Theodor Gebre Selassie von Werder Bremen im Interview: "Rassismus zieht sich durch mein gesamtes Leben"

Theodor Gebre Selassie spielt seit 2012 für Werder Bremen.
© imago images
Cookie-Einstellungen

 

Seit 2012 spielen Sie nun schon in Bremen. Unmittelbar vor Ihrem Wechsel nach Deutschland gewannen Sie mit Liberec die Meisterschaft und wurden zum Spieler des Jahres gewählt. Wie sehr bedauern Sie, dass seitdem kein weiterer Titel mehr hinzugekommen ist?

Gebre Selassie: Enorm, denn ich habe in den vergangenen Jahren gemerkt, wie sehr es mir fehlt, mal wieder etwas zu gewinnen. Das war damals so wunderbar und ist wohl für jeden Profisportler der Antrieb Nummer eins. Wir waren vor zwei Jahren nah dran, als wir im Pokal-Halbfinale standen und sehr ärgerlich gegen die Bayern ausgeschieden sind.

Welche Optionen gab es damals neben Werder noch für Sie?

Gebre Selassie: Ich hatte ein paar Möglichkeiten vor der Europameisterschaft, doch keiner der interessierten Vereine war eine bessere Adresse als Werder.

Mittlerweile sind acht Jahre vergangen, Sie haben 263 Pflichtspiele für Werder absolviert und werden für Ihre Vereinstreue von den Fans gefeiert. Was haben Sie früher über Spieler gedacht, die sehr lange für nur einen Verein gespielt haben?

Gebre Selassie: Ich fand das schon immer sehr cool. Gerade die Wertschätzung, die solche Spieler erfahren, hat mir imponiert. Es gibt ja eine bestimmte Wechselwirkung: Die Fans sind stolz auf einen und ich selbst bin stolz, so lange bei einem tollen und traditionsreichen Verein mit fantastischen Fans in einem tollen Land zu spielen. So empfinde ich es jedenfalls.

Wenn Sie es sich hätten frei aussuchen können, in welchem Land hätten Sie gerne einmal gespielt?

Gebre Selassie: Früher hat mich das Leben in den USA sehr interessiert. Wenn man allerdings sieht, was dort seit ein paar Jahren politisch abgeht, ist das längst hinfällig.

Am 26. Juni 2012 wurde Neuzugang Theodor Gebre Selassie bei Werder Bremen vorgestellt. Manager war damals Klaus Allofs, Trainer Thomas Schaaf (r.).
© imago images / Ulmer
Am 26. Juni 2012 wurde Neuzugang Theodor Gebre Selassie bei Werder Bremen vorgestellt. Manager war damals Klaus Allofs, Trainer Thomas Schaaf (r.).

Gab es zwischenzeitlich eine Offerte, die Sie von Werder fast weggelockt hätte?

Gebre Selassie: Es gab immer mal Angebote, doch letztlich hat es zu den unterschiedlichen Zeitpunkten vor allem aus familiären Gründen gepasst, weiterhin in Bremen zu bleiben und zu verlängern. Wir hatten alles, es funktionierte alles, unsere Kinder kamen auf die Welt, ich spielte in einem geilen Klub in einer super Liga - ich habe nicht ein einziges Mal wirklich ernsthaft darüber nachgedacht, woanders hinzugehen. Manches Mal habe ich kurz überlegt, aber mein zweiter Gedanke war immer: Wäre das auch gut für die Familie? Und die Antwort fiel eben jedes Mal gleich aus.

Wer war denn für Sie das größte Talent oder der beste Mitspieler Ihrer Bremer Zeit?

Gebre Selassie: Ganz klar Kevin de Bruyne. Er hat mich total beeindruckt und war schon damals in diesem jungen Alter unglaublich gut. Seine gesamten Fähigkeiten, was er alles auf dem Platz machen konnte, die Spielweise - das war herausragend.

Und wer war der Verrückteste?

Gebre Selassie: Da würden mir viele einfallen. (lacht) Marko Arnautovic war auf jeden Fall ein sehr spezieller Kerl. Er hat nicht ganz zu Unrecht einen gewissen Ruf weg, aber er ist wirklich ein extrem netter Mensch.

Sie haben im November zum vierten Mal bei Werder einen Vertrag unterschrieben, der im kommenden Jahr ausläuft. Im Winter wollen Sie besprechen, wie es weitergeht und ob Sie dann nach Tschechien zurückkehren, wo Ihr Sohn eingeschult werden soll. Eigentlich hätte er bereits dieses Jahr in die Schule gehen sollen - damit steht doch die Entscheidung schon fest, oder?

Gebre Selassie: Das kann man so sehen. (lacht) Ich habe es ja schon einmal gesagt: Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass das nun meine letzte Saison für Werder ist.

Was wäre denn Ihr sportlicher wie privater Wunschtraum, wenn Sie an die nächsten drei Jahre denken?

Gebre Selassie: Ideal wäre es, wenn wir jetzt mit Werder eine starke Saison spielen, ich anschließend zurück nach Tschechien gehe, mein Körper weiter hält und ich noch einen Titel gewinne. Ich würde gerne noch weiterspielen, aber es kann auch sein, dass mein Körper nicht mehr so mitmacht, wie ich mir das vorstelle. Ich will nicht erst dann aufhören, wenn es nicht mehr geht, sondern noch mit meinen beiden Söhnen viel Sport machen können. Daneben hätte ich dann deutlich mehr Zeit für meine Familie, Eltern und Schwester. Als Profi verpasst man leider sehr viel.

Und nebenbei gingen Sie dann wieder studieren, wie Sie einmal sagten?

Gebre Selassie: Ein Studium zu beginnen ist tatsächlich ein Gedanke. Ich weiß aber nicht, in welcher Form und in welche Richtung es dann gehen soll. Ich schaue sehr gerne Filme und Serien. Seit ein paar Jahren interessiere ich mich für die Musik, die darin benutzt wird. Die kann nämlich sehr entscheidend und wichtig sein. Oft macht sie in gewissen Szenen wirklich den Unterschied und erzielt eine ganz andere Wirkung, als wenn man eine andere oder gar keine Musik darüberlegen würde.

Eine finale Frage noch, die mich persönlich irgendwie interessiert: Sie haben an Weihnachten Geburtstag...

Gebre Selassie: (unterbricht) Katastrophe! Das wünsche ich keinem Kind.

Eben. Da haben Sie doch früher bestimmt bedauert, dass Geburtstag und Weihnachten nicht an zwei verschiedenen Tagen stattfinden, oder?

Gebre Selassie: Klar. Wir waren ja auch nicht reich, daher gab es nur einmal Geschenke und ich konnte mich nur auf einen Tag freuen. Wir haben zwar auch Namenstag gefeiert, aber da gab es nur Kleinigkeiten. Das hat mich früher lange genervt, mittlerweile sehe ich das aber entspannter. (lacht)

Inhalt: