurde - und wie er auf ein "unmoralisches Angebot" von Ion Tiriac reagierte.

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Bereits 2015 hat SPOX eine Legenden-Serie abseits von König Fußball veröffentlicht. Zu diesem Anlass wurden ausführliche Interviews mit Andreas Thiel (Handball), Michael Groß (Schwimmen), Frank Busemann (Leichtathletik), Walter Röhrl (Motorsport) und Henry Maske (Boxen) geführt. Wir blicken zurück.

Herr Groß, Sie haben einmal gesagt, dass Sie die meisten Ihrer Ziele nicht erreicht hätten. Sie waren Weltrekord-Halter, mehrfacher Olympiasieger, Sportler des Jahres ... Welche Ziele denn?

Michael Groß: Viele. Zum Beispiel hat man das Ziel, Trainingsbestzeiten zu schwimmen oder gewisse Leistungen zu erreichen. Viele Dinge, die eben nicht in der Zeitung stehen oder keine öffentliche Anerkennung finden, habe ich nicht erreicht. Nur weil man dreimal Olympiasieger wird, ist die Welt ja nicht heile. Und umgekehrt: Nur Olympia als Ziel zu haben, wäre auch ziemlich schade. Dann hätte ich ja nur sechs Tage in meinem sportlichen Leben irgendetwas erreichen können. Auch im normalen Job hat man immer wieder Ziele. Das gibt keinen Orden, niemand schreibt darüber - aber sie bringen große Zufriedenheit. Und manche erreicht man eben nicht. In der Regel weniger als die Hälfte. Wer alle Ziele erreicht, der hat die falschen Ziele.

Sie hatten als Kind ein ganz bestimmtes Ziel: Sie wollten Pilot werden, waren aber acht Zentimeter zu groß für die Ausbildung. Denken Sie daran manchmal wehmütig zurück?

Groß: Nein. Im Leben muss man Dinge, die man nicht ändern kann, auch einfach abhaken. Ich kann meine 2,01 Meter nun einmal nicht ändern - und das Limit für Verkehrspiloten sind 1,93 Meter. Bei mir war es eigentlich fast immer so, dass ich solche Dinge zur Kenntnis nehme, mich vielleicht kurz ärgere, aber dann ist es vorbei. Sonst mache ich mir das Leben einfach unnötig schwer. Ich konzentriere mich lieber auf Dinge, die ich auch beeinflussen kann.

Der Name ist Programm: SPOX-Redakteur Stefan Petri (l.) wird von Michael Groß überragt
Der Name ist Programm: SPOX-Redakteur Stefan Petri (l.) wird von Michael Groß überragt

Beeinflussen konnten Sie Ihre Leistungen im Becken. Dabei gab es zu Beginn einen ganz profanen Grund dafür, dass Sie zum Schwimmen kamen.

Groß: Das war gesundheitlich bedingt. Ich bin sehr schnell gewachsen, also hat sich meine Mutter erkundigt, was man da am besten machen kann. Schwimmen ist der beste Sport für Gelenke und Muskelaufbau, also habe ich das in der Schule gemacht. Über meinen Lehrer bin ich dann mit neun Jahren in einen Verein in Offenbach gekommen und habe dort ganz klein angefangen. Mit zehn kam ich in eine Trainingsgruppe - und so habe ich eben meinen Weg gefunden.

Titel und Erfolge von Michael Groß

WettbewerbGoldSilberBronze
Olympische Spiele321
Weltmeisterschaften553
Europameisterschaften1331

Warum entschieden Sie sich für Freistil und Delfin? Warum nicht Rücken oder Brust?

Groß: Das hat sich so ergeben. Wenn man jung ist, testet man verschiedene Disziplinen aus und schwimmt erstmal alles. Ich war aber auch ein guter Lagenschwimmer, habe über 400 Meter Lagen den Deutschen Rekord gehalten. Es war also nicht so, dass ich völlig unfähig war. Rücken schwimmt zur Entspannung sowieso fast jeder. Wobei Brustschwimmer eher klein sind, weil man dabei zum Teil auch gegen das Wasser arbeitet. Brust ist ja eigentlich eine widersinnige Disziplin, weil man die Beine und Arme unter Wasser nach vorne führt, also quasi einen künstlichen Widerstand erzeugt.

Sie haben Ihre Größe bereits angesprochen. Ist es ein Vorteil im Becken, wenn man richtig hochaufgeschossen ist?

Groß: Nein - die waren ja alle so groß. Beim Turnen sind alle klein, beim Schwimmen sind alle groß. Mittlerweile wieder ein bisschen kleiner wegen Veränderungen der Schwimmtechnik, aber sie sind immer noch nicht klein. Es gibt keinen Zwei-Meter-Turner - das geht einfach nicht. Und es gibt es auch keine 1,60-Schwimmer.

Hilfreich sind aber große Hände und Füße, richtig? Michael Phelps hat Schuhgröße 47,5, bei Ian Thorpe war es sogar Größe 52.

Groß: Es kommt eher auf die Hebel an. Ein Teil davon sind natürlich immer die Hände und Füße, aber bei mir sind die relativ klein im Verhältnis zur Körpergröße. Die Gesamthebel sind entscheidend.

Dafür, dass Sie mit dem Sport verhältnismäßig spät angefangen haben, ging es dann ziemlich schnell in die Weltspitze, oder?

Groß: Es war gewissermaßen ein Zweier-Rhythmus: Mit zwölf Deutsche Jugendmeisterschaften, mit 14 in die Jugendnationalmannschaft, und mit 16 war ich schon bei der Olympiamannschaft. Das war also relativ schnell, wobei das nicht ungewöhnlich ist im Schwimmen. Eigentlich sagt man: Mit 18 muss man vorn dabei sein. Bei den Mädchen sogar noch früher.

Warum ist es eigentlich so, dass die Teenager mit 14, 15 fast aus dem Nichts kommen und bei den Frauen sogar schon Weltrekorde schwimmen?

Groß: Es gibt zwei Gründe. Zum einen spielt die Pubertät eine große Rolle, auch das Gewicht. Franziska van Almsick ist das beste Beispiel: Vor der Pubertät mit 14 war es für sie wesentlich einfacher als dann nach der Pubertät mit 18 oder mit 22, weil sich der Körper einfach verändert. Ein vorpubertärer Körper ist fürs Schwimmen besser geeignet. Das hört sich natürlich irgendwie komisch an, ist aber so, weil man einfach ein spezifisch leichteres Körpergewicht hat.

Und der zweite Grund?

Groß: Der ist vielleicht sogar noch wichtiger: Schwimmen ist eine sehr technische Sportart, eine sehr komplexe Koordinationssportart - und das lernen sie in jungen Jahren wesentlich besser. Versuchen Sie mal, einem 40-Jährigen Schwimmen beizubringen, das geht fast gar nicht. Die Technik ist letztlich mit 16 definiert. Danach macht man noch Feinarbeiten. Das Körperliche kommt beim Schwimmen natürlich auch dazu, ist aber nicht das allein Entscheidende.

Da ist der Sport, im Vergleich etwa zur Leichtathletik, auch noch nicht am Ende seiner Entwicklungsphase?

Groß: Nein, schon allein aufgrund der Tatsache, dass wir Menschen Landtiere sind. Ich war schon mit Delfinen schwimmen - wir sind ja so erbärmlich gegenüber den Meeresbewohnern. Da ist noch einiges rauszuholen.

Sie selbst sind in diesem Alter zwar noch nicht Weltrekord geschwommen, hätten 1980 aber schon bei Ihren ersten Olympischen Spielen starten können. Wenn der Westen Moskau nicht boykottiert hätte.

Groß: Ja, ich war ja auch qualifiziert und bin mit 16 schneller geschwommen als der Olympiasieger. Wir waren zur gleichen Zeit vier Wochen als Olympiaersatz in China, als offizielle Staatsgäste. Das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen: Damals in den 70ern und Anfang der 80er Jahre konnte man durch den Kalten Krieg bestimmte Regionen der Welt überhaupt nicht erreichen. Was heute selbstverständlich ist, hat uns damals der Sport ermöglicht.