Dortmund ist die Stadt der Fan-Eskalationen, Arda Güler hat noch einen weiten Weg vor sich: Drei Dinge, die bei Türkei gegen Georgien auffielen

Von Tim Ursinus
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Die Türkei ist zwar mit einem 3:1-Sieg über Georgien in die EM gestartet, muss sich im weiteren Turnierverlauf deutlich steigern. Gleiches gilt auch für Matchwinner Arda Güler. Die türkischen Anhänger bewegen sich derweil schon jetzt in der Champions League - und Dortmund ist auf dem Weg zur Stadt der Fan-Eskalationen. Drei Dinge, die auffielen.

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Türkei toppt Albanien nochmal: Dortmund die Stadt der Fan-Eskalation

Es war erwartbar, dass sich die türkischen Fans zum Start in die Europameisterschaft keine Blöße geben werden. Dass der Wahnsinn des Duells zwischen Albanien und Italien in Dortmund nochmal getoppt werden kann, schien jedoch unmöglich. Doch nicht mit der Türkei!

Aber der Reihe nach: Bereits zur Mittagszeit, rund sechs Stunden vor Anpfiff, herrschte ein Ausnahmezustand in der sonst in schwarz-gelb gehaltenen Stadt. Tausende Türken versammelten sich in der Innenstadt, um sich auf den Auftakt gegen Georgien einzustimmen. Ausgerüstet mit massig Pyro-Fackeln, Trommeln und jeder Menge guter Laune wurde die erste Eskalationsstufe des Tages gezündet.

Die türkischen Anhänger peitschten sich auf dem vom Stadion circa drei Kilometer entfernten Alten Markt unter Rauchschwaden mit ohrenbetäubenden Schlachtrufen gegenseitig an. Sobald die zahlenmäßig klar unterlegenen Georgier versuchten, dagegenzuhalten, wurden sie mit Pfiffen und Gesängen überstimmt. Als die Polizei das Treiben auflöste, war längst nicht Schluss! Die Party verschob sich hingegen Richtung nächsten Höhepunkt.

Zu den noch lange nicht müden Fans gesellten sich weitere hinzu, das rote Meer verdrei- oder vierfachte sich in kürzester Zeit. Obendrein tauchte ein wohl offiziell von der UEFA genehmigter Bus auf, der sich in landesfarben foliert im Schrittempo auf den Weg zum Signal-Iduna-Park begab. Dicht gefolgt von mehreren Mannschaftswagen, die wiederum Kehrfahrzeuge im Schlepptau hatten.

Nach rund zwei Stunden erreichten die Fanmassen samt Bus den Ort des Spektakels, wo derart viel Pyrotechnik gezündet wurde, dass es sogar erste Durchsagen über die Lautsprecher gab. Maßnahmen, die eigentlich sonst nur innerhalb des Stadions getroffen werden. Ein heftiger Regenschauer drängte den weiterhin feiernden Partyzug schließlich ins Innere der BVB-Heimspielstätte.

Türkei vs. Georgien: Ein Wermutstropfen bleibt

Dort angekommen, pushten sich die türkischen Anhänger auf das nächste Level hoch: Gewaltige Pfeifkonzerte gegen die sich aufwärmenden Georgier oder bei deren Ballbesitz, völlige Ekstase beim Einlaufen der eigenen Helden und der Nationalhymne. Ein Großteil der Zuschauer war selbstredend mit roten Halbmond-Fahnen ausgestattet, auf den Stühlen saß während der gesamten 90 Minuten kaum einer.

Als dann noch das 1:0 durch Mert Müldürs Traumtor fiel, gab es endgültig kein Halten mehr. Ebenfalls beeindruckend: Die aus Handy-Taschenlampen resultierende Gänsehautatmosphäre nach dem 2:1 und die gemeinsame Siegesfeier mit den Spielern.

Für einen kleinen Wermutstropfen sorgte eine Prügelei zwischen beiden Fanlagern auf den Rängen im Vorfeld der Partie. Dennoch war das Spektakel in Dortmund, augenscheinlich die Hochburg von alldem Wahnsinn, erneut Werbung für die EM in Deutschland und der nächste Beweis dafür, was ein Turnier mit den richtigen Gegebenheiten auslösen kann - ganz anders als das beispielsweise noch vor nicht einmal zwei Jahren bei der WM in Katar der Fall war.

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Türkei ist noch nicht bereit für die große Überraschung

Im Laufe der vergangenen Monate wurde viel über die Türkei gesagt und geschrieben. Schon unter Ex-Trainer Stefan Kuntz war vom möglichen Überraschungsteam die Rede, nach dem 1:6 im Frühjahr gegen Österreich folgte eine Rolle rückwärts. Von dieser Trendwende scheint sich die Mannschaft von Vincenzo Montella noch nicht ganz erholt zu haben.

Stets bemüht, die Partie mit Regisseur Hakan Calhanoglu über eigenen Ballbesitz zu kontrollieren, kämpften die Türken vor allem gegen sich selbst an. Zu viele Ungenauigkeiten, unnötige Ballverluste nach Einzelaktionen, eine alles andere als sattelfeste Defensive und ohnehin so einige Fehlentscheidungen.

Zwar war die Führung durch Müldür keineswegs unverdient, in der Luft lag sie aber bei weitem nicht. Georgien strahlte mit schnellen Gegenstößen eine ebenso große Gefahr wie die Türkei aus und erzielte kurz darauf folgerichtig den Ausgleich. Zum Zeitpunkt des Siegtreffers hätte die Partie auch auf die andere Seite kippen können. Kurz vor dem 3:1 lag der Ausgleich zudem gleich mehrfach in der Luft.

Alles in allem benötigt es eine deutliche Leistungssteigerung im weiteren Turnierverlauf, um den eigenen - zugegeben hohen - Erwartungen gerecht zu werden. Besonders das letzte Gruppenspiel gegen Tschechien wird von maßgeblicher Bedeutung sein, im Duell mit Portugals Starensemble am kommenden Samstag ist man klarer Außenseiter.

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Matchwinner Arda Güler hat noch einen weiten Weg vor sich

Der wackelige Auftritt der Türkei ließ sich auch lange auf die Leistung von Arda Güler projizieren. Vor seinem so wichtigen Siegtreffer war der zweifellos hochtalentierte Teenager von Real Madrid überhaupt kein Faktor.

Bis zu seinem technisch anspruchsvollen Tor, bei dem von der ersten Berührung bis zum Abschluss alles stimmte, agierte der 19-Jährige viel zu verkopft. Zuvor hatte er nicht einen Schuss abgegeben. Güler wollte schlichtweg zu viel. Folglich prallte er mehrfach an der georgischen Verteidigung ab.

Positiv hervorzuheben ist derweil, dass er sich zu keinem Zeitpunkt hängen ließ und sich den Status des Matchwinners mit seiner Unnachgiebigkeit verdiente. Die türkischen Fans zahlten ihm dies mit "Arda-Güler-Gesängen" zurück. Jedoch hat er noch einen Weg zu gehen, um seinem Hype gerecht zu werden.

Türkei vs. Georgien: Die Daten zum Spiel

Türkei vs. Georgien - 3:1

Tore

1:0 Müldür (26.), 1:1 Mikautadze (32.), 2:1 Arda Güler (65.), 3:1 Aktürkoglu (90.+7.)

Aufstellung Türkei

Günok - Kadioglu, Akaydin, Bardakci, Müldür - Calhanoglu (90.+2. Özcan), Ayhan (79. Demiral), Arda Güler (79. Yazici), Kökcü, Yildiz (86. Aktürkoglu) - Yilmaz

Aufstellung Georgien

Mamardashvili - Kvirkvelia (85. Zivzivadze), Kashia, Dvali - Kakabadze, Mekvabishvili, Chakvetadze (73. Davitashvili), Tsitaishvili (73. Lochoshvili), Kochorashvili - Mikautadze, Kvaratskhelia

Gelbe Karten

Bardakci (35.), Calhanoglu (89.) / Kvirkvelia (55.)