BVB und FC Bayern: Wie realistisch ist der Ruf nach einem Local Player für die Profis noch?

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Der FC Bayern München und Borussia Dortmund stehen sich am Samstag in der Bundesliga gegenüber (18.30 Uhr im LIVETICKER), begegnen sich im Kampf um junge Talente aber immer wieder auch auf dem Transfermarkt. Ist es bei FCB und BVB für deutsche Nachwuchstalente schwieriger geworden, einem Vorbild a la Thomas Müller nachzueifern und langfristig eine tragende Rolle im Profiteam des eigenen Ausbildungsvereins zu spielen?

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"In den letzten Jahren waren die Ergebnisse unserer Arbeit nicht gut. Kein Spieler hat die erste Mannschaft seit David Alaba nachhaltig erreicht", monierte Uli Hoeneß, als der FC Bayern München im August 2017 mit dem vereinseigenen Campus eine neue Heimat für den Nachwuchs eröffnete.

Auf dem Gelände im Münchner Norden befinden sich auf rund 30 Hektar acht Fußballfelder, die von der U9 bis zur U19 genutzt werden, sowie ein Internat mit 35 Appartements. Ungefähr 70 Millionen Euro hat der FCB dafür investiert. Der Campus sei eine "Antwort auf den Transferwahnsinn und die Gehaltsexplosionen", sagte Hoeneß. Die Vorgabe des damaligen Präsidenten war klar umrissen: "Der nächste Schritt muss natürlich sein, dass wir die nächsten Jahre aus den Nachwuchsmannschaften Spitzenkräfte herausholen, die irgendwann in der Lage sind, in der ersten Mannschaft mitzuhalten."

Das ist den Bayern zweifelsfrei gelungen, wenn man in der jüngeren Vergangenheit an Spieler wie Joshua Zirkzee oder Jamal Musiala denkt. "Wir haben zuletzt eine Auswertung der Jahrgänge 1996 bis 2003 vorgenommen. Demnach stehen knapp vier Spieler pro Jahrgang mindestens einmal im Profikader und 2,5 Spieler pro Jahrgang absolvieren mindestens ein Pflichtspiel für die Profis. Tendenz in den letzten Jahren steigend. Unsere Durchlässigkeit von der Jugend in den Profibereich ist an und für sich gar nicht mal so schlecht", sagt Jochen Sauer, der Leiter des FC Bayern Campus, im Gespräch mit SPOX und Goal.

Dennoch ist in München der Ruf nach dem nächsten Alaba oder einem nächsten Local Player wie dem aus Oberbayern stammenden Thomas Müller nie verhallt. Denn es ist ein Unterschied, ob selbst ausgebildete Spieler nur auf ein paar Pflichtspieleinsätze für die Profis kommen oder sich langfristig zu Leistungsträgern wie eben Alaba oder Müller entwickeln können.

Jochen Sauer leitet den FC-Bayern-Campus.
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Jochen Sauer leitet den FC-Bayern-Campus.

BVB und FCB: Wie realistisch ist das Local-Player-Szenario?

Der FC Bayern stellt nämlich "die absolute Weltspitze mit nahezu ausschließlich Nationalspielern" dar, wie Sauer sagt. Für Borussia Dortmund, in der Bundesliga nächster Gegner des Rekordmeisters, gilt Ähnliches. Auch dort ist das Niveau der ersten Mannschaft durch die Erfolge der Ära von Jürgen Klopp parallel mit dem gesamten Verein derart gewachsen, dass ein über zwei, drei Jahre im eigenen Nachwuchsleistungszentrum ausgebildeter Spieler, der in Deutschland oder gar dem eigenen Bundesland entdeckt wurde, im Profikader kaum mehr eine tragende Rolle spielt.

Oder gar spielen kann? Wie realistisch ist also das Local-Player-Szenario a la Müller oder Mario Götze für die Profiabteilungen in München und Dortmund geworden?

"Es liegt in der Natur der Sache. Mit 19 oder 20 beim FC Bayern oder in Dortmund regelmäßig für die Profis zu spielen, ist natürlich ein Brett", sagt mit Hannes Wolf Deutschlands aktueller U18-Nationalcoach zu SPOX und Goal, der sieben Jahre lang als Nachwuchstrainer beim BVB arbeitete. "Dort wird die Luft dünn, da musst du auf ganz vielen Ebenen absolute Top-Klasse und ein Ausnahmetalent sein, um auch zu spielen. Sich durchzusetzen und nicht nur im Kader dabei zu sein, sondern auch in die Startelf zu kommen, ist eine riesige Herausforderung und noch einmal ein sehr großer und schwieriger Schritt - aber er ist nicht unmöglich."

Für Jugendspieler wurde die Konkurrenzsituation international

Lars Ricken beruft sich gegenüber SPOX und Goal auf die aktuell neun Spieler im Profikader, die aus dem Dortmunder NLZ kommen, dem er als Direktor vorsteht: Reus, Schmelzer, Knauff, Moukoko, Raschl, Tigges, Unbehaun, Passlack und Reyna. "Sie alle haben die Möglichkeit, dort tragende Rollen zu spielen. Es beweist, dass wir den Mut haben, ihnen diese Chance zu geben. Es ist aber Leistungsfußball, sie müssen sich durchsetzen."

Mittlerweile ist ein Ereignis wie im Sommer 2008, als der frisch in den Profikader berufene Marcel Schmelzer von einem Kreuzbandriss seines Konkurrenten Dede profitierte, unverhofft zum Debüt in der Bundesliga kam und sich dort auf Anhieb etablierte, allerdings unwahrscheinlicher geworden. Dies ist auch einer weiteren Entwicklung der vergangenen Jahre geschuldet: Viele Klubs haben die Konzentration auf den Nachwuchs stärker für sich entdeckt, was wiederum den Markt veränderte. Die immer höheren Transfersummen im Profi- haben sich auch, in freilich geringerer Dimension, auf den Nachwuchsbereich ausgewirkt.

Das beeinflusste die Local-Player-Quote im Stamm der Profikader. Dass sich ein solcher Spieler nachhaltig ganz oben etablieren kann, ist deshalb der seltenste Fall, weil mittlerweile "weltweit gescoutet wird und man weltweit konkurriert", so Wolf. Dem pflichtet auch Ricken bei: "Das Scouting hat sich in den letzten Jahren professionell und nachhaltig entwickelt. Zu meiner Zeit im Nachwuchsbereich war ein gleichaltriger Spieler wie Patrick Vieira kein Konkurrent, da man den in Deutschland nicht kannte. Das hat sich extrem geändert. Für die heutigen Jugendspieler ist die Konkurrenzsituation deshalb frühzeitig eine internationale geworden."

Lars Ricken wurde beim BVB am 1. Januar 2021 zum Direktor des Nachwuchsleistungszentrums befördert.
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Lars Ricken wurde beim BVB am 1. Januar 2021 zum Direktor des Nachwuchsleistungszentrums befördert.

Jugend-Transfers: Warum der Blick ins Ausland erfolgen muss

Und so schauen sich Dortmund und die Bayern eben auch nach ausländischen Spielern um, regelmäßig begegnen sich die beiden Vereine auf dem Transfermarkt im europaweiten Werben um dieselben Nachwuchstalente. Christian Pulisic, Jacob Bruun Larsen, Jadon Sancho und Giovanni Reyna sind beim BVB die prominentesten Beispiele, doch auch Spieler wie Immanuel Pherai (AZ Alkmaar U17), Kamal Bafounta (FC Nantes U17), Bradley Fink (FC Luzern U16), Jamie Bynoe-Gittens (Jugend Manchester City) oder kürzlich Julian Rijkhoff (Ajax Amsterdam U17) kamen allesamt allein seit 2017 aus dem Ausland nach Dortmund.

Das erschwert den Local-Player-Wunsch a la Hoeneß zusätzlich, zumal auch ein Alaba streng genommen nicht in diese Kategorie gehört, da er schließlich als 16-Jähriger von Austria Wien zum Münchner Nachwuchs wechselte. "Wir müssen im Leistungsbereich, beginnend mit der U17, unsere Teams bestmöglich aufstellen, um den hohen Anforderungen entsprechen zu können", sagt Rickens Pendant Sauer. "Dazu nehmen wir auch internationale Talente ins Visier - aber auch nur, wenn sie unsere Teams wirklich verstärken. Sie werden sehr überlegt verpflichtet, wir reden da von einzelnen Spielern."

Die Vorteile dieser Entwicklung liegen jedoch auf der Hand, besonders vom Beispiel England profitieren deutsche Klubs: Auf der Insel verhindert das viele Geld in den meisten Fällen, dass vielversprechende Talente beim Übergang vom Jugend- in den Seniorenbereich ausreichend Spielpraxis bekommen, um ihr nächstes Level zu erreichen. Generell gesprochen gilt es in Deutschland, genau diesen Fehler zu vermeiden. Nur wird es eben in der Spitze bei Vereinen wie dem FCB oder der Borussia noch einmal enger als anderswo - auch daher muss dort der Blick ins Ausland erfolgen.

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