Nächte im Puff-Imitat, kurioser Spitzname, Fast-Vergiftung: Wie die große Karriere von Thomas Müller beim FC Bayern München einst begann

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Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Eine womöglich letzte Saison mit dem FC Bayern München. Thomas Müller befindet sich im Alter von 34 Jahren im Spätherbst seiner großen Laufbahn. Doch wie fing eigentlich alles an? Ein Spaziergang durch Müllers anekdotenreichen Karriere-Frühling.

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"Müller spielt immer", sprach Louis van Gaal vor rund 14 Jahren. Nur drei Worte, aber längst ein ikonischer Satz der deutschen Fußball-Geschichte. Geht's raus und spielt's Fußball! Elf Freunde müsst ihr sein! Müller spielt immer! Van Gaal gab seinem damals 21-jährigen Lieblingsschüler eine Stammplatzgarantie, die weitaus länger währte als seine eigene Trainer-Amtszeit in München. Wer will schließlich dem imposanten Tulpen-General widersprechen, den sogar seine eigenen Töchter siezen müssen? Eben.

Bis heute wird van Gaal zitiert, wenn einer seiner Nachfolger Müller skandalöserweise auf der Bank lässt. Lange todernst, mittlerweile eher mit einem Augenzwinkern. Als sich Niko Kovac und Carlo Ancelotti diesem Gesetz widersetzten, waren sie ihre Jobs schnell los. Thomas Tuchel löste größtmögliche Aufregung aus, als er kurz nach seinem Amtsantritt gegen Manchester City auf Müller verzichtete und erklärte: "Das war kein Thomas-Müller-Spiel." Trainer kamen und gingen. Thomas Müller aber blieb immer.

Langjähriger Leistungsträger mit sagenhaften 242 Toren und 268 Assists in 707 Pflichtspielen. Demnächst Rekordspieler, Sepp Maier ist nur noch zwei Einsätze entfernt. Titelsammler, zwölfmaliger deutscher Meister, Triple-Sieger, Weltmeister und noch einmal Triple-Sieger. Schlitzohr, Spaßvogel, Sprücheklopfer. Raumdeuter, Radio Müller. Das "M" im "Mia san mia", wie der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen neulich betonte.

Thomas Müller ist ohne Zweifel einer der größten Spieler in der Geschichte des FC Bayern, doch nun trudelt seine Karriere aus. Bei der Heim-EM überzeugte der 34-Jährige eher als Integrator, denn als Fußballer. Danach trat er aus dem DFB-Team zurück. Beim FC Bayern ließen schon unter Tuchel seine Einsatzzeiten nach, auch Nachfolger Vincent Kompany plant Müller eher nicht als Stammspieler ein. Sein Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Womöglich geht Müller in seine letzte Profi-Saison, das Finale dahoam 2025 in der Allianz Arena könnte ein würdiger Abschluss werden.

Doch wie fing alles an? Wie wurde aus dem Buben aus Pähl der Müller-spielt-immer-Müller? Auf dem Weg dahin wurde gependelt, gezweifelt und im Puff-Imitat genächtigt. Im Sommer 2008 verzichtete Müller auf eine Teilnahme an der U19-EM, erreichte dafür aber schulische, sportliche und private Meilensteine. In Indien hing der "Kleber" am Klo fest, in Malaysia am Computer. Von seinem Namensvetter Gerd bekam er Stürmer-Tipps, Hermann Gerland empfahl ihn schließlich van Gaal - vielleicht auch wegen einer Wette mit Uli Hoeneß.

Mutter und Kollegen überzeugt: Müllers Pendel-Wechsel zum FC Bayern

Thomas Müller kam 1989 in Pähl zur Welt, einer 2500-Einwohner-Gemeinde südwestlich von München gelegen, irgendwo zwischen Ammersee und Starnberger See. Im Alter von vier Jahren schloss sich Müller dem örtlichen TSV an, wo er sich schnell für größere Aufgaben empfahl. Obwohl er bei den Älteren mitspielte, erzielte er in der E-Jugend der Legende nach 120 Tore in einer Saison. Die Heldentaten von Pähl drangen bis nach München durch.

"Im ersten Spiel, das ich von ihm gesehen habe, hat er sechs oder sieben Tore geschossen", berichtet Jan Pienta im Gespräch mit SPOX. Pienta gilt als Scouting-Legende des FC Bayern, zum damaligen Zeitpunkt hatte er bereits Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger entdeckt. An Müller imponierte Pienta "seine Laufstärke und Unorthodoxheit. Er weiß auf dem Platz nicht, was er im nächsten Moment machen wird. Außerdem hatte er keine Angst, war nie aufgeregt."

Müllers Wechsel zum FC Bayern klappte aber erst im zweiten Anlauf. Seine Mutter Klaudia sei laut Pienta "ganz schwer zu überzeugen" gewesen, als der Scout 2000 um den damals zehnjährigen Müller buhlte: "Sie hat erzählt, dass Thomas ein Jahr zuvor nach einem Probetraining weggeschickt wurde. Außerdem habe sie eh keine Lust auf die ganze Fahrerei. Pienta aber hatte einen Plan: "Ich wusste, dass ihr Mann bei BMW in München arbeitet. Also habe ich vorgeschlagen, dass er Thomas zum Training mitnehmen kann. Und wenn es mal nicht passt, darf er daheim in Pähl trainieren."

Pienta musste aber nicht nur Müllers Mutter überzeugen, sondern auch seine eigenen Kollegen beim FC Bayern. "Ich will jetzt keine Namen nennen, aber andere im Klub waren nicht so überzeugt wie ich", verrät er. "'Der kann nichts', hat es geheißen. Ich habe nur geantwortet: 'Wartet mal ab!'" Müller selbst sei "von Anfang an Feuer und Flamme" gewesen. Eingefleischter Bayern-Fan seit jeher, Lieblingsspieler Giovane Elber.

Letztlich einigte man sich auf einen Wechsel auf Raten: Müller kickte zunächst weiterhin mit seinen Freunden im Dorf und nur gelegentlich beim Weltklub an der Säbener Straße 51. Erst zur D-Jugend wechselte er fix nach München. Sein Trainer wurde bald Heiko Vogel, später auch als Nachwuchskoordinator beim FC Bayern und zuletzt in verschiedenen Funktionen für den FC Basel tätig.

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Erfolgsbereites Fundament: Thomas Müllers Anfangszeit beim FC Bayern

Ob Müller schon damals der herausragende Spieler seines Jahrgangs war? "Nein, aber er war ein unverzichtbarer Spieler", erinnert sich Vogel bei SPOX. "Kein Trainer hätte ihn rausgelassen." Früh strahlte Müller dieses undefinierbare Besondere aus. "Thomas hat eine unglaubliche Spielintelligenz und seinen eigenen Stil. Er ist herausgestochen mit seinem unwiderstehlichen Körper und seiner Schlaksigkeit."

Beachtlich war schon in jungen Jahren seine Immunität gegen jegliche Blessuren. "Wo nix ist, kann sich nix verletzen", scherzt Vogel. "Aber auch das ist eine Form von Talent." In seinen bisher 15 Jahren als Profi verpasste Müller verletzungsbedingt nur 48 Pflichtspiele des FC Bayern und der Nationalmannschaft, die längste Pause resultierte 2017 aus einem Muskelfaserriss und dauerte einen Monat.

Außerdem früh auffällig: sein Siegeswillen! "Im Training konnte man Thomas nicht verarschen", erinnert sich Vogel: "Ich habe öfter gesagt: 'Es steht 2:1.' Dann meinte er: 'Ne, ne, Trainer, es steht 2:2.' - 'Sag' mal die Torschützen?' - 'Klack, klack, klack, klack.' - Thomas wusste immer das Ergebnis. Dem hat er schon in frühen Jahren alles untergeordnet. Für mich ist das ein Merkmal, das ihn von vielen anderen unterscheidet."

Müller redet viel und gerne, er hört aber auch zu. Das spürt man in Interviews, wenn er Fragen schlüssig und schlagfertig beantwortet. Das spürte damals auch sein Trainer Heiko Vogel. "Es war klar ersichtlich, dass er versteht, was gerade gefordert ist. Er hat einen herausfordert, darüber nachzudenken, was man sagt. Wenn ein Fehler dabei war, hat Thomas den Finger in der Wunde gehabt."

Ein stabiles Umfeld, Immunität gegen Verletzungen, ein unbändiger Siegeswillen, einen klare Vorstellung von seiner Zukunft: Zusätzlich zu seinem fußballerischen Talent vereinte Müller früh viele Faktoren, die es für eine Karriere im Profifußball braucht. "Er hatte ein erfolgsbereites Fundament", resümiert Vogel. "Sein Vater hat einmal nachgefragt, wie ich den Jungen sehe. Ich habe gesagt: 'Machen Sie sich um ihn keine Sorgen. Er wird mit Fußball zumindest mal sein Studium finanzieren können.'"

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"Er fand sich zu schlecht": Der Kleber hatte Selbstzweifel

Auf Vogel wirkte der junge Müller stets selbstbewusst und siegessicher, in ihm drinnen schaute es aber offenbar bisweilen anders aus. Zur B-Jugend bekam Müllers Mannschaft Verstärkung für die Abwehr, von Union Berlin kam Björn Kopplin. Müller kannte Kopplin bereits von Nationalmannschafts-Lehrgängen. In München sollten die beiden enge Freunde werden, bei Auswärtsreisen oder Trainingslagern teilten sie sich stets ein Zimmer.

"Thomas hat mir mal erzählt, dass er mit 14 oder 15 Selbstzweifel hatte und sich zu schlecht fand", erinnert sich Kopplin im Gespräch mit SPOX. "Erst danach hat es bei ihm so richtig Klick gemacht." Der Jahrgang 1989 bot damals vielversprechendere Spieler als Müller, Kopplin erinnert sich beispielsweise an einen gewissen Dominik Schmid: "Bei ihm dachte ich, dass er es schafft. Er hatte alles, um ein perfekter Stürmer zu werden. Dann bekam er aber Heimweh und ist nach Regensburg zurückgegangen." Fünf Profispiele absolvierte Schmid später für den Jahn, Tor gelang ihm keines.

Kopplin spielt mittlerweile in Dänemark beim Randers FC, Kontakt zu Müller hat er bis heute. Als der FC Bayern vergangenen Herbst für ein Champions-League-Spiel beim FC Kopenhagen gastierte, besorgte er seinem Ex-Kollegen kurzerhand Tickets. Kopplin erlebte nicht nur Müllers Entwicklung vom Jugendlichen zum Erwachsenen mit, sondern auch die vom Mittelfeldspieler zum Stürmer. Erst in der A-Jugend rückte Müller ganz nach vorne, bis dahin spielte er im klassischen 4-4-2-System rechtes Mittelfeld. "Er hatte eine Pferdelunge, war unser Motor", sagt Kopplin. "Schon damals war aber offensichtlich, dass er seine größten Qualitäten im vorderen Drittel hat. Er war immer gut für entscheidende Tore."

Besonders in Erinnerung geblieben ist seinem ehemaligen Kollegen Müllers fast schon magnetische Ballanziehung. "Thomas hatte bei uns den Spitznamen 'Kleber', weil ihm der Ball immer vor seine Füße gefallen ist", sagt Kopplin. "Er hat mir mal erzählt, dass er seine Gegenspieler mit Absicht auf Kniehöhe anschießt. Die sind davon überfordert, er schnappt sich den zweiten Ball und zieht vorbei. Auf die Idee ist sonst noch niemand gekommen."

FC Bayern: Thomas Müller als Integrator und Spaßvogel

Passend wäre der Spitzname "Kleber" aber wohl nicht nur wegen Müllers Ballanziehung gewesen, sondern auch wegen seiner zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Wie heute bei den Profis integrierte Müller auch schon im Nachwuchs neue Spieler. "In der Kabine hat er immer für gute Laune gesorgt. Er hat mit jedem geredet, mit jedem gelacht, mit jedem gescherzt. Man konnte ihn nur mögen", sagt Diego Contento bei SPOX.

Contento selbst sei "ein schüchterner Typ" gewesen, als er im Alter von 16 Jahren zur B-Jugend hochgezogen wurde. "Thomas ist ein Jahr älter. Er war schon da und hat mir bei der Integration sehr geholfen. Später bei den Profis war es genauso: Da kam ich ein halbes Jahr nach ihm dazu und Thomas hat mich direkt den älteren Spielern wie Mark van Bommel vorgestellt."

Nur wenige Monate nach ihrem Sprung zu den Profis standen Müller und Contento 2010 plötzlich im Champions-League-Finale. Die Pleite gegen Inter Mailand war noch halbwegs verkraftbar, tragischer wurde es 2012 beim Finale dahoam gegen den FC Chelsea. 2013 gelang mit dem historischen Triple schließlich die Erlösung. Ein Jahr später wechselte Contento zu Girondins Bordeaux nach Frankreich, mittlerweile spielt er mit seinen Brüdern beim Münchner Vorort-Klub FC Aschheim Amateurfußball.

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Thomas Müller: Neunerln im Bus, Schafkopf nur im Dorf

Gemeinsam mit Holger Badstuber sind Müller und Contento bis heute die letzten waschechten Eigengewächse, denen beim FC Bayern der Durchbruch zu etablierten Stammspielern gelungen ist. Wird der gebürtige Münchner Aleksandar Pavlovic ihr Nachfolger? Müller lobt ihn bei jeder Gelegenheit, es scheint ihm ein Anliegen zu sein. Auch David Alaba und Jamal Musiala spielten zwar bereits in der Jugend für den FC Bayern, waren aber jeweils erst im Alter von 16 Jahren nach München gekommen. Semi-Eigengewächse also gewissermaßen.

Müller und Contento saßen auf ihrem gemeinsamen Weg zu den Profis nebeneinander. "Bei Auswärtsfahrten waren wir im Mannschaftsbus immer an einem Vierertisch", erinnert sich Contento. "Thomas hat oft Bücher gelesen. Und er hatte immer seine Lernsachen aus der Schule dabei. Da war er sehr fleißig. Manchmal haben wir Karten gespielt, Neunerln war unser Lieblingsspiel."

Mit seinen Mannschaftskollegen praktizierte Müller das fast schon beschämend simple Neunerln, für das deutlich anspruchsvollere Schafkopf zog er sich lieber nach Pähl zurück. "Mit seinen Freunden und Verwandten aus dem Dorf hat er viel Schafkopf gespielt", sagt Kopplin, als Berliner ließ ihn der Bayer aber partout nicht mitmachen. Warum, ist Kopplin bis heute schleierhaft: "Ich kann Skat und Doppelkopf und habe ihn gebeten, dass er es mir auch beibringt. So unterschiedlich sind die Spiele ja nicht. Aber er meinte immer, Schafkopf sei viel zu kompliziert."

Müllers Liebe zum Schafkopf ist bis heute geblieben: Jeden Januar veranstaltet er im Brauhaus am Nockherberg ein Schafkopf-Turnier für den guten Zweck. Bei Weißbier versammelt sich dann das Who is Who der bayerischen Sport-Welt. Hier kartelten schon Uli Hoeneß, Unterhaching-Präsident Manni Schwabl, Sky-Experte Didi Hamann, Paul Breitner und Ludwig Kögl. Der Ex-Profi kümmert sich als Berater seit Jugendtagen um die Belange von Müller und übrigens auch Contento.

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Thomas Müller gewann keinen nationalen Nachwuchs-Titel

Contento hat Müller eines voraus: Einen nationalen Titel im Nachwuchs. 2007 gewann er mit der B-Jugend die deutsche Meisterschaft, Müller war da schon eine Stufe aufgerückt. Mit der A-Jugend scheiterte er im selben Jahr erst an der letzten Hürde. Auf den Sieg in der Staffel Süd/Südwest folgte die Teilnahme an der Bundesliga-Endrunde, im Finale unterlagen die Münchner Bayer Leverkusen nach Verlängerung mit 1:2. Müller traf zur zwischenzeitlichen Führung, musste später aber mit Krämpfen ausgewechselt werden.

Der Titelgewinn blieb der damaligen A-Jugend zwar verwehrt, dafür legten etliche Talente dieser Mannschaft anschließend beachtliche Karrieren hin. Abgesehen von Müller schafften es auch Badstuber und Keeper Thomas Kraft zu den Profis des FC Bayern. Die Abwehrspieler Kopplin und Sebastian Langkamp, Regisseur Mehmet Ekici und Stürmer Deniz Yilmaz setzten sich andernorts durch. Und dann gab es da noch einen gewissen Toni Kroos.

16 Jahre war Kroos alt, als ihn der FC Bayern für unerhörte 2,3 Millionen Euro von Hansa Rostock nach München lotste. 2,3 Millionen Euro? Für einen 16-Jährigen? Was heute normal erscheint, war 2006 eine Sensation. Die Investition sollte sich aber lohnen. Nach nur einem Jahr in der A-Jugend pendelte Kroos zwischen Reserve und Profis. Als Kroos schon Bundesliga spielte, ging der ein halbes Jahr ältere Müller geruhsam in seine zweite A-Jugend-Saison. Mittlerweile zum Stürmer umfunktioniert, avancierte er mit 18 Treffern zum besten Torschützen seiner Mannschaft. Außerdem debütierte er in der Regionalliga Süd/Südwest für Hermann Gerlands Reserve.

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Abitur, Profi-Vorbereitung, Ehefrau kennengelernt: Der Sommer 2008

Als Erwachsene wurden sie gemeinsam Weltmeister und Triple-Sieger, spielten zuletzt die Heim-EM. Anders als Kroos galt Müller im Nachwuchs nie als Supertalent. In den deutschen U-Nationalmannschaften mischte Müller zwar immer mal wieder ein bisschen mit, mehr aber auch nicht. Im Sommer 2008 verzichtete der damals 17-Jährige freiwillig auf eine Teilnahme an der U19-Europameisterschaft. "Thomas dachte nicht, dass er Stammspieler sein würde, und hatte dazu Aussichten auf einen Platz im Trainingslager der Profis. Außerdem war er in dieser Zeit sehr fokussiert auf sein Abitur, das war ihm wichtiger", erinnert sich Kopplin.

Obwohl Kopplin mit der DFB-Auswahl den EM-Titel gewann, war Müllers Sommer 2008 womöglich sogar noch ereignisreicher. Die Ausbeute: Abitur abgelegt, Profi-Vorbereitung unter Trainer Jürgen Klinsmann mitgemacht, künftige Ehefrau kennengelernt.

"Lisa war die beste Freundin meiner Ex", berichtet Kopplin. Nach dem Kennenlernen ging es schnell: "Gefühlt sind Thomas und Lisa nach einem Monat zusammengezogen, haben sich ein halbes Jahr später ein Pferd gekauft und dann geheiratet. Für seine Karriere war das Gold wert. So ist er nicht auf die schiefe Bahn geraten. Ziemlich bald hat er sich ein Haus direkt neben einem Golfplatz gekauft und fortan nur noch Golf gespielt. Vor dem Training, nach dem Training, immer. Nach kurzer Zeit hatten die beiden außerdem einen kleinen Zoo zuhause. Pferde, Hunde, Hasen. Ich habe ihn nur gefragt: 'Was ist mir dir?'"

Tiere und Tee Time hieß es in Müllers Freizeit nun, für Feste blieb weniger Zeit - die hatte er mit Kopplin zuvor nämlich gerne gefeiert. Ohne Handykameras und sozialen Medien genossen Jugendspieler damals größere Freiheiten. "Gelegentlich waren wir gemeinsam in der Disco", erinnert sich Kopplin. "Thomas hatte einen außergewöhnlichen Tanzstil. Wer das nachmacht, bricht sich beide Beine." Müller tanzt also so wie er Fußball spielt. "Wenn wir abends unterwegs waren, hat er danach immer bei mir übernachtet. Thomas ist damals aus Pähl nach München gependelt, ich habe mit 18 eine eigene Wohnung in Unterhaching bekommen. Die war sehr extravagant eingerichtet - manche meinten, wie ein Puff: gelber Teppich, nur schwarze Möbel."

Müller selbst waren jegliche Extravaganzen unterdessen fremd. "Er ist nie mit Louis-Vuitton-Sachen oder einer Rolex aufgetaucht", sagt Contento. Wobei, eine Ausnahme gab es da schon: "Sein großer Traum war immer ein Ford Mustang. Als er bei den Profis war, hat er sich dann tatsächlich einen gekauft."

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FC Bayern München: Thomas Müller lernt von Gerd Müller

Aber davor musste er durch die harte Schule des Hermann Gerland. Tiger, Kopfballpendel-Liebhaber, Gegner weißer Fußballschuhe. Im Sommer 2008 rückten Europameister Kopplin und der nun liierte Abiturient Müller fest in des Tigers Reserve, im Winter folgte Contento. "Mit Hermann Gerland hatte er genau den richtigen Mentor. Er hat am besten erkannt, zu was Thomas in der Lage ist", sagt Kopplin.

Eine womöglich noch engere Beziehung als zu Gerland entwickelte Müller aber zu dessen Co-Trainer: Stürmer-Legende Gerd Müller. "Von Anfang an haben wir uns super verstanden", erzählte der junge Müller später. "Er hat mir Tipps gegeben, wie ich mich als Offensivspieler im Strafraum verhalten soll." Während die Verteidiger "mit Tiger Gerland am Kopfballpendel trainierten", erinnert sich Contento, "übten Thomas und die anderen Stürmer mit Gerd Abschlüsse und Eins-gegen-eins-Situationen."

Es sollte sich lohnen: 15 Treffer gelangen Müller in 32 Ligaspielen, seine Mannschaft schloss die erste Saison der neugeschaffenen 3. Liga 2009 auf Platz fünf ab. Abgesehen vom Meistertitel 2020 unter Sebastian Hoeneß bis heute die beste Platzierung der Münchner Reserve. "Die 3. Liga war für mich der ideale Übergang, um mich an den Herrenfußball zu gewöhnen. Die körperliche Härte und physische Präsenz ist hier ganz anders als in der Junioren-Bundesliga", sagte Müller später.

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"Thomas hat sich fast vergiftet": Reisen nach Indien und Malaysia

In der langen Winterpause absolvierte die Reserve eine ganz besondere Reise. Für neun Tage ging es ins ferne Indien. Neben Testspielen standen auch Besuche in einem Kinderheim und auf einer Teeplantage und eine Bootsfahrt auf einem Mündungsarm des Ganges auf dem Programm. "Es war eine krasse Erfahrung, die dortige Armut zu erleben. Ich glaube, der Klub wollte uns damit zeigen, wie gut wir es hier in Deutschland haben", sagt Kopplin.

Teamkollege Daniel Sikorski erinnert sich im Gespräch mit SPOX speziell an eine Station nahe des Himalayas: "Dort haben wir in einem Hotel gewohnt, in dem es keine Matratzen gab. Stattdessen haben wir auf Brettern geschlafen. Die Duschen waren Eimer mit Wasser und zum Abendessen gab es Chips und Cola von gefühlt 1953." Als es dann irgendwann endlich doch mal "richtiges Essen gab, hat sich Thomas fast vergiftet. Bei unserer Speise stand 'nicht scharf', aber sie war trotzdem scharf ohne Ende. Thomas ist das nicht so bekommen. Am nächsten Tag ist er statt zum Training nur aufs Klo gegangen." Curry passt wohl nicht zu einem Schweinebraten-geschulten Magen aus Pähl.

Die Indien-Reise war nicht der einzige spektakuläre Auslands-Trip während Müllers Zeit in der Jugend des FC Bayern: Mit der Reserve ging es außerdem nach Portland in die USA, zuvor reiste Müller mit der A-Jugend nach Malaysia. In Erinnerung blieben Kopplin von diesem Trip aber keine Armut oder Klogänge - sondern Stunden vor dem Computer: "Thomas und ich waren gemeinsam im Zimmer und haben jede freie Minute Fußball-Manager gespielt."

Beinahe hätte Müller in jener Zeit auch im echten Leben einen Transfer mitgemacht. Mehrmals stand er kurz vor einem Abschied vom FC Bayern. Der Manager des damaligen Zweitligisten FC Augsburg Stefan Reuter bestätigte sogar, dass über einen Müller-Wechsel zum FCA "ganz konkret verhandelt" wurde.

Auch Borussia Mönchengladbach, die SpVgg Greuther Fürth und vor allem Bundesliga-Aufsteiger TSG Hoffenheim hatten Interesse, wie Müller später selbst bestätigte: "Hoffenheim hat Bayern eine Summe genannt, irgendwas zwischen zwei und fünf Millionen. Hoffenheim fand das aber zu teuer. Am Ende ging es um ein paar hunderttausend Euro." Letztlich scheiterten alle Verhandlungen, genau wie Jahre später auch ein möglicher Transfer zu Manchester United. Müllers bis heute einziger Wechsel ist der vom TSV Pähl zum FC Bayern.

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FC Bayern München: Der Tiger wettet auf Thomas Müller

Während Müller in der Saison 2008/09 bei der Reserve glänzte, behielt ihn Profi-Trainer Klinsmann nach der gemeinsamen Vorbereitung im Blick. Am 1. Spieltag verhalf er dem damals 18-Jährigen gegen den Hamburger SV per Einwechslung zum Bundesliga-Debüt, im Frühling kamen weitere Einsätze dazu. Bei einem 7:1-Schützenfest im Achtelfinale der Champions League gegen Sporting Lissabon erzielte Müller sein erstes von mittlerweile 242 Toren für die Profis.

Anschließend scheiterte der FC Bayern im Viertelfinale kläglich am FC Barcelona und verspielte die Meisterschaft, woraufhin Klinsmann entlassen wurde. Interimstrainer Jupp Heynckes rettete die abermalige Champions-League-Qualifikation, dann übernahm Louis van Gaal. Schon bei seinen Ex-Klubs Ajax Amsterdam und FC Barcelona hatte sich der Niederländer den Ruf erarbeitet, junge Talente zu entwickeln. Van Gaal formte unter anderem Patrick Kluivert, Edgar Davids, Clarence Seedorf, Edwin van der Sar, Marc Overmars. Kurz Luft holen. Carles Puyol, Xavi Hernández und Andrés Iniesta. Wer sollte beim FC Bayern folgen?

"Vor der Saison haben sich Louis, Hermann Gerland und ich zusammengesetzt", erinnert sich van Gaals damaliger Co-Trainer Andries Jonker bei SPOX. "Louis hat den Namen von jedem Spieler der Reservemannschaft vorgelesen, Hermann hat zu jedem etwas gesagt und ich habe mitgeschrieben. Irgendwann ist Louis bei Müller angekommen und Hermann sagte: 'Er wird Nationalspieler.' Louis wollte wissen, warum. Hermann meinte: 'Weil er immer trifft - egal, wo er spielt.' Dann hat er erzählt, dass er mit Uli Hoeneß eine Wette darüber laufen hatte, dass Müller Nationalspieler wird. Bei dieser Wette ging es nicht um zehn Euro, da ging es um einiges mehr."

Van Gaal glaubte Gerland. Gerland gewann seine Wette gegen Hoeneß und van Gaal sollte bald sagen: "Müller spielt immer!"

Thomas Müller: Seine Leistungsdaten beim FC Bayern München

WettbewerbSpieleToreAssists
Bundesliga473149207
DFB-Pokal653426
Champions League1515433
Champions League Quali2-1
DFL Supercup1251
UEFA Supercup2--
Klub WM2--
Gesamt707242268