DFB-Team - Thomas Müller hält Grundsatzrede mit Blick auf die WM: Vorbild Real Madrid

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Nach dem 3:3 der deutschen Nationalmannschaft in London gegen England hat Thomas Müller eine beachtliche Grundsatzrede gehalten. Tenor: Für eine erfolgreiche Weltmeisterschaft war es ziemlich egal, was in dieser Länderspiel-Periode passiert ist.

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Wegen seiner intensiven Kommunikation während den Spielen wird Thomas Müller gerne "Radio Müller" genannt. Am Montagabend bekam er auf dem saftigen Grün des Wembley-Stadions gegen England aber nur eine arg beschränkte Sendezeit. Müllers Startplatz ging an Jamal Musiala, den er erst für die letzten elf Minuten ersetzte. Insofern hatte der 33-Jährige anschließend noch genügend Worte für eine beachtliche Grundsatzrede übrig.

Vorab der Vollständigkeit halber: Deutschland spielte bei der abschließenden Nations-League-Partie gegen England eine Halbzeit lang tempo- und ideenlos Fußball, ging nach der Pause dank Treffern von Ilkay Gündogan und Kai Havertz mit 2:0 in Führung, geriet innerhalb von zwölf Minuten 2:3 in Rückstand und kam dank Havertz kurz vor Schluss zum 3:3.

Nach der 0:1-Niederlage gegen Ungarn am Freitag gelang somit auch beim zweiten Spiel dieser Länderspiel-Periode kein Dreier. Den Gruppensieg und damit verbundenen Einzug ins Final-Four-Turnier der Nations League verpasste Deutschland. Enttäuschend waren aber nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Leistungen. Rund zwei Monate vor WM-Start ist die nationale Fußball-Öffentlichkeit entsprechend besorgt über die Leistungsfähigkeit der deutschen Nationalmannschaft. "Sorgen" äußerte übrigens auch Doppeltorschütze Havertz.

Thomas Müller: "Für den Ausblick war das nicht relevant"

Nicht besorgt wirkte dagegen Müller, als er lächelnd in die Mixed Zone spazierte. "Wenn ich ganz ehrlich sein muss: Für den Ausblick war das nicht relevant", erklärte er und meinte damit natürlich den Ausblick auf die WM. Später sagte er noch: "Die Gefühle, die wir heute haben, werden nicht darüber entscheiden, wie wir das erste WM-Spiel angehen. Dementsprechend ist mir das Gefühl, das wir heute haben, völlig egal." Und: "Wir haben uns vorgenommen, ins Final-Four einzuziehen. Das haben wir verfehlt. Das wird aber in keinster Weise damit zu tun haben, wie wir in diese Weltmeisterschaft gehen."

Was Müllers Meinung nach dagegen sehr wohl damit zu tun haben wird: Wie es für die zahlreichen individuell kriselnden Nationalspieler bis dahin bei ihren jeweiligen Klubs läuft und ob sich die Mannschaft anschließend einen entsprechenden Turnier-Geist heraufbeschwören kann. Entscheidend sind laut Müller Form und Emotionen, nicht die Leistungen bei den zurückliegenden Länderspielen.

DFB: Hansi Flick muss auf die Klub-Trainer vertrauen

Tatsächlich bleibt im Kreise der Nationalmannschaft bis zum WM-Start ohnehin keine Zeit, die vielen offensichtlichen Problemfelder gemeinsam zu bearbeiten. Anders als bei allen bisherigen Sommer-Turniern gibt es diesmal keine mehrwöchige Vorbereitung. Zwischen dem nächsten Zusammentreffen am 14. November und dem ersten Gruppenspiel gegen Japan am 23. steigen exakt sechs Trainingseinheiten und ein Testspiel im Oman. Es ist illusorisch, dass im Zuge dessen mehr Tempo und Witz gegen massierte Defensiven einstudiert wird oder, dass sich die Defensive auf einmal einen Zu-Null-Modus antrainiert.

Grundsätzlich verfügen alle Nationalspieler über die dafür nötigen Fähigkeiten, sie gehören nur wieder freigelegt. Dafür muss Flick in erster Linie auf die Eigenmotivation der Spieler sowie die Arbeit ihrer jeweiligen Klub-Trainer hoffen, allen voran selbstverständlich auf den Münchner Julian Nagelsmann. Vom FC Bayern werden schließlich sieben größtenteils essentiell wichtige Spieler im deutschen WM-Kader stehen.

Bis dieser benannt wird, haben sie noch rekordverdächtige 13 Spiele in nicht einmal 50 Tagen zu absolvieren. In dieser Zeit müsse laut Müller das zuletzt sowohl beim FC Bayern als auch bei der Nationalmannschaft vermisste "natürliche Selbstverständnis" zurückgeholt werden. "Damit meine ich nicht das Grundvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sondern Kombinations-Sicherheiten und Abläufe, auf die man zurückgreifen kann", erklärte Müller. "Es wäre cool, wenn wir uns das erarbeiten könnten."

Thomas Müller: Eigene Historie und Real als Vorbilder

In der darauf folgenden kurzen WM-Vorbereitung "müssen wir unsere Kräfte bündeln, mit Selbstvertrauen an die Sache ran gehen und diesen deutsche Turnier-Mannschafts-Mythos aufleben lassen". Keine Nationalmannschaft schafft es traditionell gesehen besser als die deutsche, bei einem Turnier auf den Punkt voll da zu sein.

Neben der eigenen Historie orientiert sich Müller aber auch an einer aktuellen Klub-Mannschaft. "Real Madrid kann ein Vorbild sein", verkündete er. "Da läuft auch nicht immer alles brillant, aber sie behalten den Kopf oben und den Glauben an sich selbst." Obwohl Carlo Ancelottis Mannschaft in der letztjährigen Champions-League-Saison in mehrere aussichtslos erscheinende Situationen geraten war, gewann sie am Ende den Titel.

"Es geht auch nach Dingen, die nicht so gut gelaufen sind, immer darum, wieder aufzustehen", betonte Müller. "Es geht darum, die confidence zu behalten." Diese Worte waren wohl einerseits an seine Mitspieler gerichtet, andererseits aber auch an die besorgte deutsche Fußball-Öffentlichkeit.

England - Deutschland: Statistik zum Spiel

England - Deutschland 3:3 (0:0)

Tore0:1 Gündogan (52., Elfmeter), 0:2 Havertz (67.), 1:2 Shaw (71.), 2:2 Mount (75.), 3:2 Kane (83., Elfmeter), 3:3 Havertz (87.)
Aufstellung EnglandPope - Maguire, Stones (37. Walker), Dier - James, Rice, Bellingham (90.+1. Henderson), Shaw - Foden (66. Saka) - Sterling (66. Mount), Kane
Aufstellung DeutschlandTer Stegen - Kehrer, Süle, Schlotterbeck, Raum (68. Gosens) - Kimmich, Gündogan - Hofmann (46. Werner), Musiala (79. Müller), Sané (68. Gnabry) - Havertz (90.+.1. Bella Kotchap)

Vor der WM: Auch andere Favoriten kriseln

Für die hatte Müller dann gleich noch eine vermeintlich aufmunternde Botschaft parat: Den anderen geht es auch nicht besser! "Grundsätzlich sieht man, dass in den A-Ligen der Nations League - ich habe jetzt nicht so viele B-Liga-Spiele gesehen - die vermeintlichen Favoriten Probleme haben."

In der Tat: Die Engländer wird Müller bald gar nicht mehr sehen, weil sie in die B-Liga abgestiegen sind. Frankreich ist diesem Schicksal nur knapp entronnen. Spanien hat zuletzt zuhause gegen die Schweiz verloren, Italien sogar die WM-Qualifikation verpasst. Portugal und die Niederlande führen ihre Nations-League-Gruppen immerhin an.

Von den traditionellen Fußball-Großmächten scheinen nur die südamerikanischen Schwergewichte Brasilien und Argentinien wirklich gut in Form zu sein - aber die spielen in der Nations League weder in der A- noch in der B-Liga mit.

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