Die größtmögliche Demütigung: Kommentar zur Absage von Thomas Tuchel an den FC Bayern München

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Thomas Tuchels Absage an eine Weiterbeschäftigung kommt in einer ohnehin schon desaströsen Trainersuche der größtmöglichen Demütigung des FC Bayern gleich. Kurioserweise verlässt Tuchel München somit auch als Gewinner - und nicht nur als der Trainer, der für die erste titellose Saison seit zwölf Jahren verantwortlich ist. Ein Kommentar.

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Um sich das ganze Ausmaß des Desasters vor Augen zu führen, zunächst zur Chronologie: Im März 2023 entlässt der FC Bayern den nur eineinhalb Jahre zuvor für rund 20 Millionen Euro verpflichteten Julian Nagelsmann trotz Aussicht auf drei Titel und ersetzt ihn durch Thomas Tuchel. Elf Monate später verkünden die Münchner trotz Vertrags bis 2025 eine "einvernehmliche" Trennung von Tuchel bereits im Sommer 2024. Tuchel widerspricht der Einvernehmlichkeit, der FC Bayern begibt sich auf Nachfolgersuche.

Wunschkandidat Xabi Alonso, der die Münchner mit Bayer Leverkusen in der aktuellen Saison deklassierte, sagt schnell ab. Für den FC Bayern eine ungewohnte Situation: In der Vergangenheit hatte der Rekordmeister bekanntlich nie Probleme, die Protagonisten der nationalen Herausforderer innerhalb kürzester Zeit abzuwerben.

Der nächste Kandidat? Ja, tatsächlich Nagelsmann. Seine Rückholaktion hätte gleichzeitig einen gewaltigen Gesichtsverlust und ein finanzielles Fiasko dargestellt. Nagelsmanns Berater Volker Struth bestätigt noch schnell das Interesse des FC Bayern, ehe sein Klient beim DFB verlängert.

Die erste große Demütigung, und die zweite folgt zugleich. Ralf Rangnick, einst erbitterter Widersacher des FC Bayern und 2019 schon einmal als Kandidat übergangen, spricht offen von Gesprächen mit dem FC Bayern, erachtet letztlich aber eine Fortsetzung seiner Arbeit mit dem österreichischen Nationalteam als attraktivere Option. Erneut werden die Münchner Bosse von einem Kandidaten mit Vorgeschichte öffentlich vorgeführt, zuvor hatte Präsident Herbert Hainer sogar eine bevorstehende Einigung angekündigt.

Nach einem gescheiterten Versuch, Oliver Glasner vom Premier-League-Mittelständler Crystal Palace loszueisen, riskiert der FC Bayern als fünfte Option den größtmöglichen (aber auch sinnvollen) Gesichtsverlust: Sie bitten den im Februar abservierten Tuchel weiterzumachen. Nachdem ihn Klub-Patron Uli Hoeneß ziemlich hanebüchen öffentlich attackiert hatte, nachdem sämtliche Bosse wie Max Eberl, Christoph Freund und Jan-Christian Dreesen die Sommer-Trennung mehrmals als unumstößlich darstellten. Dass nun auch Tuchel absagt, ist die größtmögliche Demütigung.

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FC Bayern München: Thomas Tuchel verteilt zum Abschied subtile Spitzen

Noch verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Art der Kommunikation: Tuchel selbst verkündete die Entscheidung bei der Spieltags-Pressekonferenz. Er traf reflektierte Aussagen, machte einen aufgeräumten Eindruck und genoss es förmlich, subtile Spitzen zu verteilen. Wie schon bei den Absagen von Nagelsmann und Rangnick dürfte auch bei ihm ein Hauch Genugtuung mitgeschwungen haben.

Was es bedeute, dass Aleksandar Pavlovic für die EM nominiert wurde, wo Tuchel doch einen derart großen Anteil an seiner Entwicklung habe, wollte ein Journalist vom scheidenden Trainer wissen. "Die einen sagen so, die anderen sagen so." Großes Gelächter! Hoeneß hatte Tuchel bekanntlich unterstellt, keinen Fokus auf die Entwicklung junger Spieler zu legen. "Wir konnten seine Nominierung nicht verhindern", ergänzte Tuchel. Noch mehr Gelächter!

Fast schon beiläufig projizierte er auch noch die neben Pavlovic zweite erfreuliche Personalie dieser Saison auf sich. "Ich bin stolz, dass ich beim Thema Harry Kane unnachgiebig war und Brazzo mit dem Feuer infiziert habe", verriet Tuchel und machte sich somit gewissermaßen zum Hauptverantwortlichen des spektakulären Transfers, für den sich der damals amtierende Transfer-Ausschuss feiern gelassen hatte.

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Thomas Tuchel verlässt den FC Bayern kurioserweise auch als Gewinner

Die starken Champions-League-Spiele im Frühling samt Beinahe-Einzug ins Finale, die Bitte der Führungsspieler um einem Verbleib, die Kehrtwende der Bayern-Bosse, Tuchels Absage und dann auch noch diese Pressekonferenz: Es ist zwar äußerst kurios, aber nach den Eindrücken der vergangenen Wochen verlässt der im Winter entzaubert wirkende Tuchel den FC Bayern nicht nur als der Trainer, der für die erste titellose Saison seit zwölf Jahren verantwortlich ist. Sondern auch als Gewinner.

Der gedemütigte FC Bayern muss seine Trainersuche unterdessen fortsetzen. Viel Zeit gibt es nicht mehr und viele Kandidaten auch nicht. Roberto de Zerbi, Erik ten Hag, Roger Schmidt oder Hansi Flick vielleicht, die zwar aus unterschiedlichen Gründen allesamt schon mal von der Kandidatenliste verschwunden sind, nun aber mangels Alternativen wieder aktuell werden. Oder Xavi, der mit dem FC Barcelona einen ähnlichen Schlingerkurs fährt, wie es Bayern mit Tuchel gemacht hat.

In Frage kommt jeder, da der FC Bayern bei seiner Suche mit Blick auf die bisherigen Kandidaten ohnehin offensichtlich nicht nach einem Trainer für eine bestimmte Spielphilosophie sucht. Wer auch immer kommt, muss sich damit abfinden, die sechste Wahl zu sein. Bestenfalls.

Bundesliga: Die Tabelle vor dem 34. Spieltag

PlatzMannschaftSp.SUNToreDiff.Pkt.
1Bayer Leverkusen33276087:236487
2FC Bayern München33233792:415172
3VfB Stuttgart33224774:393570
4RB Leipzig33197775:373864
5Borussia Dortmund33179764:432160
6Eintracht Frankfurt331113949:48146
71899 Hoffenheim331271462:64-243
8SC Freiburg331191344:56-1242
91. FC Heidenheim 1846339121246:54-839
10FC Augsburg331091449:58-939
11SV Werder Bremen331091444:53-939
12VfL Wolfsburg331071640:53-1337
13Bor. Mönchengladbach337131356:63-734
14VfL Bochum337121441:70-2933
151. FSV Mainz 05336141336:50-1432
161. FC Union Berlin33861931:57-2630
171. FC Köln335121627:56-2927
18SV Darmstadt 9833382230:82-5217