Julian Koch im Interview: "Ich wartete wie ein Süchtiger, dass die Schmerzpumpe wieder funktionierte"

Julian Koch feiert am 11. November 2020 seinen 30. Geburtstag.
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Was ist er denn in Ihren Augen für ein Mensch?

Koch: Ich empfand ihn als unfassbar toll, weil er offen und vor allen Dingen ehrlich mit allen gesprochen hat. Vielleicht kommen einige genau damit nicht klar, aber ich habe diese Ehrlichkeit sehr an ihm geschätzt. Er hat dir ins Gesicht gesagt, wie er dich einschätzt, wo er Probleme sieht - und das auf eine vernünftige Art und Weise, weder aggressiv noch negativ. Und er war beim Training so auf Details fokussiert, dass es einfach nur Spaß gemacht hat.

Der BVB sicherte sich damals eine Rückkaufoption. Welchen Plan hatte die Borussia mit Ihnen?

Koch: Meine Intention war es damals nicht, so schnell wie möglich wieder nach Dortmund zurückzukehren. Ich hatte langfristig unterschrieben und wollte in Mainz Wurzeln schlagen. Der BVB wappnete sich einfach für den positiven Fall der Fälle.

Ihr Pech riss jedoch auch in Mainz nicht ab - in einem Testspiel zogen Sie sich eine schwere Mittelfußprellung zu. Als Sie wieder genesen waren, kam nach einer Woche Training eine Schulterverletzung hinzu, die Sie weitere drei Monate außer Gefecht setzte. Sind Sie damals nicht verzweifelt?

Koch: Ich habe gerade bei der Schulterverletzung lange gebraucht, um darüber hinweg zu kommen. Diese ganzen Blessuren haben mich psychisch voll beschäftigt und sehr genervt. Es waren ja nie leichte Sachen wie eine Prellung, sondern immer nur größere, die viel Zeit kosteten und auch nichts mit der Vorgeschichte am Knie zu tun hatten.

Nach lediglich vier Bundesligapartien für den FSV wurden Sie im Januar 2015 an St. Pauli in die 2. Liga verliehen. War das vielleicht der Zeitpunkt, an dem Ihnen dämmerte, dass es für ganz oben wohl nicht mehr reichen wird?

Koch: Ja. Ich bin in diesem Jahr 25 geworden und dachte, wenn jetzt kein richtig guter Verein mehr kommt, dann wird es schon schwer. Mit Düsseldorf war das dann eigentlich fast der Fall, denn die Fortuna war ein sehr ambitionierter Zweitligist mit der Perspektive erste Bundesliga.

Koch: "Meine Leistungen waren nicht mehr BVB-kompatibel"

Mainz verkaufte Sie schließlich und der BVB pochte nicht auf seine Rückkaufoption.

Koch: Es bedurfte eines Auflösungsvertrags, damit Dortmund auf das Rückkaufrecht verzichtet. Meine Leistungen waren ja längst nicht mehr kompatibel für einen Verein wie den BVB. Daher war für beide Seiten klar, dass das nichts mehr wird. Da ist schon ein Traum für mich geplatzt, aber ich musste mich auch irgendwann von dieser Illusion lösen.

Bei der Fortuna waren Sie in der Hinrunde noch Vize-Kapitän und Stammspieler, in der Rückrunde kamen Sie deutlich weniger zum Einsatz und ein Halbjahr später trennten sich die Wege schon wieder. Wieso hat es in Düsseldorf nicht geklappt?

Koch: Wir sind im ersten Jahr sehr schlecht gestartet, so dass das Umfeld enorm unruhig und Trainer Frank Kramer schließlich entlassen wurde. Es kam Marco Kurz, der sehr viel verändert und mich zudem komplett rasiert hat. Bei ihm habe ich gar keine Rolle mehr gespielt und saß nur auf der Tribüne. Da kam ich mir so vor, als sei ich für vieles zum Sündenbock auserkoren worden. Nach 81 Tagen war Kurz wieder Geschichte und es kam Friedhelm Funkel. Er hat mich wieder integriert und ich kam auf meine Einsätze, im zweiten Jahr aber leider nicht mehr so, wie ich mir das erhofft habe.

Daraufhin ging es im Winter-Transferfenster zu Ferencvaros Budapest nach Ungarn unter Thomas Doll. Wie kam der Wechsel zustande?

Koch: Ich wollte ursprünglich bis Sommer bleiben und dann neu überlegen. Im Trainingslager auf Malta rief mich plötzlich mein Berater an und sagte, Ferencvaros suche einen Sechser und habe Interesse an mir. Ich konnte das zunächst nicht glauben und auch nichts damit anfangen. Budapest war irgendwie tiefster Osten für mich und nicht schön. Er meinte aber, ich solle doch mal mit Thomas Doll telefonieren und es mir anhören.

Julian Koch in einem seiner wenigen Spiele für Ferencvaros Budapest.
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Julian Koch in einem seiner wenigen Spiele für Ferencvaros Budapest.

Und Doll hat dann bei Ihnen den Bock umgestoßen?

Koch: Genau, es wurde ein richtig angenehmes Gespräch. Er hatte eine super Idee vom Fußball, hat von seiner bisherigen erfolgreichen Amtszeit erzählt und machte mir klar, dass Ferencvaros quasi das Bayern München von Ungarn ist. Als mich dann noch meine Frau damit erstaunte, wir sollten das doch versuchen, konnte ich es mir auch vorstellen. Beinahe wäre es noch an der Ablösesumme gescheitert, aber innerhalb von ein paar Tagen saß ich auf einmal in Budapest.

Sie waren zuvor noch nie in der Stadt gewesen und flogen erst zur Vertragsunterzeichnung hin. Wie war Ihr erster Eindruck?

Koch: Eine Katastrophe. Auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt fuhren wir an vielen tristen Plattenbausiedlungen vorbei, die für mich einfach so typisch osteuropäisch waren. Da dachte ich schon: Du lieber Himmel, ich drehe wohl wieder um. Als ich dann die Innenstadt und auch das Trainingsgelände kennenlernte, war mir aber schnell klar, dass ich doch richtig entschieden habe. Es wurden zweieinhalb wundervolle, wenn auch sportlich beschissene Jahre.

Julian Koch: "Selbst die Kreisliga ist für mich nicht mehr drin"

Weil letztlich zwischen Februar 2017 und Mai 2019 nur 22 Pflichtspiele zu Buche standen. Sie feierten 2017 dort zwar den Pokalsieg und 2019 die Meisterschaft, doch weshalb kamen Sie nicht häufiger zum Einsatz?

Koch: Weil sich weitere Verletzungen durch diese Zeit zogen. Ich habe mich in meinem ersten Spiel an der anderen Seite der Schulter verletzt, wurde dann nach drei Wochen aber wieder hineingeworfen, weshalb die Schulter danach richtig kaputt war und ich zwei Monate ausfiel. Als ich wieder spielen konnte, riss im Derby gegen Ujpest eine Sehne im hinteren Oberschenkel, was von meiner großen Knieverletzung herrührte. Nachdem das ausgeheilt war, riss sie erneut und ich war insgesamt drei Monate raus. Im ersten Spiel danach erlitt ich dann im Mai 2018 nach einem Zusammenprall mit dem Torwart in der 2. Minute einen Trümmerbruch im Gesicht. Und im September sprang mir noch ein Gegenspieler ins linke Knie, so dass auch dort der Meniskus riss. Während der Reha riss er dann erneut ein und musste teilentfernt werden. Damit war die Geschichte letztlich durch. Es war für den Kopf eine echt eklige Zeit.

Ihr Vertrag lief schließlich im Sommer 2019 aus und der Verein wollte nicht verlängern.

Koch: Bei mir war der Kosten-Nutzen-Faktor einfach nicht gegeben. Ich war auch an dem Punkt angelangt, dass es vielleicht schlicht nicht mehr sein soll. Ich hatte noch etwas Hoffnung, dass es weitere Offerten für mich gibt, aber mein Berater meinte, dass nun keine guten Angebote mehr zu erwarten sind. Ich stand so lange über dem Schmerz des Knies, doch da wir zwischenzeitlich eine kleine Tochter bekamen, wurde mir klar, dass es wohl besser ist, lieber ein Jahr zu früh als zu spät aufzuhören.

Fiel Ihnen das leicht?

Koch: Ja. Der Fußball war für mich wohl schon zu weit weg, es hatte sich nicht mehr echt angefühlt. Ich kannte es ja gar nicht mehr, regelmäßig auf dem Platz zu stehen. Es war eine Erleichterung, als ich wusste, dass ich meinen Körper nicht mehr schinden muss. Nun als Trainer überkommt mich allerdings immer wieder große Sehnsucht. Wenn ich bei manchen der Jungs sehe, dass der letzte Biss fehlt, blutet mir das Herz. Die wollen alle etwas werden, aber teilweise ohne dafür alles zu geben. Da würde ich am liebsten mit ihnen auf den Platz rennen und vorangehen.

Wenn man Ihren Namen mit dem Zusatz "Pechvogel" googelt, erhält man 127.000 Suchergebnisse. Inwiefern trifft diese Bezeichnung nach allem, was Sie über sich ergehen lassen mussten, auf Sie zu?

Koch: Ich sehe mich nicht als Pechvogel und hadere kein bisschen mit meinem Schicksal, auch wenn ich das zwischendurch immer mal wieder getan habe. Es ist so gekommen, wie es gekommen ist. Aufgrund der Verletzungen konnte ich einfach nicht mehr erreichen. Ich weiß, es klingt gelogen, ist es aber wirklich nicht: Ich habe mich echt nie gefragt, was gewesen wäre, hätte ich mich nicht so schwer verletzt. Dass Außenstehende denken, den armen Kerl hat es aber gebeutelt, verstehe ich natürlich. Vor allem in sportlicher Hinsicht. Privat hat mir die lange Ausfallzeit aber auch andere wichtige Seiten eröffnet: Ich habe damals im Krankenhaus meine heutige Frau kennengelernt, weil sie eines Tages zufällig auf meiner Station aushelfen musste. Und ich habe gemerkt, auf welche Freunde ich mich wirklich verlassen kann.

Die vielleicht wichtigste Frage zum Abschluss: Wie geht es dem Knie heute?

Koch: Es gibt Tage, da fühle ich mich wie ein alter Mann. Oft habe ich keinerlei Beschwerden, manchmal knickt mir das Knie aber weg. Ich versuche, mich fit zu halten, fahre Fahrrad oder gehe Laufen. Langes Gehen ist dagegen eine Katastrophe, spazieren macht nicht so viel Spaß. Die Geschichte beim VfL Hörde werde ich daher leider auch beenden müssen. So traurig sich das anhört, aber selbst die Kreisliga ist für mich nicht mehr drin.