Joti Chatzialexiou vom DFB im Interview: Das sind die Probleme des deutschen Fußballs

Joti Chatzialexiou sieht Nachholbedarf im deutschen Fußball.
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Joti Chatzialexiou ist erst 43, aber schon ein Urgestein des DFB: 2003 fing der Deutsch-Grieche als Mitarbeiter im Generalsekretariat des Verbandes an, seit 2018 ist er Sportlicher Leiter der Nationalmannschaften.

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Vor dem Klassiker in der EM-Qualifikation gegen die Niederlande (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) spricht Chatzialexiou im Interview mit SPOX und Goal über die Probleme des deutschen Fußballs.

Dabei übt er vor allem Kritik an der Ausbildung von Kindern und an Trainern, die "Fehlervermeidungsstrategien" dem Spaß am Spiel vorziehen. Außerdem erinnert er sich an die Zusammenarbeit mit Matthias Sammer zurück, zollt Miroslav Klose Respekt und erklärt, weshalb der kommende DFB-Präsident Fritz Keller ein Gewinn für den Verband ist.

Herr Chatzialexiou, drehen wir mal 20 Jahre zurück: War Ihnen damals schon klar, dass Sie eines Tages beim DFB landen?

Joti Chatzialexiou: Ich war von klein auf ein Fußballfanatiker, wollte aber eigentlich immer Trainer werden. Das war ich nach meinem Sportstudium in Frankfurt dann ja auch lange im Jugendbereich von Eintracht Frankfurt und durfte talentierte Jungs wie Emre Can oder Marko Marin in ihrer Entwicklung begleiten. Ich habe aber noch heute die Worte meiner Eltern im Ohr: "Ach, was willst du mit einem Job als Trainer? Mach' doch mal was Vernünftiges!" Also bin ich 2003 über ein Bewerbungsverfahren beim DFB gelandet. Ich habe klein angefangen und von der Pike auf gelernt, was Verbandsarbeit mit sich bringt.

Wie kann man sich die Arbeit beim DFB vorstellen?

Chatzialexiou: Sehr spannend. Man lernt sehr viel, weil man sich täglich mit vielen erfahrenen Persönlichkeiten austauscht - ob nun in der Vergangenheit mit Horst Hrubesch oder mittlerweile mit Oliver Bierhoff oder Joachim Löw. Dass die Expertise beim DFB hoch ist, habe ich schon früh gemerkt, als ich Sportdirektoren wie Matthias Sammer, Robin Dutt oder Hansi Flick sehr intensiv zugearbeitet habe. Seit eineinhalb Jahren stehe ich selbst in der Verantwortung, bin aber genauso auf die Unterstützung der Leute um mich herum angewiesen wie damals Matthias, Robin oder Hansi. Anders geht es nicht.

Reporter Kerry Hau traf Joti Chatzialexiou (r.) zum Interview in der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main.
© SPOX/Goal
Reporter Kerry Hau traf Joti Chatzialexiou (r.) zum Interview in der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main.

Ihr Aufgabengebiet ist breit gefächert. Wie würden Sie Ihre Vision kurz und knapp beschreiben?

Chatzialexiou: Meine Vision lautet, das Ansehen des deutschen Fußballs zu stärken. Und damit meine ich nicht nur das der Nationalmannschaften. Es geht neben der Förderung der Elite auch darum, der Basis etwas zurückzugeben.

Wie meinen Sie das?

Chatzialexiou: Der DFB versteht sich nicht als Ausbilder. Dazu bietet sich nicht die Zeit, die Spieler haben ja nur wenige gemeinsame Trainingseinheiten. Die Vereine bilden aus, wir bilden fort. Umso wichtiger ist es, dass wir mit den Vereinen kooperieren, um eine bestmögliche Ausbildung von Kindesbeinen an zu garantieren.

Joti Chatzialexiou: "Kinder sind keine Mini-Erwachsene"

Was muss sich bei der Ausbildung der Kinder verändern?

Chatzialexiou: Wir brauchen mehr Offenheit und Neugier in Bezug auf Wettbewerbe und Spielformen. Kinder sind keine Mini-Erwachsene, viele Trainer lassen aber schon sehr früh sehr spielkonzeptionell und mannschaftsorientiert trainieren. Wir sind überzeugt, dass die Kinder mehr Ballkontakte und Erfolgserlebnisse brauchen, dass sie mehr eigene Entscheidungen treffen müssen, um sich spielerisch weiterzuentwickeln.

Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gekommen?

Chatzialexiou: Wir betreiben viel Benchmarking im Ausland und stellen fest, dass andere Nationen individuell besser ausgebildete Spieler haben - sowohl in der Defensive, als auch in der Offensive. Sie fördern mehr Eins-gegen-eins-Situationen als wir in Deutschland. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Beim Sieben-gegen-sieben rennen 14 Kinder einem Ball hinterher. Dadurch entstehen keine Spieldynamik und Fantasie. Im Gegenteil: Einige Jungen und Mädchen verlieren schnell die Lust am Fußball, weil sie zu selten an den Ball kommen. Ich schaue mir im Jahr über 100 Spiele an und höre auf manchen Sportplätzen schon in der F-Jugend Trainer oder Elternteile rufen: "Abspielen! Verschieben!" Da denke ich mir: Lasst die Kinder doch einfach mal Fußball spielen.

Wie soll die "fehlende Bolzplatzmentalität", wie sie der DFB beklagt, wieder zurückkommen?

Chatzialexiou: Die Bolzplatzmentalität aus meiner Jugend lässt sich nicht zurückholen, da stand der Vereinsfußball noch nicht so sehr im Vordergrund wie heute. Aber wir können die Individualität fördern, wenn wir kleinere Spielformen wie das Zwei-gegen-zwei oder das Drei-gegen-drei in den Vereinen spielen lassen, damit die Kinder wieder das bekommen, was in ihrem Alter am Wichtigsten ist: viele Ballkontakte, viele Zweikämpfe, viele Torsituationen und dadurch automatisch mehr Spaß am Spiel.

Für solche Spielformen bräuchte man dann in den Vereinen aber auch mehr Betreuer, oder?

Chatzialexiou: Warum? Das ist nicht nötig. Wie haben wir denn früher auf der Straße gespielt?

Ohne Trainer, ohne Schiedsrichter.

Chatzialexiou: Richtig. Wir hatten keine Aufpasser, es gab nicht einmal eine Altersbeschränkung. Ich kann mich auch noch an meine Zeit bei der Eintracht erinnern, als ich die Jungs ab und zu im Training auch mal nur spielen lassen habe und danach Elternteile zu mir gekommen sind und mich gefragt haben: "Was haben die heute überhaupt gemacht?" Ich habe dann geantwortet: "Die haben Fußball gespielt." Es ist alles andere als kontraproduktiv, ab und zu auch mal unangeleitet zu trainieren.

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