Später in Ihrer Karriere machten Ihnen Verletzungen zu schaffen. Ihre Situation in der Free Agency 2019 bezeichneten Sie später mal als "Tiefpunkt", nachdem kein Team Ihnen ein Angebot vorgelegt hatte. Was für einen Einfluss hatte der Niedergang auf Sie ganz persönlich?
Lin: Ich bin immer sehr offen damit umgegangen, wie schwer die Zeit für mich war. Es war sehr enttäuschend, ich habe es als unfair empfunden. Wie ich fand, hatte ich bewiesen, dass ich meine Verletzungen in Atlanta gut überwunden hatte. Aber nach neun Jahren in der NBA hatte ich zwölf nicht so gute Spiele für Toronto und auf einmal war ich raus aus der Rotation. Nach dieser schlechten Phase haben alle NBA-Teams beschlossen: Der ist nicht mehr gut genug. Ich war überrascht, wie schnell der Absturz kam. Und vor allem, wie schnell alle aufgehört hatten, an mich zu glauben.
Was hat geholfen, aus dieser Phase herauszukommen?
Lin: Mein Glaube hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Mein Vertrauen in einen größeren Plan Gottes hat die schlimmsten schnell wieder in positive Situationen verwandelt. Ich habe seither nicht mehr in der NBA gespielt, dafür aber tolle Erfahrungen in China gesammelt. Und dabei habe ich viel über mich selbst gelernt.
Welche Erfahrungen haben Sie in der CBA gemacht? Wahrscheinlich waren Sie ein sehr bekanntes und populäres Gesicht vor Ort.
Lin: In China zu spielen hat sich angefühlt, als würde Linsanity nochmal von vorne beginnen. Das war eine unglaubliche Erfahrung. Wir konnten uns in den Hotels manchmal aufgrund der Fanmassen nicht mal zum Fahrstuhl durchkämpfen. All unsere Auswärtsspiele haben sich wie Heimspiele angefühlt, weil viele Fans unser Team angefeuert haben.
Jeremy Lin über Rassismus und sein Engagement für Bildung
Sie waren der erste US-Amerikaner mit chinesischer oder taiwanesischer Abstammung, der in der NBA gespielt hat. Dabei mussten Sie leider Rassismus und Stereotypen überwinden. Wie haben Sie das verarbeitet?
Lin: Ich durfte Asiatische Amerikaner weltweit vertreten und inspirieren, diesen Teil der Geschichte würde ich niemals ändern wollen. Früher bin ich davor weggelaufen, weil ich nicht als Basketballer mit asiatischer Herkunft angesehen werden wollte, sondern einfach nur als großartiger Basketballer. Im Laufe der Zeit musste ich zudem feststellen, wie viel Rassismus und Ungerechtigkeit es in dieser Welt gibt.
Wie sahen konkret Ihre Erfahrungen aus?
Lin: Die Leute schreiben dich schnell ab, du musst dich immer wieder neu beweisen. Und du bekommst bei Weitem nicht so viele Chancen wie ein Spieler mit weißer Hautfarbe. Das ist einfach die Realität und macht es für dich als Sportler natürlich schwerer. Aber meine Herkunft hat auch so viel Gutes mitgebracht, ich konnte viele Menschen inspirieren. Ich bin stolz auf meine asiatische Herkunft.
Mit Ihrer Stiftung, der Jeremy Lin Foundation, setzen Sie sich unter anderem für junge Asiatische Amerikaner ein. Zudem sind Sie Markenbotschafter von LingoAce, einem globalen Unternehmen für Bildungstechnologie. Was ist es an dem Thema Bildung, das Sie fasziniert?
Lin: Ich liebe Basketball, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Aber Basketball ist nur ein kleiner Teil meiner Persönlichkeit. Für mich ist es mittlerweile wichtiger geworden, meinen Mitmenschen zu helfen. Ich will meine Stimme nutzen, um die nächste Generation und vor allem benachteiligte Kinder zu unterstützen, gewisse Barrieren abzubauen sowie neue Möglichkeiten zu schaffen. Zugang zu Bildung und die Qualität dieser Bildung ist nicht selbstverständlich.
Inwiefern spielen da auch Ihre eigenen Erfahrungen mit hinein?
Lin: Wenn ich an meine eigene Geschichte denke: Ohne die Unterstützung gewisser Menschen auf meiner Reise könnte ich nicht mein jetziges Leben führen. Zum Beispiel meine Eltern, die aus Taiwan in die USA eingewandert sind, oder gewisse Personen, die meine Entwicklung als Basketballer gefördert haben. Heute versuche ich Partner zu finden, die neue, innovative Wege gehen, um Mitmenschen zu helfen. LingoAce ermöglicht zum Beispiel Menschen weltweit, Chinesisch zu lernen. Das wird auf die nächste Generation einen großen Effekt haben, da die Welt immer globaler wird. Kinder bekommen so Zugang zu Bildung, den ich in meiner Kindheit definitiv nicht hatte. In diesem Projekt steckt eine Menge Leidenschaft.