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NBA-Kolumne Above the Break: Miami vs. Boston - Endlich ein Stresstest für das größte Heat-Fragezeichen

Tyler Herro war vor zwei Jahren ein absoluter Celtics-Schreck.
© getty
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Wer lässt wen offen stehen?

Miami wird viel Druck auf Tatum und Jaylen Brown ausüben, Boston vermutlich unter anderem auf Herro - das führt automatisch dazu, dass nicht jeder Offensivspieler einen Verteidiger auf den Füßen stehen haben kann. Das wird auf beiden Seiten in Kauf genommen. Miami wird voraussichtlich weder White noch Williams eng verteidigen (auch wenn Williams diesen Ansatz der Bucks in Spiel 7 bestrafen konnte), auch von Theis wird abgesunken werden, wenn er viele Minuten sieht.

Auf der Gegenseite ist das auch der Fall, mit dem Zusatz, dass auch die beiden besten Spieler der Heat nicht die großen Wurfspezialisten sind. Bam Adebayo wirft grundsätzlich keine Dreier, Butler hatten wir schon. Aber auch vor Victor Oladipo, Gabe Vincent oder P.J. Tucker werden die Celtics keine Angst haben.

In der derzeit fixen Rotation sind tatsächlich nur Herro und Max Strus richtig gefährliche Dreierschützen. Duncan Robinson könnte das beheben, aufgrund seiner defensiven Probleme haben die Heat aber wohl ein Stück weit das Vertrauen in ihn verloren. Kyle Lowry kann eigentlich auch werfen, es bleibt aber fraglich, ob er einsatzbereit ist.

Das kann ein Problem für die Heat werden. In der Regular Season nutzten sie unter anderem gerne Handoff-Aktionen mit Adebayo als Screener für Strus oder Robinson, gegen die Switch-Defense der Celtics wird es dafür aber nicht so viele Chancen geben. Eckendreier für Tucker wird es hingegen viele geben. Vielleicht braucht Miami die eine oder andere Grant-Williams-Performance vom 37-Jährigen, der gegen Philly immerhin 44 Prozent von draußen traf.

Es kann sonst leicht ein mathematisches Problem werden - was in den Semifinals bereits Milwaukee und Phoenix zum Verhängnis wurde. Boston nimmt viele Dreier, manchmal sogar zu viele, nur die Mavs nehmen in der Postseason anteilig mehr als die Celtics (43 Prozent ihrer Abschlüsse). Die Heat nehmen deutlich weniger Triples und lassen mehr zu - nur Milwaukee erlaubte in der Regular Season mehr.

Für die Heat spricht immerhin, dass sie defensiv flexibler sind als Milwaukee und wohl eher adjustieren können, wenn sie feststellen, dass Boston sie von Downtown abschießt. Wie sie selbst an einfache Punkte (und Dreier) im Halbfeld kommen werden, bleibt dennoch spannend.

Wer gewinnt das Possession-Game?

Ein klarer Vorteil der Heat gegenüber ihren bisherigen Gegnern. Miami holte viele Steals und viele Offensiv-Rebounds, gleichzeitig war die eigene Transition-Defense sehr gut und man ließ wenige zweite Chancen zu. Gut möglich, dass das auch gegen Boston teilweise funktioniert. Die Celtics sind bisweilen anfällig für Offensiv-Rebounds (siehe Spiel 5 gegen die Bucks), zudem ist ihr Ballhandling nicht elitär.

Und: Miami kann viel Druck auf den ballführenden Spieler ausüben. Wenn Lowry ausfällt, schadet das den Heat zwar offensiv, defensiv ist Vincent Stand jetzt aber eine bessere Option. Mit ihm, Oladipo und Tucker (Butler zudem als Free Safety in den Passwegen) kann Miami Smart, Tatum oder Brown über das ganze Feld verteidigen, was automatisch dazu führen dürfte, dass Boston langsamer in die eigene Offense kommt und Fehler entstehen.

Gerade Tatum fiel gegen Milwaukee zudem immer mal wieder dadurch auf, dass er sich nach ausbleibenden Calls lautstark beschwerte, statt zurückzulaufen. Das müssen die Heat nutzen, wenn er es nicht abstellt.

Wen biestet Bam?

Eine Schlüsselrolle kommt auch Adebayo zu. Defensiv sowieso - Bam ist der wohl beste Switch-Big der NBA, er wird auch gegen Tatum seinen Mann stehen müssen. Spannend wird sein, ob Erik Spoelstra versucht, ihn teilweise näher am Korb zu postieren, da sonst der Ringschutz fehlt, aber das ist das Gute an Bam: Im Prinzip lässt sich defensiv jedes Setup mit ihm spielen. Dass auf der Gegenseite der DPOY spielt, wird Adebayo womöglich noch zusätzlich anstacheln.

Er ist aber auch offensiv wichtig. Nochmal zurück zur Bubble - der beste Spieler der Conference Finals 2020 war weder Tatum noch Butler, sondern Bam. 22 Punkte, 11 Rebounds und 5 Assists legte er im Schnitt auf, es war die bisher mit Abstand beste Serie seiner Laufbahn. Einen nicht ganz unwichtigen Block gegen Tatum hatte er auch ...

Kann Bam daran anknüpfen? Nüchtern betrachtet hat er das seither offensiv nie getan, weder konstant in der Regular Season noch in den Playoffs. In der laufenden Postseason nimmt er bloß knapp neun Würfe pro Spiel, weniger als Strus und Oladipo (und natürlich Butler und Herro).

Es spricht für Bam, dass er Spiele trotzdem beeinflussen kann, insbesondere durch seine Defense. Es ist aber gut möglich, dass sein Team gegen Bostons Defense mehr von ihm braucht. Adebayo muss als Scorer respektiert werden, allein schon deshalb, weil dadurch auch seine Screens und Handoffs anders verteidigt werden müssen.

Vor zwei Jahren schaffte er das, weil er seine überlegene Physis und Athletik gewinnbringend einsetzen konnte. Bam hat noch immer nicht viele Finesse-Moves oder einen tollen Jumper, er glänzt offensiv eher, wenn er Bully-Ball spielen kann. Das konnte er damals gegen Theis und Enes Kanter, die fast alle Center-Minuten der Serie spielten.

Gegen Anthony Davis danach in den Finals konnte er es nicht. Gegen die Bucks vergangene Saison auch nicht. Gegen die Sixers auch nicht, nachdem Joel Embiid zurückkehrte. 23,5 Punkte legte er gegen DeAndre Jordan auf, 13 pro Spiel in den vier Spielen danach. Und gegen Boston?

Robert Williams ist fraglich und sicherlich nicht bei 100 Prozent, Horford ist alt und wirkte zum Ende der unheimlich zehrenden Bucks-Serie ein wenig müde. Grant Williams ist ein Hydrant, aber kleiner als Bam (und wird eventuell anderswo gebraucht). Überragende Verteidiger sind sie trotzdem allesamt.

Adebayo kann der X-Faktor dieser Serie sein. Vielleicht muss er das auch, wenn Miami diese Serie gewinnen will.

Was ist der Pick?

Miami hat sich zwei Vorteile erspielt, die nicht zu verachten sind: Den Heimvorteil in einem möglichen Game 7, haarscharf, weil sie zwei Siege mehr geholt haben als die Celtics. Und eine deutlich längere Pause vor dem Start dieser Serie, weil sie Philly bereits in Spiel 6 in der Nacht auf Freitag eliminierten.

Den insgesamt etwas besseren Eindruck hinterließ bisher trotzdem Boston. Selbst gegen die Hawks und Sixers erzielten die Heat im Halbfeld nur 93,4 Punkte pro 100 Ballbesitzen im Halbfeld, nur Atlanta, Chicago und Milwaukee waren in den Playoffs schlechter. Wenn die Celtics es schaffen, zweite Chancen zu limitieren, wird Miami offensiv Probleme haben. Dann wird sich auch die fehlende Kreativität von Lowry bemerkbar machen.

Die Heat wiederum werden Boston auch vor Probleme stellen - wenn die Celtics zu viel in Isolationen verfallen, wird es auch für sie schwierig. Die Celtics werden erneut darauf angewiesen sein, dass Rollenspieler offene Dreier treffen. Dafür wäre der Heimvorteil nett, aber am Ende nicht alles entscheidend.

Der Pick lautet: Celtics in 6.

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