"Dialekt reicht nicht für Klopp-Effekt"

Jürgen Klopp: Für Irion ein Vorzeigeprodukt auf mentaler Ebene
© getty

Demut ist der neue Trend der Bundesliga. Ziele werden nur noch vorsichtig formuliert, selbst die Größen der Branche ziehen mit. Doch wie kommt die organisierte Bescheidenheit an? Welche Gefahren hat sie? Mentalcoach Mirko Irion, der neben Top-Managern aus der Wirtschaft auch Profisportler wie etwa Ex-Nationalkeeper Timo Hildebrand berät, analysiert im Gespräch mit SPOX das Verhalten der Liga. Und: Er bricht eine Lanze für VfB-Retter Huub Stevens und Mentalwunder Jürgen Klopp.

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SPOX: Herr Irion, auf Ihrem Twitter-Profil beschreiben Sie sich als Weltverbesserer, Philosoph und Querdenker. Welche dieser drei Figuren wäre der beste Fußball-Trainer?

Mirko Irion: Philosophische Ansätze braucht der Fußball nicht wirklich. Das mit dem Weltverbesserer ist ein persönlicher Ansatz, den braucht man im Profifußball ebenso wenig. Der Querdenker würde dem Fußball aber sicher nicht schaden.

SPOX: Warum?

Irion: Der Querdenker ist jemand, der es schafft, Lösungen von einem in den anderen Bereich zu transferieren. Die Transferleistung bekommt er im Kopf gut hin. Er sucht Lösungen in neuen Lösungswegen, versucht auch mal unkonventionell zu denken, ohne dabei zu sehr ins Risiko abzudriften, sondern sehr wohl mit einem Ziel. Das könnte ein Fußballlehrer gut gebrauchen.

SPOX: Gibt es einen Trainer, der Ihnen auf der mentalen Ebene besonders gut gefällt?

Irion: Jürgen Klopp.

SPOX: Inwiefern?

Irion: Er ist authentisch. Klopp versteht aus seiner mentalen Konstitution etwas zu machen, was professionell ist und auch so wirkt. Er ist nicht aufgesetzt. Er ist, wie er ist und professionalisiert das. Das, was er macht, ist nicht ins Blaue hinein, sondern zielgerichtet. Auf diese Weise kommuniziert er auch. Klopp macht das bewusst, weil er weiß, welche Wirkung er auf seine Spieler hat.

SPOX: Er hat mit seiner Art nicht nur seine Spieler erreicht, sondern auch die Öffentlichkeit. Durch seine Auftritte beim ZDF im Rahmen der WM 2006 ist er zu "Everybody's Darling" der Republik aufgestiegen, mit den Erfolgen in Dortmund entstand ein Hype um ihn. Eine Pressekonferenz in Liverpool hat gereicht, um ganz England zu elektrisieren. Kann man das trainieren?

Irion: Erst einmal ist das angeboren. Das sind Prägungen, die wirken schon sehr früh im Elternhaus. Aber man kann auf der Basis dessen, was man wirklich ist, ein Training aufsetzen und das Ganze professionalisieren, damit das scharf ist und man Höchstleistungen vollbringen kann. Das muss aber in die gleiche Richtung gehen.

SPOX: Das heißt: Man darf nicht jemanden darstellen, der man eigentlich nicht ist.

Irion: Exakt. Manchmal ist zu beobachten, dass es in unterschiedliche Richtungen geht. Jemand mit der mentalen Konstitution einer Maus versucht, ein Elefant zu werden. Da geht es nach hinten los. Dass man im Heimatdialekt schwätzt, reicht nicht, um den Klopp-Effekt zu erzeugen. Das ist nicht automatisch authentisch, dazu gehört mehr.

SPOX: Eine interessante Art der Kommunikation praktiziert Pep Guardiola. Er findet selbst in größter Not einen Aspekt, für den er seine Spieler loben kann und tut das dann auch. Er kritisiert öffentlich so gut wie nie. Seine Formulierungen "beste, beste" oder "super, super" haben fast schon Kultstatus. Wie kommt das bei einem Spieler an?

Irion: Das baut auf, aber man sollte die andere Seite nicht völlig ausblenden. Wenn er beispielsweise sagt: "Der Spieler ist ein brillanter Techniker, hat aber diese und diese Defizite", ist es glaubwürdig und authentisch. Wenn er aber nur immer das Positive herauszieht, entsteht der Effekt der Unglaubwürdigkeit, weil es dann so aussehen würde, als würde man es sich immer zurechtlegen. Pep behält die Glaubwürdigkeit bei den Spielern, wenn er gegenüber den Medien die guten Aspekte herausstellt, im Vier-Augen-Gespräch mit dem Spieler aber alles bespricht - auch die Defizite.

SPOX: Kann ein Spieler das so klar differenzieren, wenn er am Samstagabend medienwirksam gelobt wird und am Sonntag im Training dann einen Einlauf bekommt?

Irion: Wenn ein Trainer so agiert, ist das nicht sonderlich clever. Es muss eine unausgesprochene Regel geben, wie man sich gegenüber den Medien positioniert und wie man dann mit dem Thema umgeht. Die Variante, den Spieler mit Härte abzuwatschen, ist aber kaum noch ein Mittel, zu dem die Trainer heutzutage greifen. Vielleicht machen das noch ein paar aus der älteren Generation.

SPOX: Werner Lorant sagte einmal: "Warum soll ich mit einem Spieler sprechen? Über was soll ich mit ihm sprechen?" Erfolg hatte er über weite Strecken. Zieht die Methode heute noch?

Irion: In dem Moment, in dem er das sagt, spricht er mit dem Spieler. Kommunikation findet auch dann statt, wenn man sagt: "Ich rede jetzt nicht mit dir." In dem Moment gibt er Richtung Mannschaft ein klares Statement ab. Es kann sein, dass es heute noch Situationen gibt, bei denen die Methode passen würde. Wenn ich weiß, die Mannschaft weiß alles, sie hat alles gehört, ruft aber die Leistung nicht ab, dann kann so eine Ansage noch gerechtfertigt sein. Das kann aber kein grundsätzlicher Stil sein. Die Spieler wollen heute verstanden werden, sie wollen abgeholt werden.

SPOX: Einer der alten Schule ist Huub Stevens. Dieser hat in der Vorsaison lange Zeit den "harten Hund", der er ja eigentlich auch ist, verkörpert. Irgendwann durchlebte er aber eine Wandlung, wurde beim VfB Stuttgart im Saison-Endspurt fast schon zum Kumpel der Spieler. Wie geht das?

Irion: Er hat die richtigen Gedanken gehabt. Entweder hatte er gute Berater um sich oder er hat für sich nachgedacht, was in der Situation angebracht ist. Er wechselte den Führungsstil, es kamen Freude und Spaß beim VfB Stuttgart auf und nur so kann eine Mannschaft Leistung abrufen. Er hat auf eine schöne und authentische Art Spaß hineingebracht und ich glaube, das liegt ihm auch. Stevens ist ein Mensch, der für Spaß steht.

SPOX: Würden Sie so weit gehen, dass sein Stilwechsel den VfB in der Liga gehalten hat?

Irion: Es waren viele Tropfen, die das Leistungsglas so voll gemacht haben, dass es für den Klassenerhalt gereicht hat. Das war sicher einer davon - und er war notwendig. Ich als Coach, der mit seinen Klienten und Vereinen viel auf mentaler Basis arbeitet, bin von der großen Wirksamkeit überzeugt. Erinnern Sie sich doch an den Affentanz...

SPOX: Die Stuttgarter Spieler mimten beim Torjubel gegen den Hamburger SV Affen, nachdem Stevens die Spieler im Training zuvor als solche beschimpft haben soll.

Irion: Der Tanz war abgesprochen. Die Spieler waren unbewusst davon überzeugt, dass sie den Affentanz vorführen können, sonst hätten sie ihn nicht geprobt. Das war für mich ein Signal, dass in der Mannschaft etwas passiert ist. Denn wenn ich davon ausgehe, dass ich einen Freudentanz vorführen kann und diesen trainiere, dann gehe ich auch davon aus, dass ich Erfolg habe.

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