Dieser Artikel erschien erstmals im März 2020. In unserem Legenden-Archiv findet Ihr zahlreiche weitere Geschichten zu den größten Basketballern aller Zeiten.
"I'm back." Mehr war nicht nötig, um am 18. März 1995 ein Beben in der NBA-Welt auszulösen. Michael Jordan höchstpersönlich verfasste den simplen Einzeiler, der sein Comeback, sein erstes von insgesamt zweien, in der besten Basketballliga der Welt ankündigen sollte.
"Er hatte das Gefühl, dass es keinerlei Erklärung oder Rechtfertigung erfordere", erinnerte sich Jordans langjähriger Agent David Falk Jahre später gegenüber Bleacher Report. Falk selbst hatte vier verschiedene Pressestatements verfasst, MJ schien keines davon zu gefallen. So nahm der damals 32-Jährige selbst einen Stift in die Hand, überlegte kurz und hielt seine Ankündigung einfach und direkt.
"Ich dachte, ich wäre ein ziemlich guter Schreiber, ich habe damals viel verfasst. Aber er hat gesagt: 'Lass mich das machen'", erklärte Falk. "Das war ein klassischer Jordan. Es war in seiner Schlichtheit elegant. Es hat rübergebracht, wie er sich gefühlt hat. Das Statement hat alles gesagt."
Michael Jordan: Vom Basketball zum Baseball und zurück
Mehr war aus Sicht von Jordan auch nicht zu sagen. Gut eineinhalb Jahre zuvor hatte sich die Bulls-Legende von der NBA verabschiedet, gesättigt von drei Championships in Folge und unter anderem auch getrieben von einem tragischen Ereignis. Wenige Wochen nach dem Threepeat im Sommer 1993 wurde Jordans Vater, zu dem er eine innige Beziehung pflegte, ermordet.
Von James Raymond Jordan Sr. schaute sich Michael die herausgestreckte Zunge ab, die später zahlreiche Bilder von Drives, Dunks oder Layups von His Airness prägen sollte. Ihn wollte Michael ehren, indem er dessen eigentlich Traum für seinen Sohn verfolgte: Baseball-Profi zu werden.
Jordan heuerte im Februar 1994 beim Farmteam der Chicago White Sox an, den Birmingham Barons. Dort absolvierte er ein eher weniger erfolgreiches Jahr in der Minor League, den Sprung in Baseballs höchste Spielklasse schaffte er nie. Spätestens als die Keulenschwinger 1995 in den Streik traten, suchte MJ eine neue Beschäftigung.
Michael Jordan: "Habe das Spiel wirklich vermisst"
So nahm Jordan Anfang März erstmals wieder am Training der Bulls teil. Damals dachten sich die Mitspieler noch nicht viel dabei, da er zuvor immer mal wieder in seiner alten Heimat vorbeigeschaut hatte. Als MJ allerdings auch am darauffolgenden Tag im Trainingszentrum auftauchte, wurden einige hellhörig. Kaum zwei Wochen später war das Comeback besiegelt.
"Ich habe versucht, wegzubleiben, so gut es ging", erklärte Jordan später. "Je mehr ich in anderen Sportarten aktiv war, desto mehr war mein Geist abgelenkt. Aber wenn du etwas so lange liebst ... Ich brauchte meinen Rücktritt zu der Zeit wahrscheinlich vor allem auf mentaler Ebene. Aber ich habe das Spiel wirklich vermisst."
Und der Basketball vermisste Michael Jordan. Kurz nachdem die Faxgeräte in den Medienhäusern der Vereinigten Staaten die Neuigkeit ausspuckten, prasselte auf die Indiana Pacers, den kommenden Gegner der Bulls, eine Presseanfrage nach der anderen ein.
Fast 350 Journalisten wollten dem Comeback des besten Spielers seiner Generation beiwohnen, einzig Bulls-Coach Phil Jackson schien sich nicht von der Euphorie anstecken zu lassen. "Heute wurde Michael Jordan als Chicago Bull aktiviert", ließ der Zen-Master, der zwar auf ein MJ-Comeback gehofft, aber nicht damit gerechnet hatte, vor dem Spiel in einem Statement äußerst trocken verlauten.
MJ-Comeback 1995: Die NBA-Welt explodiert
Deutlich mehr Begeisterungsstürme löste Jordans Comeback erwartungsgemäß bei den Fans aus. Man möge sich einmal vorstellen, wie das Internet im Twitter-Zeitalter reagiert hätte, doch Mitte der 1990er Jahre blieb den Fans einzig die Möglichkeit, den Fernseher einzuschalten und ihr Idol ein weiteres Mal zu bewundern.
Gerade einmal einen Tag nach der Ankündigung stand Michael Jordan wieder auf dem Parkett. Schätzungsweise 35 Millionen Menschen ließen sich das Spektakel am 19. März 1995 im nationalen TV nicht entgehen, bis heute ist die Partie eins der meistgesehenen NBA-Spiele aller Zeiten - selbst Spiel 7 der NBA Finals 2016 zwischen den Warriors und Cavaliers kam nicht an diese Marke heran (etwa 31 Mio. Zuschauer).
Der Rost nach etwa 17 Monaten Pause war der Bulls-Legende allerdings anzumerken. Im Duell mit dem langjährigen Rivalen Reggie Miller behielt der Pacers-Star die Oberhand. Indy gewann erst in der Verlängerung, doch MJ legte nur 19 Punkte auf, obwohl er ganze 28-mal abdrückte (7 Treffer, dazu immerhin jeweils 6 Rebounds und Assists).
Michael Jordan: Der Rost aus eineinhalb Jahren
"Sein gesamtes Spiel war auf seinen Instinkten aufgebaut. Dass er eineinhalb Jahre nicht regelmäßig auf höchstem Level gespielt hat, hat dazu geführt, dass diese Instinkte ein wenig eingeschlummert sind", erklärte Tim Grover, der langjährige Personal Trainer Jordans, dessen kleinere Anlaufschwierigkeiten.
Hinzu kam, dass Jordan während seiner Basketball-Auszeit sein Trainingsprogramm umgestellt hatte, um sich möglichst gut auf seine Baseball-Karriere vorzubereiten. Das Resultat war ein deutlich muskulöserer Oberkörper, dafür fehlte ein wenig die Sprungkraft und die Wurfbewegung war etwas eingerostet.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis Jordan wieder an altes Niveau anknüpfte. Etwa zehn Tage, um genau zu sein. In seinem fünften Spiel nach seiner Rückkehr schenkte er den Knicks im Madison Square Garden 55 Punkte ein, Chicago gewann dennoch nur mit 2 Punkten Unterschied.
"Wenn solch eine Ikone zurückkommt und bei dir spielen will, dann sagst du nicht nein", freute sich Teamkollege Pete Myers und lieferte den Grund gleich hinterher: "Wir haben in dieser Saison nicht großartig gespielt."
Michael Jordans Statistiken in seiner Comeback-Saison
Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
17 / 39,3 | 26,9 | 6,9 | 5,3 | 41,1 | 50 |
Chicago Bulls: Auf einmal MJ, auf einmal Favorit
Als MJ sein Comeback ankündigte, stand Chicago bei einer mageren Bilanz von 34 Siegen zu 31 Niederlagen. Vorbei die Zeiten der Bulls-Dominanz, Jordans einst treuer Kompagnon Scottie Pippen forderte sogar einen Trade, nachdem er noch in der Vorsaison zum engeren Kreis der MVP-Kandidaten gehört hatte. Doch nach dem knappen Fax stieg die Franchise in Las Vegas auf einmal in die Riege der Championship-Favoriten auf.
Mit der neuen Nummer 45 im Team (Jordan trug zunächst seine Baseball-Trikotnummer) holte Chicago 13 Siege aus den letzten 17 Spielen. Auf den vierten Ring musste Jordan dennoch ein weiteres Jahr warten. 1995 war das Magic-Duo Shaquille O'Neal und Penny Hardaway in der zweiten Playoff-Runde zu stark, 1996 starteten Jordans Bulls aber einen weiteren Threepeat-Lauf.
Während seines zweiten Stints bei den Bulls holte der heute 59-Jährige zwei weitere MVP-Trophäen (insgesamt fünf), nach allen drei Championship-Runs wurde er zudem als Finals-MVP ausgezeichnet (insgesamt sechsmal). Michael Jordan war endgültig zum GOAT des Basketballs aufgestiegen und hängte 1998 erneut seine Sneaker an den Nagel.
Michael Jordan: Das (eigentlich) perfekte Ende
Zuvor brachte er mit seinem (eigentlich) finalen Wurf den Bulls die sechste Meisterschaft der Franchise-Geschichte. The Last Shot, auswärts, in Spiel 6 gegen die Utah Jazz, 5,2 Sekunden vor dem Ende. Es war das Bilderbuch-Ende einer einzigartigen Karriere und des vermutlich größten Comebacks der Sport-Historie.
Wie gesagt, eigentlich. Im Sommer 2001 entschied sich MJ, erneut zurückzukehren. Es kribbelte immer noch zu sehr in den Fingerspitzen, doch sein Comeback bei den Washington Wizards würden die meisten NBA-Fans lieber aus dem kollektiven Gedächtnis streichen. Das einzig wahre Comeback des GOATs wird für immer auf jenen März-Tag vor 27 Jahren datiert sein, als Michael Jordan mit einem Fax die Sport-Welt zum Beben brachte.