BVB, 10 Jahre nach dem Wunder gegen Malaga - "Kann immer noch die Magie fühlen": Julian Schieber im Interview

Julian Schieber, Ilkay Gündogan
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Am 9. April 2013 zog Borussia Dortmund mit einem 3:2-Sieg gegen den FC Malaga ins Halbfinale der Champions League ein. Das klingt auf den ersten Blick recht nüchtern. Doch der Erfolg des BVB gegen die Spanier kam auf dramatische Art und Weise zustande, wodurch das Spiel Einzug in die Vereinsgeschichte erhielt.

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Nach einem 0:0 im Hinspiel ging der BVB als Favorit in sein Heimspiel gegen den vermeintlich schwächsten Gegner in der Runde der letzten Acht. Doch Malaga spielte wie aus einem Guss - und ging nach dem Pausenstand von 1:1 in der 82. Minute erneut in Führung. Dem Treffer ging allerdings eine Abseitsposition voraus, die Schiedsrichter Craig Thomson aus Schottland übersah.

Die 90 Minuten waren bereits vorüber, als Dortmund durch Marco Reus in der ersten Minute der Nachspielzeit zum 2:2 kam. Da damals die Auswärtstorregel noch galt, wäre der BVB bei diesem Spielstand ausgeschieden. Doch nur 69 Sekunden später drückte Innenverteidiger Felipe Santana den Ball aus kurzer Entfernung zum 3:2-Sieg über die Linie. Auch dieser Treffer wäre eigentlich Abseits gewesen.

Das interessierte im Signal Iduna Park jedoch niemanden. Das Stadion explodierte förmlich, alle Dortmunder lagen sich in den Armen. Am Ende schaffte es der BVB, im Halbfinale Real Madrid auszuschalten, verlor das Endspiel jedoch mit 1:2 gegen den FC Bayern München.

Zehn Jahre nach dem Wunder gegen Malaga blickt der damalige BVB-Stürmer Julian Schieber, der die Vorlage zum entscheidenden Treffer gab, im Interview mit SPOX und GOAL zurück.

Der entscheidende Moment: Felipe Santana schiebt nach Vorlage von Julian Schieber den Ball ins Tor.
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Herr Schieber, das legendäre Spiel gegen den FC Malaga liegt nun genau zehn Jahre zurück. Wie blicken auf dieses Jubiläum?

Julian Schieber: Es fühlt sich sehr weit weg an. Dennoch war ich überrascht, als Sie mir sagten, dass das jetzt schon zehn Jahre sind. Obwohl dieses Spiel ja eigentlich seither in jedem Jahr eine gewisse mediale Präsenz bekommt. Ich merke es auch jetzt wieder: Sobald ich daran denke, kommt alles wieder hoch. Ich habe gerade auch echt Gänsehaut bekommen. Das war einfach ein Spiel für die Ewigkeit.

Der Wahnsinn von Dortmund: Die SPOX-Analyse vom 9. April 2013

Was kommt als erstes in Ihnen hoch, wenn Sie daran denken?

Schieber: Es war positiv, es war explosiv, es war wunderschön, es war in Dortmund, es war vor 80.000 und ich war mit dabei - das alles zusammen ist nur noch episch. Wenn man sich als kleiner Bub im Traum ein Spiel malen würde, dieses käme heraus. Dieser Abend hat unsere Herzen berührt. Die Partie hat die, die dort dabei waren, für immer auf unterschiedliche Weisen verbunden. Nicht nur innerhalb des Vereins, auch die Fans. Ich habe keine Standleitung zu Jürgen Klopp, aber wenn wir mal Kontakt haben, erwähnt er Malaga immer.

Es ist also auch eine große Portion Stolz für Sie dabei, Teil dieses Abends gewesen zu sein?

Schieber: Natürlich. Vor allem in der Hinsicht, dass dieses Spiel Einzug in die BVB-Vereinsgeschichte erhalten hat. Die Dortmunder reden mich schon im Urlaub nur deswegen an, wenn ich mal Fans treffe. Das ist immer das erste Thema.

Können Sie denn die unvermeidliche Frage überhaupt noch hören?

Schieber: Ich kann sie noch hören, kein Problem. (lacht)

BVB-Stürmer Julian Schieber bejubelt den Sieg gegen den FC Malaga im Jahr 2013.
© imago images

Na gut: Wie sehr ärgert es Sie, dass Felipe Santana das Ding zum 3:2 noch über die Linie drückte und nicht Sie der Siegtorschütze geworden sind?

Schieber: Seien wir froh, dass es damals noch keinen Videobeweis gab... Es wäre sicher schön gewesen, wenn hinter diesem Tor mein Name in den Geschichtsbüchern stehen würde. Viele haben deshalb aber mehr Mitleid mit mir, als ich mit mir selbst. Letztlich war und bin ich mit ganzem Herz einfach Fußballer. Der mögliche Torschütze Schieber ist scheißegal, weil es um die Bilder, die Emotionen und die Erinnerungen geht. Und die sind seitdem tief in mir drin.

Nuri Sahin hat einmal erzählt, als Malaga das 2:1 erzielte - dem genauso eine Abseitsstellung vorausging wie dem Dortmunder 3:2 -, habe er in Marcel Schmelzers Augen den unbändigen Willen und totalen Glauben daran gesehen, dass man das Spiel noch drehen würde. Wie haben Sie Ihre Mitspieler nach dem Rückstand wahrgenommen?

Schieber: Eine solch konkrete Erinnerung habe ich jetzt nicht parat, aber ich kann immer noch die Magie fühlen, die in den Schlussminuten auf dem Feld herrschte. Obwohl es zwischenzeitlich eigentlich aussichtslos war, habe ich gespürt, dass trotzdem noch jeder daran glaubt. Dazu das irrsinnig laute Stadion im Rücken - das war eine andere Energie als sonst.

Wie ging es nach Schlusspfiff in der Kabine zu?

Schieber: Da war wirklich die pure Ekstase. Wir saßen alle mit leuchtenden Augen da, wie in Trance. Wir wussten eigentlich gar nicht, was da gerade passiert war, aber es war ja tatsächlich passiert. Wir waren eine solche Einheit und ein eingeschworenes Team, da entlud sich bei jedem die reine Glückseligkeit.

Wie wurde anschließend gefeiert?

Schieber: Michael Zorc war an erster Stelle und hat uns in die Marlene Bar geschleppt. Das war eine kleine Kneipe, die einem befreundeten BVB-Fan gehörte, aber nicht immer offen hatte. An diesem Abend hat er sie natürlich aufgeschlossen. Dort haben wir uns unter die Fans gemischt, auch Kloppo war mit dabei. Ich weiß noch genau, wie sein Sohn zu mir sagte: Du musst die Feste feiern, wie sie fallen. Nicht nur dort, in der gesamten Stadt herrschte losgelöste Stimmung. Wir sind sehr spät ins Bett gegangen. (lacht)

Pure Ekstase: Die BVB-Spieler feierten den Sieg gegen Malaga ausgiebig.
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Wie würden Sie die Chemie innerhalb der damaligen Mannschaft beschreiben?

Schieber: Die war der Wahnsinn, was natürlich auch daran lag, dass man zuvor die Meisterschaft sowie das Double holte und vom Erfolg geküsst war. Dass es aber trotz der vielen Termine und Reisen einen solchen Zusammenhalt gab, war einzigartig. Wir haben bei Mats Hummels zusammen Champions League geschaut, Marco Reus lud zum Grillabend auf seine Terrasse, wir hockten bei Sven Bender im Garten, waren gemeinsam Essen in der Stadt oder Feiern in Düsseldorf - es war alles dabei. Wir waren auch stets in großer Anzahl unterwegs. Gerade Sebastian Kehl als Kapitän war in dieser Hinsicht sehr wichtig, weil er den ganzen Laden mit den jungen und älteren Spielern zusammengehalten hat.

War das der beste Teamgeist, den Sie in Ihrer Karriere erlebt haben?

Schieber: Ja. Das Besondere war eben auch, dass ich mich in meinem zweiten und letzten Jahr, als ich wenig spielte, immer dazugehörig gefühlt habe. Es war einfach eine besondere Mannschaft.

Sie haben mit Blick auf Ihre gesamte Zeit in Dortmund einmal gesagt: "Ich war vom Kopf her nicht so weit und eingeschüchtert von der Kulisse, konnte mein Spiel nicht auf den Platz bringen." Wie haben Sie das gemeint?

Schieber: Was ich damit sagen wollte war, dass ich trotz meines Alters und der Vorerfahrungen gar nicht wahrnehmen konnte, wie groß das Ganze eigentlich war. In der zweiten Saison ging mein Selbstvertrauen flöten. Durch die geringe Spielzeit habe ich mir dann, wenn ich mal ran durfte, den Druck gemacht, Leistung erzwingen zu müssen. Das ist mir aber natürlich nicht so gut gelungen.

Mit welchen Ihrer damaligen Mitspieler haben Sie heute noch den engsten Draht?

Schieber: Mit Ilkay Gündogan, weil er ein sehr guter, langjähriger Freund ist. Ansonsten besteht vereinzelt noch guter Kontakt mit Leo Bittencourt oder Mats Hummels, Sven Bender lud mich zu seiner Hochzeit ein. Ich könnte auch noch mehr nennen. Ich tausche mich immer wieder mit den Jungs von damals aus. Auch dahingehend hat diese tolle Zeit ein verbindendes Element geschaffen.

Was ist Ihre liebste Klopp-Anekdote?

Schieber: Die eine alles überragende Geschichte gibt es für mich nicht. Es ist einfach schön zu wissen, dass man relativ schnell eine Antwort bekommt, wenn man ihm schreibt - obwohl es vielleicht nur drei-, viermal im Jahr ist. Ich habe ihm nach dem 7:0 gegen Manchester United geschrieben und mich im Namen meines Sohnes bedankt, dass nicht nur ständig von Kylian Mbappé geschwärmt wird, sondern es auch noch andere Vereine gibt, die etwas Magisches zustande bringen. Da hat er schmunzeln müssen. Jürgen polarisiert sicherlich in alle Richtungen, aber er ist extrem bodenständig geblieben und einfach ein toller Mensch. Ich vermisse tatsächlich sein extrem lautes Lachen. Wenn er in einen Raum kam, hat er ihn mit seinem Lachen und der unverwechselbaren Aura gefüllt.

Geschafft: Jürgen Klopp herzte nach dem Wunder gegen Malaga auch den damaligen BVB-Stürmer Robert Lewandowski.
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Um Ihren Kumpel Gündogan ranken sich seit längerer Zeit Wechselgerüchte, allen voran zum FC Barcelona. Manche BVB-Fans träumen auch von seiner Rückkehr nach Dortmund. Was halten Sie für wahrscheinlicher?

Schieber: Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass sein Vertrag ausläuft und Gespräche geführt werden. Er will unbedingt die Champions League gewinnen, das ist sein großer Traum. Die Chance hat er in diesem Jahr noch. Er steht am Höhepunkt seiner Karriere und ist Kapitän einer atemberaubenden Mannschaft. Ich hoffe für ihn, dass er auf diesem Top-Niveau noch einmal einen Vertrag unterschreiben wird und mit seiner neuen, kleinen Familie die richtige Entscheidung trifft - ob in England, Spanien oder wieder in Deutschland. Ich kann die Hoffnungen der BVB-Fans aber nicht bestätigen. (lacht)

Sie selbst arbeiten aktuell als Chefcoach der U17 bei der SG Sonnenhof Großaspach und gehören dort auch zum Trainerteam der ersten Mannschaft. Begonnen haben Sie Ihre Karriere als Coach 2021 bei Ihrem Heimatverein TSG Backnang als Co-Trainer. Wie kam es, dass Sie nach einem Jahr gewechselt sind?

Schieber: Mein Plan war, in meiner Heimat die ersten Berührungspunkte mit dem Trainerdasein im gehobenen Amateurbereich zu sammeln. Damals hatte ich auch noch nicht die Jugend-Elite-Lizenz. Die habe ich mit dem Wunsch im Hinterkopf absolviert, dadurch in den Jugendbereich zu kommen. Es hat dann wunderbar gepasst, dass Sonnenhof einerseits im Nachwuchs sehr gut aufgestellt ist und in höheren Ligen spielt, ich andererseits nur zehn Minuten zur Arbeit fahren muss und mich daher weiter bei meiner Familie aufhalten kann. Wir spielen mit der U17 in der Oberliga Baden-Württemberg. Danach kommt auch schon die Bundesliga. Da treffen wir auf die Teams von Karlsruhe, Stuttgart, Hoffenheim, Freiburg, Heidenheim oder Sandhausen - das ist für uns ein enorm hohes Niveau.

Wie blicken Sie in die Zukunft - wollen Sie weitere Trainer-Lizenzen erwerben?

Schieber: Ich will erst einmal weitere Erfahrung auf dem aktuellen Niveau sammeln und fühle mich im Jugendbereich bisher gut aufgehoben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich die nächsthöhere Stufe im Jugendbereich und danach den normalen A-Schein angehen werde. Meine erste Station als Cheftrainer gefällt mir sehr gut. Ich genieße gerade auch die Kombination, außerdem im Trainerteam der ersten Mannschaft als vollwertiges Mitglied mitzuarbeiten.

Und wie steht es um die Kirche, die Sie 2018 gekauft haben?

Schieber: Da wird 2023 endlich etwas passieren. Ursprünglich wollte ich sie zu einem Einfamilienhaus oder einer bewohnbaren Kirche umbauen. Das habe ich jedoch nicht durchgezogen, weil der Hausbau in der Heimat dann doch schneller voranging. Momentan ist sie eher ein Lager für Freunde und mich. Ich habe mir für dieses Jahr aber vorgenommen, alles leer zu räumen und daraus eine Wohneinheit zumachen. Ob das am Ende eine WG oder ein Einfamilienhaus wird, weiß ich aber noch nicht.

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