Drei Thesen zum DFB-Team: Jogi Löw darf bleiben - was er bis zur EM ändern muss

Joachim Löw steht in der Kritik.
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Joachim Löw darf nach der 0:6-Blamage (hier gibt es die Video-Highlights) gegen Spanien als Bundestrainer weitermachen. Was muss sich spätestens bis zur EM im Sommer 2021 ändern? Drei Thesen. Nicht alle drehen sich um Personalfragen.

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1. Klares Spielsystem, klare taktische Vorgaben nötig

Löw probierte seit der WM 2018 zwei verschiedene Spielsysteme aus: Zum einen ein auf mehr Konter ausgelegtes System mit drei Innenverteidigern (in einer 3-5-2- bzw. 3-4-3-Grundordnung), zum anderen das auf etwas mehr Ballbesitz basierende mit zwei Innenverteidigern (4-2-3-1 bzw. 4-3-3).

Beide Systeme brachten nicht die erhoffte defensive Stabilität. Gegen Spanien versuchte es Löw mit einer Viererkette, die vor allem in Halbzeit zwei jedoch einer Zweierkette glich, weil die Außenverteidiger (Matthias Ginter rechts, Philipp Max links) ohne Sinn und Verstand derart weit aufrückten, dass nahezu jede Umschaltaktion der schnellen und technisch beschlagenen Iberer gefährlich wurde.

Das hing auch damit zusammen, dass die Angreifer eher semi-intensiv pressten und Toni Kroos und Ilkay Gündogan im Mittelfeld-Zentrum es nicht vermochten, die teils riesigen Löcher zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen zuzulaufen.

Es war ein taktischer Offenbarungseid der Löw-Elf, der mit Blick auf die vergangenen Länderspiele allerdings nicht ganz unerwartet kam. Ob schon während der EM-Qualifikation vor einem Jahr oder unlängst gegen stark limitierte Gegner wie Tschechien, Ukraine oder Türkei: Die deutsche Mannschaft zeigte sich immer wieder anfällig, weil sie immer wieder ein Sammelsurium an taktischen Fehlern anhäufte.

Die Abstände zwischen Angriff und Verteidigung waren eklatant.
© DAZN
Die Abstände zwischen Angriff und Verteidigung waren eklatant.

DFB-Team: Mittelfeld muss jederzeit wissen, was es tun soll

Löw hatte bei seiner Analyse der total missratenen WM 2018 den stark auf Ballbesitz ausgerichteten Fokus der Nationalmannschaft als Faktor für das Scheitern ausgemacht. Die DFB-Elf sollte fortan auf vertikales Umschaltspiel setzen. Doch die dafür nötigen Rezepte scheint das Trainerteam den Spielern nicht an die Hand gegeben zu haben. Die Folge: Das Spiel der Löw-Elf wirkte schon da total aus der Zeit gefallen.

Gegen eine internationale Top-Mannschaft wie die spanische kam dann auch noch ein spielerisches Armutszeugnis hinzu: Löws Mannen wussten sich ob des hohen Pressings oft nur mit hohen Bällen zu helfen, die über die alles andere als kopfballstarken Serge Gnabry, Leroy Sane und Timo Werner in der Offensive hinwegsegelten. Der spanische Keeper Unai Simon wurde nicht einmal ernsthaft geprüft, die einzige Chance hatte Gnabry in der 76. Minute mit einem Schuss ans Lattenkreuz.

"Spanien hat uns alles vorgemacht: mit Ball, ohne Ball", bilanzierte Kroos. Löw indes gab zu, seine Mannschaft habe nach dem ersten Gegentor durch Alvaro Morata in der 17. Minute ihr "Konzept verlassen" und sei "irgendwie irgendwo rumgelaufen".

Wenn es bei der EM im nächsten Jahr in der Vorrunde gegen die nicht minder beschlagenen Franzosen und Portugiesen geht, braucht der 60-Jährige ein klares Spielsystem mit klaren taktischen Vorgaben. Gerade das Herzstück der Mannschaft, das Mittelfeld, muss zu jeder Zeit des Spiels wissen, was es tut. Das darf man eigentlich auch von international gestandenen Spielern wie Kroos und Gündogan erwarten. Zumal mit dem derzeit verletzten Joshua Kimmich und Leon Goretzka, der gegen Spanien oft halbherzig im Nirgendwo presste und so den Abstand zu seinen Mitstreitern Kroos und Gündogan unnötig vergrößerte, ja auch noch zwei weitere Akteure der obersten Güteklasse zur Verfügung stehen, die jede andere Top-Nation mit Handkuss nehmen würde.

2. Der Abwehr würde ein Rückkehrer guttun

Ebenso wie über die Qualität im Mittelfeld lässt sich auch nicht über die des Angriffs streiten. "Sane, Gnabry, Werner - sie haben hervorragende Stürmer", lobte Spaniens Trainer Luis Enrique die deutsche Offensive vor dem Spiel. Sicherlich müssen auch in diesem Bereich noch gewisse Automatismen geschärft werden, personell betrachtet liegt Löw größte Baustelle jedoch in der Defensive.

Zum Glück hat die deutsche Mannschaft Manuel Neuer, sonst wäre die höchste Niederlage seit 1931 noch höher ausgefallen. Beim Duell mit Spanien wurden die eklatanten Schwächen in der Viererkette erschreckend deutlich. Begonnen bei den Außenverteidigern, die im Fall von Ginter entweder offensiv zu wenig beitragen oder im Fall von Max defensiv auf diesem Level (noch) nicht mithalten können.

Man könnte jetzt natürlich das Argument anbringen, dass mit Thilo Kehrer, Lukas Klostermann, Marcel Halstenberg und Robin Gosens vier Spieler für die defensiven Außenbahnen verletzt fehlten. Allerdings sind auch sie (noch) nicht auf europäischem Spitzenniveau anzusiedeln. Deutschland hat ein Außenverteidigerproblem, das auch bis zur EM anhalten wird. Angesichts der vielen Optionen im Mittelfeld und der wenig überzeugenden auf den Außenverteidigerpositionen muss man sich fast schon die Frage stellen, ob Kimmich nicht lieber wieder hinten rechts verteidigen sollte.

DFB-Team: Löw sollte bei Nominierung zum Leistungsprinzip zurückkehren

Die Unsicherheit zieht sich aber auch durch die Innenverteidigung, während auf die übrigen Optionen Ginter, Antonio Rüdiger, Jonathan Tah und Emre Can mal mehr, mal weniger Verlass ist. Rüdiger (FC Chelsea) und Tah (Bayer Leverkusen) zum Beispiel sind derzeit nicht einmal Stammspieler bei ihren Vereinen.

Hier könnte eine Reaktivierung von Mats Hummels und/oder Jerome Boateng Abhilfe schaffen. Beide Spieler verfügen nicht nur über die nötige Erfahrung, sondern auch wieder über die Form, der sie zum Zeitpunkt ihrer Ausbootung hinterherliefen.

Löw sollte das bei seiner Fehleranalyse berücksichtigen und zum Leistungsprinzip zurückkehren - auch wenn die persönlichen Risse zwischen ihm und den beiden 2014-Weltmeistern möglicherweise zu tief sind und es deshalb aus Gründen des Stolzes schwierig für ihn wäre, diesen Schritt zu wagen.

3. Führung beginnt nicht an der Seitenlinie

Kapitän Neuer sprach es schon vor dem Spanien-Spiel an: "Wir müssen auf dem Platz untereinander mehr kommunizieren."

Im menschenleeren Olympiastadion wurde klar, was der 34-jährige Routinier meinte. Er war nämlich der einzige, der permanent lautstarke Anweisungen gab. Das konnte so manch anderer auf dem Platz vermutlich nicht, weil er außer Puste war von den vielen unnötigen, weil planlosen Läufen. Das Kommunikationsproblem beim DFB ist nach den Erfahrungen der letzten Länderspiele kein neues Phänomen. "Man hat nur die Spanier gehört, das war erschreckend", wunderte sich hinterher auch Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger.

In-Game-Coaching gehört im modernen Fußball dazu

Beim DFB sollte sich niemand mehr vor Verantwortung scheuen. Verantwortung übernimmt man zwar hauptsächlich, indem man seine Leistung bringt, aber eben auch, indem man verbale Präsenz zeigt. Es geht gewiss nicht darum, nach dem Vorbild Stefan Effenberg "dazwischenzuhauen", sondern sich auf dem Rasen gegenseitig zu führen.

Zu welch wichtigem Faktor In-Game-Coaching im modernen Fußball gerade bei Geisterspielen werden kann, zeigt sich am Beispiel des FC Bayern. Hansi Flick hat seinen Spielern eingeimpft, ständig miteinander zu sprechen. Das beherrscht allen voran Thomas Müller, noch so ein aussortierter 2014-Weltmeister. Für Löw wäre wohl vieles leichter, hätte er einen solchen Lautsprecher in seiner Mannschaft. Unabhängig von einer möglichen Müller-Rückkehr muss aber auch der Bundestrainer selbst endlich wieder auftauen, anstatt teilnahmslos von der Bank aus zuzusehen. Erst recht, wenn seine Mannschaft wie gegen Spanien mal wieder irgendwie irgendwo rumläuft.

Joachim Löw: Seine Bilanz gegen Spanien:

Spiele6
Siege1
Unentschieden2
Niederlagen3
Tore3:10