Wenig Ertrag und viel verlorene Substanz: Warum Jadon Sancho beim BVB nicht funktioniert

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Jadon Sancho hat am Wochenende das vierte schwache Spiel in Folge für Borussia Dortmund abgeliefert. Der von Manchester United ausgeliehene Flügelspieler funktioniert bislang nicht beim BVB.

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In der Literatur kann der Zeitbegriff, also die Vorstellung von der Zeit oder ihrer Dauer, recht dehnbar sein und je nach Genre unterschiedliche Ausmaße annehmen. Im Profifußball ist das auch möglich, wenngleich ja vielerorts seit Jahren rigoros betont wird, dass man in dieser Branche eines genau nicht hat: Zeit.

Bei Borussia Dortmund scheinen sich auch Unterschiede über die Lesart des Begriffs ergeben zu haben. Zumindest konterkarierte Sportdirektor Sebastian Kehl bei seinem Auftritt im Sport1-Doppelpass am Sonntag schon arg die Aussagen von Trainer Edin Terzic, als dieser kurz nach Verkündung des Leihgeschäfts mit Jadon Sancho über seine Erwartungen an den Rückkehrer sprach.

"Wir sind bereit, ihm die Chance zu geben, zu zeigen, dass er es noch mal kann, dass er noch lange nicht fertig ist", sagte Terzic bei Sky und ließ darauf mit viel Pathos keinen Zweifel aufkommen, dass der Engländer in Bälde zu funktionieren habe: "Aber ich habe keine Zeit. Er hat keine Zeit. Wir haben keine Zeit. Also, wenn er hier hinkommen will und Zeit fordert, das geht nicht."

Das klang bei Kehl vor ein paar Tagen nun beinahe gegenteilig: "Jadon ist zwar noch nicht der alte Jadon, das kann er nach sechs Monaten aber auch noch nicht sein. Man muss ihm Zeit geben, er ist für mich ein Unterschiedsspieler und wird für uns noch sehr wichtig werden in dieser Saison." Unklar blieb auch, welche sechsmonatige Zeitschiene Kehl genau meinte, denn Sancho ist ja erst seit zwei Monaten wieder zurück beim BVB.

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BVB: Jadon Sancho vom "absoluten Unterschiedsspieler" meilenweit entfernt

Der Punkt ist: Sancho funktioniert eben (noch) nicht in Dortmund, seine Ausleihe ging bislang nicht auf. Verständnis kann man für beide Standpunkte aufbringen: Kehls Aussage ist von Realismus geprägt und spiegelt das Gesehene der vergangenen Wochen wider, Terzics Hoffnung auf Soforthilfe war im Januar ebenso alternativlos.

Nun jedoch hat Sancho acht Pflichtspiele und 504 Einsatzminuten in den Beinen. Vom "absoluten Unterschiedsspieler", als der er von Kehl schon bei der Verpflichtung tituliert wurde, ist der 23-Jährige meilenweit entfernt. Der Unterschied bei ihm ist derzeit vielmehr, dass er mit dem "alten" Sancho, der zwischen 2017 und 2021 in 135 Pflichtspielen auf 114 Torbeteiligungen kam, nichts zu tun hat.

Beim Sieg gegen Union Berlin gehörte Sancho zu den schwächsten Dortmundern. Es war die vierte Partie in Serie, in der Sancho kaum ein Bein auf den Boden bekam. Stattdessen erhielt der BVB bis dato exakt das von Sancho, was auch am wahrscheinlichsten bei einem Spieler war, der über Monate kein Pflichtspiel bestritt und vom Profitraining abgeschnitten war: Frühzeitige muskuläre Probleme und damit einen 178-minütigen Ausfall gegen Heidenheim und Freiburg sowie einen Spieler, der wie seine aktuelle Mannschaft auf der Suche nach sich selbst und seiner Form ist.

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BVB: Jadon Sancho hat massiv an Substanz verloren

Sancho konnte auf dem Platz realistisch betrachtet gar keine Soforthilfe sein oder auf Anhieb an den "alten" Sancho erinnern. Da hätte den BVB angesichts dessen Vorgeschichte höchstens ein glücklicher Zufall treffen müssen, der ähnlich wahrscheinlich und glücklich hätte sein müssen wie ein finanziell eklatantes Entgegenkommen von Manchester United bei den Verhandlungen über Sanchos Zukunft.

Dabei hatte es, wie allerdings oft bei solchen Rückkehraktionen, anfangs ja ganz vernünftig ausgesehen. Sancho lieferte bei seinem Debüt in Darmstadt direkt eine Vorlage, eine Woche später in Köln holte er nach einem Dribbling gegen zwei Gegenspieler einen wichtigen Elfmeter heraus. Es war wenig zu sehen von mangelnder Fitness, stattdessen wirkte der 23-malige Nationalspieler spielfreudig und aktiv in seinen Aktionen.

Diesem kurzen Hoch musste anschließend nicht nur Sanchos Körper Tribut zollen, sondern es folgte auch die momentane Phase der Formlosigkeit. Sancho ist in seinen Auftritten anzumerken, dass er nach seiner Suspendierung auf der Insel eben doch massiv an Substanz verloren hat.

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BVB: Jadon Sancho sucht die Eins-gegen-eins-Duelle zu selten

Dies betrifft in erster Linie die Psyche des Spielers: Ihm fehlen neben der Spielpraxis vor allem Überzeugung, Konsequenz und Durchschlagskraft. Gewillt ist Sancho in jedem Fall, gegen Wolfsburg sprintete er allein in den ersten 45 Minuten 21-mal. Von den Eins-gegen-eins-Duellen gewinnt er knapp mehr als die Hälfte - doch er sucht sie noch zu selten.

Es hat fast ein wenig den Anschein, als würde er sich nicht so recht in diese Situationen trauen. Das wäre zunächst zu verschmerzen gewesen, schließlich konnte Sancho des Selbstverständnis nur fehlen. Jetzt aber, bei mittlerweile fast zweistelliger Anzahl an Spielen, müsste es leichter für ihn von der Hand gehen.

Doch das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Ist Sancho an der Kugel, geht von ihm wenig Ertrag aus. Er rennt sich meist fest und bleibt hängen, dadurch generiert er keine Tiefe für das Team und Platz für sein hohes Tempo. Finesse, Ideen, Überraschendes - von Sancho bislang Mangelware. In einer Mannschaft ohne Flow fehlt Sancho der Flow.

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Jadon Sancho beim BVB: "Wir wissen, dass er noch Luft nach oben hat"

"Jadon war bemüht, hat viel versucht, war aber vielleicht hier und da etwas unglücklich. Ihm sind einige Bälle versprungen. Wir haben den höchsten Anspruch an diesen Jungen, den hat er aber auch an sich selbst", sagte Kehl nach dem 1:1 in Eindhoven in der Champions League. "Jadon hat es, wie wir alle nicht geschafft, an sein Maximum heranzukommen. Wir wissen, dass er noch Luft nach oben hat und werden ihn unterstützen", sprach Terzic.

In der aktuellen Form des Engländers und der weiterhin angespannten sportlichen Situation muss der Coach gut nachdenken, wie er mit Sancho künftig verfahren möchte. Einerseits hofft man gewiss auf einen Ketchup-Effekt bei ihm, auf der anderen Seite blockiert Sancho auch einen ähnlichen Spielertypen wie Jamie Bynoe-Gittens, dem in den drei Januar-Partien drei Assists gelangen und der sich auf einem ordentlichen Weg befand, zuletzt aber viermal in Folge auf der Bank saß.

Es ist kein Wunder, dass Sancho noch Zeit braucht, die der BVB nicht hat. So muss er nun in künftigen Auftritten vor allem den Mut wiederfinden, der ihn neben den herausragenden Statistiken in seiner ersten Dortmunder Zeit auszeichnete. Sancho muss die Dribblings wieder zielstrebiger und überzeugter suchen, damit er erneut so belohnt werden kann wie bei der Elfmeter-Situation in Köln.

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Jadon Sancho: Zukunft beim BVB nur mit "einer Menge Geld"

Nach aktuellen Stand stehen für die Borussia noch elf Begegnungen an. Viele Gelegenheiten werden sich Sancho somit nicht mehr bieten, um sich für United, andere Klubs oder gar eine Zukunft in Dortmund zu empfehlen.

"Am Ende wird es Geld brauchen, eine Menge Geld. Definitiv mehr, als wir im Moment haben, das ist klar. Wir haben für Jadon über 80 Millionen Euro bekommen. Manchester United wird natürlich auch ein Interesse daran haben, ihn im Sommer entweder wieder zurückzunehmen oder ihn in einer Range wieder zu verkaufen, die für sie Sinn ergibt. Ob das dann auch für uns Sinn ergibt, wird das nächste Thema sein", machte Kehl klar.

Das klingt aus Dortmunder Sicht nach einem beinahe unmöglichen Unterfangen. Den bisherigen Eindrücken nach zu urteilen, wäre das zweite Ende von Sanchos Zeit beim BVB bedeutend weniger schmerzhaft als das erste.

Jadon Sancho, BVB, Dortmund
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BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund

DatumWettbewerbGegner
9. März, 18.30 UhrBundesligaWerder Bremen (A)
13. März, 21 UhrChampions LeaguePSV Eindhoven (H)
17. März, 17.30 UhrBundesligaEintracht Frankfurt (H)
30. März, 18.30 UhrBundesligaFC Bayern München (A)
6. April, 18.30 UhrBundesligaVfB Stuttgart (H)
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