Schwimmen - Michael Groß im Interview: "Das sah schon rattenscharf aus"

Michael Groß mit Sportreporter Harry Valerien vom ZDF:
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Und nach dem Tapern stehen die Wettkämpfe an. Ihre erste Sternstunde war die WM 1982. Sie sind in Ecuador zweimal Weltmeister geworden, da waren Sie gerade 18.

Groß: Es war eine traumhafte Reise. Wir waren vorher in Florida zum Trainingslager und sind kurzfristig runtergeflogen, weil die hygienischen Verhältnisse einfach abenteuerlich waren. Nach den Wettkämpfen sind wir auch noch ein paar Tage durch die Anden gereist, Frauen und Männer in voller Mannschaftsstärke. Das ist das Schöne am Schwimmen, dass es im Vergleich zu vielen anderen eine gemischte Sportart ist.

Nur das Team?

Groß: Nein, es gab auch eine Handvoll Journalisten, die immer mitgefahren sind: Jörg Wontorra als ARD-Journalist für Hörfunk und Fernsehen, Harry Valerien fürs ZDF, und vielleicht ein oder zwei Agenturleute.

Mit Zugängen, die man sich heute kaum noch vorstellen kann - Abenteuerurlaub inklusive.

Groß: Genau. Valerien war immer ein bisschen zurückhaltender - er ist in Ecuador zum Beispiel nicht mit der Indianerbahn mitgefahren. Er war damals der Grandseigneur der TV-Sportjournalisten, der auch immer ganz genau wusste, welche Informationen er einsetzen kann und welche nicht.

Michael Groß mit Sportreporter Harry Valerien vom ZDF:
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Michael Groß mit Sportreporter Harry Valerien vom ZDF:

Nach den zwei Titeln in Guayaquil sind Sie 1982 auch zum ersten Mal Deutschlands Sportler des Jahres geworden - waren aber nicht bei der Preisverleihung.

Groß: Ja, am Tag darauf standen die deutschen Mannschaftsmeisterschaften an. Das war der wichtigste Wettkampf im Winter - und man trainiert ja nicht die ganze Zeit, um dann Party zu machen. Also bin ich nicht hin.

Wie kam das an?

Groß: Heute passiert das ja häufiger, dass man sagt: Ehrung schön und gut, aber der Sport ist wichtiger. Damals war das aber ein No-Go und ein riesiger Fauxpas. Ich habe dann den Fehler gemacht, ins Fernsehstudio nach Köln zu fahren, weil ich es allen recht machen wollte. Eine Katastrophe: Ich kam aus dem Abschlusstraining von Aachen nach Köln, saß locker-flockig da und hab ein paar Sprüche fallen lassen - während in Berlin alle im Smoking versammelt waren. Das war natürlich das absolute Desaster.

Was würde der Kommunikationsberater Michael Groß heute dem damals 18-Jährigen raten?

Groß: Nicht ins Fernsehstudio fahren, sondern die einfach feiern lassen. Wobei: Heute könnte man ja auch kurzfristig an- und abreisen. Damals kam man aus Berlin nicht mehr weg.

Für Ihren ersten Weltrekord ein Jahr später haben Sie sich zur Belohnung einen Porsche gekauft. War die Prämie so hoch?

Groß: Nein, im Gegenteil. Für einen Olympiasieg gab es 15.000 Mark - für einen Weltrekord jedoch überhaupt nichts. Aber warum erst mit 50 die eigenen Träume erfüllen? Also habe ich meine Ersparnisse zusammengekratzt und mir einen gebrauchten 911er gekauft. Die waren ja damals auch nicht so teuer wie heute.

Im gleichen Jahr haben Sie sich den Spitznamen "Albatros" eingehandelt. Da kursieren unterschiedliche Geschichten - klären Sie uns auf.

Groß: Es war ein Reporter der L'Equipe. Nach meinem ersten Weltrekord hat der den Namen erfunden. Und wie bei Journalisten nicht unüblich, wurde dann voneinander abgeschrieben. Bis es schließlich 1984 von Jörg Wontorra aufgegriffen und zum "geflügelten Wort" gemacht wurde.

Das waren die 200 Meter Schmetterling bei den Spielen 1984 in Los Angeles, als Sie auf der letzten Bahn noch abgefangen wurden. "Flieg, Albatros, flieg!" rief er als Fernsehkommentator.

Groß: Wobei er das aus der Not gemacht hat, hat er mir später erzählt. Das war so nicht geplant, sondern dem Augenblick geschuldet. Und zwar deswegen, weil ihm seine Notizen heruntergefallen waren. Er saß also am blanken Tisch und musste aus der Hüfte kommentieren. Ich selbst habe das erst Wochen später mitbekommen, als ich wieder in Deutschland war.

Ein paar Tage zuvor hatten Sie Ihren ersten Olympiatitel geholt. Über 200 Freistil wurde die Konkurrenz förmlich deklassiert. War das ein romantischer Moment? "Dafür habe ich geschuftet, dafür hat sich die ganze Arbeit gelohnt!"

Groß: (überlegt kurz) Nein. Bei dem Rennen ging es zunächst einmal darum, Bestzeit zu schwimmen. Für mich als Weltrekordhalter wäre das also neuer Weltrekord gewesen. Aber eben nur dann, wenn die anderen nicht schneller sind - man hat ja keinen Einfluss auf den Gegner. In L.A. saßen 20.000 Menschen auf der Tribüne, mein größter Konkurrent Mike Heath kam aus den USA. Da weiß man nie, was in einem solchen Finale passiert. Deswegen war für mich der erste Punkt, auf die Anzeigetafel zu schauen, und zu sagen: super, Bestzeit! Der Rest war dann erstmal wurscht. Was für mich fast noch wichtiger war als der Titel: Mit Thomas Fahrner ist der zweite deutsche Schwimmer Dritter geworden - und zwar auf den letzten 50 Metern von sieben auf drei, mit einer schnelleren Zeit als ich.

Man sieht Sie dann auch sofort zusammen jubeln.

Groß: Das war natürlich super. Und psychologisch sehr wichtig, nicht nur für die Schwimmer, sondern für die gesamte Olympiamannschaft. Es war ja der erste Tag der Spiele.

Einen Tag später gab es dann Ihre berühmten "100 Minuten". Zuerst Gold und Weltrekord über 100 Meter Schmetterling, wenig später Silber über die 4x200 Meter Freistil. Viel hat ja nicht gefehlt, oder?

Groß: Vier Hundertstel.

Sie haben das Rennen einmal als größten Misserfolg Ihrer Karriere bezeichnet. Ist das der ultimative "Hätte, wäre, wenn"-Moment?

Groß: Ja, klar. Aber Sie müssen sich vorstellen: Wir waren Weltrekordhalter mit 7:20 Minuten. Wir sind ins Rennen gegangen und wussten: Um hier zu gewinnen, muss man 7:17 oder 7:18 schwimmen. Dann sind wir 7:15,73 geschwommen - und die Amerikaner 7:15,69. Wir sind super geschwommen, die Amerikaner hatten einfach das Quäntchen mehr Glück. Natürlich blöd, wenn das bei Olympia passiert. Aber ich bin in diesem Rennen beispielsweise auch wesentlich schneller geschwommen als bei meinem Einzel-Weltrekord. Insofern: Die Leistung passte und war besser, als wir es uns acht Minuten zuvor hatten vorstellen können.