Handball-WM: Alfred Gislasons Wandlung von der Furie zum Ruhepol

Alfred Gislason ist seit Februar Bundestrainer.
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Früher hat er seine Spieler beschimpft und sogar mit Mülltonnen verglichen, heute ist er der Ruhepol für die deutsche Nationalmannschaft: Alfred Gislason. Vor dem letzten Vorrundenspiel gegen Ungarn (20.30 Uhr im LIVETICKER) nimmt SPOX den Bundestrainer unter die Lupe - und spricht mit Piet Krebs, einem seiner besten Kumpels.

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Wendgräben, ein klitzekleines Dorf im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt. Hier gibt es nur eine Straße, ein im Stil englischer Landhäuser erbautes Schloss als einzige Sehenswürdigkeit und kaum Menschen.

Von einem der nicht einmal 50 Einwohner heißt es, er sei auf Island so bekannt wie hierzulande Franz Beckenbauer. Die Rede ist von Alfred Gislason, seit der Entlassung von Christian Prokop im Februar neuer Bundestrainer.

Das Nest in der Provinz dient dem 61-Jährigen und seiner Frau Kara seit mittlerweile 20 Jahren als Rückzugs -und Wohnort. Hier hat das Ehepaar aus einem zerfallenen Feldsteinhaus ein Schmuckstück geschaffen. Das Grundstück beinhaltet einen riesigen Garten mit Unmengen verschiedener Pflanzen sowie eine Streuobstwiese.

"Du bist nicht ganz dicht, wenn du so etwas machst", sagt Gislason heute, wenn er an all die Arbeit denkt, die er in sein Heim stecken musste: "Aber ich bin Isländer. Und als Isländer brauche ich meine Ruhe. Deshalb war mir schnell klar, dass dieser Ort perfekt für mich ist."

DHB schnappt Gislason den Russen weg

Dort wollte es Gislason nach dem Ende seiner THW-Ära 2019 eigentlich tatsächlich eine Zeit lang ruhiger angehen lassen. 28 Jahre war er ohne Unterbrechung Trainer gewesen. Akureyri, Hameln, Magdeburg, Gummersbach, Islands Nationalmannschaft und elf Jahre Kiel.

Er formte Weltstars wie Nikola Karabatic, Domagoj Duvnjak oder Aron Palmarsson und holte Titel wie am Fließband. Sieben deutsche Meisterschaften, sechs DHB-Pokalsiege, zwei EHF-Cup-Triumphe und drei Champions-League-Titel stehen in seiner Vita. Eine etwas längere Pause wäre also mehr als verdient gewesen.

Doch der Starcoach aus dem Norden Islands hielt es gerade einmal sieben Monate ohne Handball aus. Als er sich fast schon mit Russland auf ein Langzeitprojekt als Nationaltrainer geeinigt hatte, grätschte der DHB in Person des früheren THW-Managers Uwe Schwenker in letzter Sekunde dazwischen.

Gislason, der dem DHB 2016 zugunsten des THW noch eine Absage erteilt hatte (woraufhin sein Landsmann Dagur Sigurdsson den Posten übernahm und Deutschland zum EM-Titel in Polen führte), musste diesmal nicht lange überlegen und unterschrieb einen Vertrag bis 2022.

Krebs über Gislason: "Nicht zu viel labern, anpacken"

"Es bedeutet ihm unendlich viel, Bundestrainer zu sein. Er lebt und arbeitet jetzt schon so lange in Deutschland. Es ist seine zweite Heimat - und entsprechend stolz ist er. Das ist viel mehr als ein Arbeitsverhältnis", sagt Piet Krebs im Gespräch mit SPOX.

Wahrscheinlich gibt es wenige Menschen, die Gislason besser kennen als der 63-Jährige. Die beiden spielten von 1983 bis 1988 gemeinsam für TUSEM Essen in der Bundesliga. Seither verbindet sie eine innige Freundschaft.

"Seine erste Station in Essen passte perfekt zu ihm. Harte, ehrliche Arbeit, offene Worte - Alfred war und ist bis heute ein echter Kumpel. Nicht zu viel labern, anpacken und zupacken. So macht man es im Pott, aber auch auf Island. Dort gilt es auch, Naturgewalten zu trotzen. Und jeder muss sich blind auf den anderen verlassen können. Deshalb sind Kara und Alfred unsere Trauzeugen und die Paten unseres einzigen Sohnes", beschreibt Krebs den Menschen Gislason.

Piet Krebs (hier mit Pokal in der Hand) hat mit Alfred Gislason bei TUSEM Essen gespielt.
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Piet Krebs (hier mit Pokal in der Hand) hat mit Alfred Gislason bei TUSEM Essen gespielt.

Gislason: "Fokussiere mich auf das, was ich habe"

Von diesen Eigenschaften profitiert nun der deutsche Handball, ganz besonders in den komplizierten Zeiten der Corona-Pandemie. Ständig wurden Trainingseinheiten und Länderspiele - darunter die Olympia-Qualifikation - abgesagt. Es dauerte neun Monate, bis Gislason im November mit dem Sieg gegen Bosnien-Herzegowina sein Bundestrainer-Debüt feiern durfte.

Die schlechten Nachrichten rissen in der Vorbereitung auf die WM trotzdem nicht ab. Gislason musste neben einigen verletzungsbedingten Ausfällen die Absagen von Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek, Finn Lemke und Steffen Weinhold hinnehmen. Alle vier Spieler waren in der aktuellen Situation nicht bereit, ihre Familien alleine zu lassen.

"In mir überwiegt der Isländer", antwortete Gislason auf die Frage, ob er nicht allen Grund zum Jammern hätte: "Ich habe gelernt, schnell auf andere Umstände zu reagieren und mich auf das zu fokussieren, was ich habe."

Wolff: Gislason "mit allen Wassern gewaschen"

Ob Ausfälle, die komplizierte Vorbereitung, das abgesagte Spiel gegen Kap Verde oder die zumindest anfangs fragwürdigen Zustände im WM-Quartier in Gizeh: Gislason, unter dem das DHB-Team bislang alle seine fünf Partien gewonnen hat, scheint nichts aus dem Konzept zu bringen.

"Aufgrund seiner sportlichen Erfahrungen, aber auch aufgrund seiner enormen Lebenserfahrung ist er der große Stabilisator, gerade in der jetzigen Situation", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning: "Wenn du jemanden an deiner Seite hast, der alles gewonnen hat, gibt dir das genau jene Sicherheit, die notwendig ist."

Das sieht die Mannschaft genauso. "Er ist der richtige Mann, um aus unserem Haufen etwas Gutes zu zaubern", meinte Rechtsaußen Timo Kastening. Für Torhüter Andreas Wolff ist Gislason "ein Taktikfuchs, der mit allen Wassern gewaschen ist".

Und Rückraumspieler Kai Häfner erklärte: "Er ist ein Ruhepol. Er weiß sehr gut zu balancieren zwischen Anspannung und locker lassen und gibt der gesamten Mannschaft damit ein sehr, sehr gutes Gefühl."

DHB, Handball, Alfred Gislason
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Gislason beschimpft Torhüter: Eine Mülltonne hält besser

Gislason ein Ruhepol? Das war nicht immer so. Gerade zu Beginn seiner Trainerkarriere faltete der frühere linke Rückraumspieler seine Schützlinge teilweise erbarmungslos zusammen. Seine Teamsitzungen wurden von Spielern als "Beleidigungsstunden" bezeichnet.

"Ich schäme mich für viele Beleidigungen", sagte Gislason vor der WM dem Focus. Er habe vor einigen Jahren mal eine Feier mit seinen ehemaligen Spielern von Akureyri gehabt. "Die haben mir die Dinger vorgespielt, die ich da rausgehauen habe. Ich war kreidebleich, was ich da für Beleidigungsstürme abgelassen habe", sagte der dreifache Vater.

Einmal habe er mit seinem Team zur Halbzeit mit neun Toren zurückgelegen. Da habe er dem Torwart gesagt, er solle in der Kabine bleiben, weil er stattdessen lieber eine Mülltonne ins Tor stellen wolle. Die würde besser halten.

Krebs: "Gislason wird immer wieder explodieren"

Derartige Beschimpfungen gibt es längst nicht mehr. Gislason ist in den vergangenen Jahren deutlich ruhiger geworden. Das bestätigt auch sein Kumpel Krebs.

"Privat ist er tatsächlich gelassener und abgeklärter geworden. Das war er mit guten Freunden am Lagerfeuer mit einem Glas Rioja aber schon immer. Beim Handball wird er während des Spiels aber immer mal wieder explodieren. Das ist das alte Geysir-Gesetz. Du weißt nicht wann, aber irgendwann kommt die Fontäne. Also halte ausreichend Abstand", so Krebs.

Bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft dem Bundestrainer beim Spiel gegen Ungarn und im weiteren Verlauf der Weltmeisterschaft keinen Grund zu einem Ausbruch gibt.

Handball-WM: Hauptrundenspielplan

DatumUhrzeitTeam 1Team 2Ergebnis
Do., 21. Januar15.30 Uhr1. Gruppe A3. Gruppe B
Do., 21. Januar18 Uhr1. Gruppe B2. Gruppe A
Do., 21. Januar20.30 Uhr3. Gruppe A2. Gruppe B
Sa., 23. Januar15.30 Uhr2. Gruppe A3. Gruppe B
Sa., 23. Januar18 Uhr2. Gruppe B1. Gruppe A
Sa., 23. Januar20.30 Uhr3. Gruppe A1. Gruppe B
Mo., 25. Januar15.30 Uhr1. Gruppe B1. Gruppe A
Mo., 25. Januar18 Uhr2. Gruppe B2. Gruppe A
Mo., 25. Januar20.30 Uhr3. Gruppe B3. Gruppe A
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