Sandro Wagner war lediglich 32 Jahre alt, als er 2020 seine Karriere als aktiver Fußballer beendete. Nicht, weil es ihm an Angeboten mangelte oder er körperliche Probleme hatte. Nein, weil ihn die Aussicht auf einen Trainerjob reizvoller erschien als weitere Jahre als Spieler. Wagner wurde Trainer, weil er Trainer werden wollte. Nicht weil man das als Ex-Fußballer halt so macht.
"Ich bin überzeugt davon, dass ich als Trainer besser werde, als ich es als Spieler war", sagte Wagner damals in einem Interview mit dem kicker. Und als Spieler stürmte er immerhin in der Nationalmannschaft und in der Champions League. Schon nach seinen ersten Hospitationen habe er gemerkt, "dass mir die Trainerrolle noch mehr Spaß macht als das Spielerdasein".
Umgehend begann Wagner mit der Ausbildung, sammelte im Nachwuchsbereich des DFB erste Erfahrungen als Stürmertrainer - und sehnte sich schon nach der Chefrolle. Angebote von Bundesligisten, die ihn als Co-Trainer verpflichten wollten, lehnte er kategorisch ab, berichtete Wagner damals: "Ich möchte von Anfang an Cheftrainer sein. Ich habe in der letzten Zeit gemerkt, dass ich sehr gut im Team arbeiten kann, letztlich aber meine eigenen Vorstellungen verwirklichen will."
Es kam bekanntlich anders. Negativ wirkte sich der ungeplante Schritt nicht aus, ganz im Gegenteil. Als Co-Trainer von Julian Nagelsmann hat der mittlerweile 36-Jährige großen Anteil am Aufschwung des DFB-Teams, an der erfolgreichen EM und dem Gruppensieg in der Nations League. Und unter den Bundesligisten deutet sich ein Wettbuhlen um seine Dienste an.
DFB-Team: Rudi Völler machte Sandro Wagner zum Co-Trainer
Zwischen 2021 und 2023 fungierte Wagner zunächst tatsächlich als Cheftrainer, die SpVgg Unterhaching führte er sogar zum Aufstieg in die 3. Liga. Dann überdachte Wagner seine Karriereplanung: Er wurde Co-Trainer von Hannes Wolf bei der U20-Nationalmannschaft. Nur wenige Wochen später zog DFB-Sportdirektor Rudi Völler das Duo aber schon zur A-Auswahl hoch. Hansi Flick war entlassen worden, Völler vertraute als Interimstrainer auf die Hilfe von Wolf und Wagner.
Mit Wagners Beförderung tat Völler dem DFB aus heutiger Sicht womöglich sogar den noch größeren Gefallen als mit dem damals emotional eminent wichtigen Testspielsieg gegen Frankreich. Während Wolf daraufhin zur U20 zurückkehrte, übernahm der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann Wagner als weiteren Assistenten neben seinem langjährigen Weggefährten Benjamin Glück. Wagner und Nagelsmann kennen sich schon lange. Von 2016 bis 2017 stürmte Wagner eineinhalb Jahre lang bei der TSG Hoffenheim unter Trainer Nagelsmann.
Schon kurz nach der Wiedervereinigung beim DFB kam Nagelsmann aus dem Schwärmen kaum heraus: "Er ist ein unfassbar fleißiger, strukturierter und lustiger Mann. Er hat eine super Mischung aus frechen Sprüchen in alle Richtungen, aber da ist immer auch was dahinter. Er ist sehr clever und fleißig, hat eine Idee von Fußball. Er hat eine sehr gute Struktur und nimmt mir eigentlich alles an Orga-Themen ab."
DFB-Team: Sandro Wagner gibt Nagelsmanns Trainerteam eine weitere Dimension
Wagners Vergangenheit als Top-Spieler gibt Nagelsmanns Trainerteam zudem eine weitere Dimension. "Ich weiß, wie eine Kabine funktioniert, aber nicht auf diesem Niveau. So hoch und unter diesen emotionalen Belastungen habe ich nicht gespielt. Deshalb ist Sandro Wagner im Trainerteam", erklärte Nagelsmann. "Es ist wichtig zu wissen, wie sich die Spieler in gewissen Situationen und in gewissen Rollen fühlen."
Diese Dimension hatte Nagelsmanns Trainerteam beim FC Bayern, wo er letztlich überraschend entlassen wurde, gefehlt. Dort assistierten ihm neben Glück noch Xaver Zembrod und Dino Toppmöller (beide mittlerweile bei Eintracht Frankfurt), allesamt spielten sie einst nicht auf dem allerhöchsten Niveau Fußball.
Wagner erarbeitete sich beim DFB schnell den Ruf als Spieler-Versteher und Bessermacher. Er gibt konkrete Tipps, lobt genauso deutlich wie er kritisiert und steht intern für klare Meinungen. Im Vorfeld der EM hatte er großen Anteil an den viel gelobten Rollenverteilungen. "Menschenführung ist das A und O" des Trainerberufs, erklärte Wagner mal.
"Für mich persönlich ist er ein sehr guter Ansprechpartner. Mit seinem Coaching hilft er mir auf dem Trainingsplatz extrem", lobte Kai Havertz im Sommer im Gespräch mit SPOX. "Einerseits legt er oftmals den Finger in die Wunde, andererseits kann er einem mit seiner besonderen Ausstrahlung enormes Selbstvertrauen geben." Zuletzt schwärmte auch Kapitän Joshua Kimmich von Wagner: "Natürlich spürt man, dass er ein großes Trainertalent ist. Er bringt seine großen Qualitäten bei uns sehr gut ein."
Nicht nur in Hoffenheim gehandelt: Sandro Wagner ist in der Bundesliga umworben
Das Zusammenspiel zwischen Chef Nagelsmann und Co-Trainer Wagner funktioniert tadellos - es ist aber eines auf Zeit, so viel ist klar. Wagner hat seinen ursprünglichen Plan nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. "Eigentlich ist es schade, dass er irgendwann wieder Cheftrainer werden will, sonst könnte ich ihn fest verpflichten", sagte Nagelsmann schon kurz nach seinem Amtsantritt.
Damals unterschrieben beide bis zur Heim-EM. Noch vor Turnierstart verlängerten sie ihre Verträge vorzeitig bis zur WM 2026, wobei Nagelsmann sein eigenes Schicksal auch an den Verbleib von Wagner und seinem zweiten Co-Trainers Glück knüpfte. Trotz gültigen Vertrags wird Wagner längst bei jeder Trainerentlassung in der Bundesliga als potenzieller Nachfolgekandidat gehandelt.
In Hoffenheim war er dem Vernehmen nach die Wunschlösung auf die Nachfolge von Pellegrino Matarazzo, allerdings soll der DFB sein Veto eingelegt haben, noch bevor es zu einer offiziellen Anfrage kam. Beim VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen gilt er als möglicher Erbe für die ihrerseits von größeren Klubs umworbenen Sebastian Hoeneß und Xabi Alonso.
"Mir ist bewusst, dass es viele Vereine gibt, die an ihm interessiert sind und es immer wieder mal die eine oder andere Anfrage gibt", sagte Völler neulich, beteuerte aber, dass Wagner "mindestens bis zur WM 2026" beim DFB bleibt. Eine klassische Stand-jetzt-Aussage im schnelllebigen Fußballgeschäft.
Stille statt Sprüche: Sandro Wagners erstaunliche Wandlung beim DFB
Wagner bestätigte in der Süddeutschen Zeitung bei einer seiner wenigen öffentlichen Stellungnahmen Völlers Aussagen und ergänzte nüchtern: "Hier habe ich coole Leute um mich rum und kann mit den besten Spielern des Landes arbeiten. Über alles andere mache ich mir aktuell keine Gedanken."
Seit er Nagelsmanns Co-Trainer ist, gibt Wagner kaum Interviews. Und wenn doch, sagt er dabei überraschenderweise nichts Polarisierendes. Eine erstaunliche Entwicklung, galt Wagner als aktiver Spieler und später auch bei seinen Auftritten als TV-Experte doch als Sprücheklopfer par excellence. Legendär beispielsweise seine Klage, wonach die Gehälter im Millionengeschäft Profifußball zu gering seien: "Gemessen an all dem, was man aufgibt, finde ich, dass auch die beim FC Bayern zu wenig verdienen." Oder seine Selbsteinschätzung im September 2016: "Ich bin in meinen Augen seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer."
Aktuell fühle er sich "wohl dabei, leise zu sein", sagte Wagner. "Ich finde, ein Co-Trainer sollte nicht im Vordergrund stehen, deshalb ist es eine ganz bewusste Entscheidung von mir, im Moment so wenig wie möglich öffentlich aufzutreten. Die Ruhe und die Konzentration auf die Arbeit tun mir gut."
Ob mit seinem unausweichlichen Aufstieg zum Cheftrainer dann auch die Sprüche zurückkommen werden? Und wenn ja, wo: Vielleicht in Stuttgart oder Leverkusen? Oder ab 2026 gar als Cheftrainer der Nationalmannschaft, sofern er bis dahin nicht doch noch abgeworben wird und es Nagelsmann nach der WM zurück in den Klubfußball zieht?