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Third and Long: So drehten die Chiefs den Super Bowl - und welche Lektionen bietet die Saison?

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den Super Bowl.
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Schemes, Analytics und Co.: Was haben wir diese Saison gelernt?

Mit dem Super Bowl und dem Ende der Saison ist auch der erste gute Zeitpunkt für Lehren aus der gerade abgeschlossenen Spielzeit gekommen.

Dieser Part ist Jahr für Jahr spannend: Aus den Entwicklungen der vergangenen Schlüsse zu ziehen, in welche Richtung sich bestimmte Trends entwickeln könnten, was die Liga prägen wird und worauf Teams bei der Kaderzusammenstellung über die jetzt anstehenden Wochen besonders achten sollten, ist gewissermaßen die Königsdisziplin für NFL-Teamverantwortliche und kann uns als Fans, Beobachter und Analysten auch einen Hinweis darauf geben, wo sich das Spiel hin entwickelt.

Ein paar Gedanken dazu:

  • Die NFL wird schematisch offener, und das ist eine positive Entwicklung, weil es das Spiel interessanter macht. Von der Option-Offense der Ravens, über die merklich angepasste "Outside Zone Play Action"-Offense von Shanahan, Kliff Kingsburys Air Raid die vor allem mit Run-Designs überraschte bis zu dem Hybrid aus West Coast/Spread/Air Raid und diversen Option-Elementen, die Andy Reid spielen lässt: Auch wenn ich weiter davon überzeugt bin, dass man in der NFL vor allem über einen längeren Zeitraum betrachtet in allererster Linie über das Passspiel gewinnt und das Passspiel einem mit Abstand die meisten Möglichkeiten gibt: Man kann einerseits zu diesem Passspiel auf unterschiedliche Wege kommen, andererseits ist völlig klar, dass natürlich auch Spiele anders gewonnen werden können als nur über den Pass. Generell: Option Plays, sei es per RPO oder tatsächlich per Option-Run sind ein fester Bestandteil für mehr und mehr NFL-Teams geworden.
  • Einige Aspekte, die ich im Vorfeld der Saison zusammengefasst hatte, wurden in meinen Augen weiter bestätigt: Play Action funktioniert unabhängig davon, wie produktiv das Run Game ist oder wie viel man läuft - und ist in den meisten Fällen effizienter als das reguläre Dropback Passing Game. Running Backs können einen individuellen Unterschied machen, der aber ist äußerst gering, weshalb es sich nicht lohnt, große Ressourcen in die Position zu investieren. Teams laufen mehr, wenn sie führen, was zu falschen Schlussfolgerungen aus Total Stats führt. Und auch wenn es andere Wege zum Sieg gibt, ist das Passspiel zweifellos effizienter als das Laufspiel.
  • Eine persönliche Erkenntnis im Laufe der Saison wurde in jedem Fall das Bestreben danach, Schwarz-Weiß-Denken möglichst zu reduzieren. Das klappt auch bei mir nicht immer, aber viel zu viele Debatten - am prominentesten natürlich die "Run vs. Pass"-Sachen - drehen sich im Kreis, ohne einfach anzuerkennen, dass Football nicht binär funktioniert.
  • Man kann in all diesen Debatten Tendenzen haben, die habe ich auch. Aber ganz wichtig, um wieder eine fruchtbarere Diskussionskultur zu schaffen, wäre es, dass man selbst weder absolute Aussagen tätigt ("Run Game doesn't matter") noch der anderen Seite absolute Aussagen zuschiebt ("Analytics-Leute denken, man kann Spiele nur mit Zahlen gewinnen"). Auch der Reflex, anhand einzelner Spiele allgemein gültige Erkenntnisse schlussfolgern zu wollen, ist hier wenig zielführend.

Das Thema Analytics

  • Es ist auch die Überleitung zu einem anderen Aspekt, dem Thema Analytics insgesamt. Wer Football auch auf Social Media verfolgt, kann diese Diskussionen nicht mehr hören - mir selbst geht es in jedem Fall so. Hier ist mein Versuch, Analytics wie ich sie sehe möglichst kurz zusammenzufassen: Statistiken auszuwerten gibt Hinweise auf Trends, auf mögliche Nischen, die man für sich ausnutzen kann, und auf potenzielle Schwachstellen, die man entweder angreifen oder bereinigen kann. Letztlich geht es darum, sich selbst so viele Informationen wie möglich anzusammeln, und dann bestmögliche Entscheidungen zu treffen - egal, ob es um übergreifende Dinge wie Draft-Ressourcen und Kaderplanung geht, oder eben um Game Plans und Fourth-Down-Entscheidungen.
  • Ein Beispiel: Nur weil es statistisch eher weniger effizient ist, bei 2nd&10 zu laufen, heißt das nicht, dass per se jeder Run bei 2nd&10 eine Fehlentscheidung ist. Dafür spielen hier zu viele Dinge mit rein, und im Zweifelsfall kann es etwas ganz Banales wie eine bestimmte defensive Formation sein, die den Coach oder den Quarterback anhand studierter Tendenzen des Gegners dazu bringt, an der Line of Scrimmage einen Run anzusagen.
  • Und das bedeutet natürlich auch nicht, dass ein Team, das nur von Mathematikern betreut wird, die Liga dominieren würde. Coaching, individuelle Qualität der Spieler - all das ist entscheidender als Analytics; Glück, Zufall und Verletzungen spielen ebenfalls immer eine Rolle. Deshalb sollte man Analytics auch nicht mit absoluter Vehemenz als einzig wahre Antwort sehen oder darstellen. Den Reflex, sich gegen mehr Kontext und mehr übergreifendes Spielverständnis zu wehren, werde ich aber nie verstehen. In den sozialen Medien ist diese Debatte inzwischen von beidseitiger Arroganz und Provokationen geprägt. Das hilft niemandem.
  • Um eine dieser Debatten aus der vergangenen Offseason aufzugreifen: Ich bin sehr gespannt, wie die "Pass-Rush vs. Coverage"-Debatte (Achtung: nicht schwarz-weiß verstehen!) weitergeführt wird. Die drastischen Verbesserungen der 49ers-Defense wurden primär durch einen deutlich verbesserten Pass-Rush angetrieben, während die Patriots und Ravens ihre Top-Defenses eindeutig über die Coverage aufbauten. Auch hier gilt: verschiedene Wege können zum Weg führen, insbesondere kurzfristig. Mein eigener Takeaway nach dieser Saison ist, dass der Fokus auf Coverage insgesamt mehr defensive Flexibilität gewährt und mehr Antworten auf die Pass-lastigen Offenses der Liga bietet.

Quarterbacks, Offenses - und wie geht es weiter?

  • Individuell betrachtet hat die vergangene Saison für mich einmal mehr die enorme Bedeutung des Quarterbacks unterstrichen. Mahomes wäre da das Ausnahmebeispiel, doch auch was die Ravens um die einzigartigen Fähigkeiten von Lamar Jackson herum aufgebaut haben, die Art und Weise, wie Russell Wilson ein alles andere als fehlerfreies Seahawks-Team getragen hat, die Rookie-Saison von Kyler Murray, die Ausnahme-Saison von Matt Stafford bis zu seiner Verletzung, der Schalter, der in Tennessee mit dem QB-Wechsel umgelegt wurde - zu sagen, dass der Quarterback über alles entscheidet, wäre zu einfach. Und gleichzeitig kann man seine Bedeutung kaum überschätzen.
  • Ein positiver Follow-Up: Die Liga ist auf dieser Position in sehr guten und sehr spannenden Händen. Jackson, Mahomes, Watson, Murray, Mayfield, man kann Namen wie Wentz oder Prescott noch dazu packen - die nächste Quarterback-Generation ist da, und wir können uns auch aus dieser Hinsicht auf die nächsten Jahre freuen.
  • Und noch ein Follow-Up dazu: Eine andere Diskussion, auf die ich gespannt bin, ist die nach dem Quarterback-Typ, den Teams bevorzugen. Dafür haben wir mit der anstehenden Free Agency ganz klare Parameter: Wie gewichten Teams das Big-Play-Potenzial in Kombination mit der Turnover-Anfälligkeit eines Jameis Winston, verglichen mit dem sichereren Spiel eines Andy Dalton oder Teddy Bridgewater? Ich glaube, dass Winston einem im Vakuum betrachtet mehr Möglichkeiten gibt, aber er wird ein Team eben auch häufiger in den Wahnsinn treiben. Aber ich glaube auch, dass viele Coaches das anders sehen und lieber einen Quarterback mit höherer Base-Line und niedrigerem Ceiling nehmen, um dann um diesen herum gute Umstände zu bauen und so zu gewinnen.
  • Mit Blick auf die weitere Entwicklung des Spiels bin ich sehr gespannt, was Teams versuchen werden, zu imitieren oder zu intensivieren. Sehen wir einen Abklatsch der Ravens-Offense mit einem Option-Quarterback? Sehen wir einen weiteren Anstieg in Fourth-Down-Aggressivität? Fokussieren sich Teams auf die Trenches und die Line of Scrimmage (O-Line, D-Line), oder die Perimeter (Receiver, Cornerbacks)? Gehen Teams in ihren Ansätzen weiter ins Extrem und ziehen das Spektrum damit weiter aneinander, oder findet wieder eine Annäherung in manchen Bereichen statt?

Die gute Nachricht: In der Free Agency und im Draft zeigen GMs und Coaches uns am ehrlichsten, was sie mit ihrem Team vorhaben. Und dieser spannende Part der Offseason steht vor der Tür.

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