NFL

Musterprofi, Revolutionär, Abrissbirne

Von Philipp Böhl
Lawrence Taylor war der letzte Defensivspieler, der es zum MVP brachte
© getty

J.J. Watt von den Houston Texans kurbelte zuletzt die Diskussion um einen Defensivspieler als Most Valuable Player der Saison an. Dabei gelang es in der Geschichte der NFL erst drei Spielern, die nicht in der Offensive aufgestellt wurden, die begehrte Trophäe zu gewinnen: Alan Page, Mark Moseley und Lawrence Taylor. SPOX schaut zurück: Wie kam es dazu - und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

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"Offense wins games, defense wins championships". Das ist ein Mantra, das im Profisport immer wieder gestellt und ebenso häufig bestätigt wird. Die letzte Saison, in der die Seattle Seahawks vor allem dank ihrer überragenden Verteidigung den Super Bowl gewannen, machte da keinen Unterschied.

Doch trotz des enormen Einflusses der Defensive ist es mittlerweile 28 Jahre her, dass ein Verteidiger die MVP-Trophy in der NFL erringen konnte. Die Gründe dafür sind in der Regel die Dominanz der Quarter- und Running Backs, die in weit mehr Spielzüge eingebunden werden als Defensivspieler. Zudem lässt sich ihr Einfluss viel leichter statistisch erfassen. Completions, Touchdowns oder Yards Raumgewinn lesen sich auch aufregender als Tackles und erlaubte Yards durch eine Defense.

J.J. Watt - der Riese mit dem großen Herz

Alleine das Beispiel Richard Sherman, der in manchen Spielen keinen einzigen Ball in seine Richtung geworfen bekommt, zeigt die "Problematik", die für die Defensivspieler besteht: Man kann es - zumindest teilweise - vermeiden, sie ins Spiel einzubeziehen. Gelingt es Verteidigern dennoch, Spiele zu dominieren, sorgen sie damit für umso mehr Aufsehen. Wie aktuell eben J.J. Watt, der unter anderem auf vier Fumbles, 9,5 Sacks und sogar zwei TDs als Receiver kommt.

Kann der Defensive End der Houston Texas wirklich MVP werden? Bisher gelang das nur drei Spielern, die nicht in der Offense agierten. Aber wie genau brachten sie das fertig?

Alan Page, 1971

Der erste Defensiv-Spezialist, dem das Kunststück gelang, war Alan Page im Jahr 1971. 2013 war es die "LOB", die Legion of Boom der Seahawks, die die Liga aufmischte. In den 70er Jahren war es der "Steel Curtain" und eben die "Purple People Eaters", zu denen auch Alan Page gehörte. Der Lineman war der Kopf der gefürchteten Defensive Line der Vikings, die das Team aus Minneapolis in vier Super Bowls führte.

Page war das perfekte Beispiel für einen bodenständigen Star, wie er heute kaum noch vorkommt. So half er als Teenager noch dabei, die Pro Football Hall of Fame in Canton, Ohio, wo er aufwuchs, aufzubauen. In selbige wurde er im Jahr 1988 aufgenommen. Während seiner Karriere sträubte er sich lange dagegen, Autogramme zu geben - schließlich war er doch bloß ein einfacher Footballer.

Vom Quarterback gefürchtet

Auf dem Feld ließ er stets Taten sprechen: Zu seiner aktiven Zeit hielt Page die Rekorde für die meisten Safeties und die meisten geblockten Kicks. Zudem verpasste er in seiner gesamten Karriere kein einziges NFL-Spiel, was eine Serie von 218 aufeinanderfolgenden Matches mit sich brachte. Bis heute ist das noch der sechstbeste Wert der Liga.

Doch die MVP-Trophäe ist letztlich keine Auszeichnung für ein Lebenswerk oder eine gesamte Karriere. Sondern ein individueller Lohn für eine überragende Saison. Und die lieferte Page im Jahr 1971: Der neunmalige Pro-Bowler zeigte sich in seiner fünften NFL-Saison für zwei Safeties verantwortlich, recoverte drei Fumbles und wurde von gegnerischen Quarterbacks für sein aggressives Pass-Rushing gefürchtet.

Eine außergewöhnliche Leistung zudem: Die Vikings, für die Page von 1967 bis 1978 auflief, ließen über die gesamte Saison nur 139 Punkte zu. Der geringste Wert der Liga. Kein Wunder also, dass Page als Kopf der "Purple People Eaters" in dieser Saison zum MVP gekürt wurde - als erster Defensivspieler der Geschichte.

Karriere am Wendepunkt?

So außergewöhnlich sich Pages Karriere bis dato entwickelt hatte, so nahm sie auch weiter ihren Lauf: Der eigenwillige Defender mit den langen Armen und unglaublich schnellen Beinen wurde 1978 von den Vikings entlassen. Der Grund: Nachdem er mit dem Marathonlaufen anfing, nahm er ganze zwölf Kilo ab. Aus Sicht des Teams hatte er zu wenig auf den Rippen, um die Verteidigung weiter anzuführen.

Zu dieser Zeit stand folglich seine gesamte Karriere am Scheidepunkt: Pages Zeit an der Minnesota Law School war beendet, doch nach seiner gescheiterten Anwaltsprüfung äußerte seine Frau Diane erste Bedenken: "Plötzlich wussten wir nicht mehr, was wir erwarten konnten. Wir hatten vier Kinder, kein Einkommen und Alan war gerade durch die Prüfung gefallen." So stand Page zur damaligen Offseason ohne Job in der NFL und ohne Anwaltszulassung da.

Doch die Sache regelte sich praktisch selbst: Neben dem Bestehen der Prüfung im zweiten Anlauf empfingen die Chicago Bears Page mit offenen Armen. Für eine MVP-Saison reichte es zwar nicht mehr, zu überzeugen wusste Page aber dennoch. Seine vier Jahre in der Windy City und somit auch seine NFL-Karriere beendete er in seinem letzten Spiel mit 3.5 Sacks gegen die Denver Broncos - zehn Jahre nach seinem MVP-Titel. Standesgemäß.

Bill Clinton als Vorredner

Neben all den atemberaubenden Stats und seinen Leaderqualitäten als Spieler führte Page auch eine revolutionäre Bewegung innerhalb der Liga an und setzte sich für bessere Bedingungen für die Spieler ein, womit er die Sozialleistungen und Bezahlungen in der NFL verbesserte. Sein enormer Einfluss wird alleine dadurch indiziert, dass der ehemalige US-Präsident Bill Clinton das Vorwort zu seine Biographie "All Rise: The Remarkable Journey of Alan Page" verfasste.

Als erster Afroamerikaner, der es ins State Office of Minnesota schaffte, treibt der 15. Pick des Drafts von 1967 heute seine juristische Karriere voran. Mit vergleichbaren Erfolg wie zu seinen sportlichen Zeiten.

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