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NBA-Kolumne Above the Break: Die Toronto Raptors sind das beste Team im Osten!

Fred VanVleet ist ein wichtiger Teil der Geheimwaffe der Toronto Raptors.
© getty

Willkommen bei Above the Break - der SPOX-Meinung zur NBA-Saison! Zweimal im Monat nimmt SPOX-Redakteur Ole Frerks ein Thema aus der Liga ganz genau unter die Lupe. Diesmal: Das beste Team der Eastern Conference - und die Fragen der User.

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Darum sollten wir die Toronto Raptors ernst nehmen

Es läuft das vierte Viertel im Topspiel - das beste Team der NBA, 17 Siege in Folge im Gepäck, ist zu Gast beim besten Team der Eastern Conference. Die Raptors führen mit 7, weil C.J. Miles soeben einen Dreier getroffen hat. Es sind trotzdem noch über zehn Minuten zu spielen, Houston hat also noch massig Zeit. Zumal jetzt Minuten laufen, die die Rockets in dieser Saison lieben.

Es sind hauptsächlich Bankspieler auf dem Court, MVP-Favorit James Harden sitzt auf der Bank. Da die Rockets die Minuten von ihm und Chris Paul aber so staggern, dass einer von beiden immer drauf ist, wischen sie in diesen Szenarien mit den allermeisten Teams den Boden: Die Kombination aus Paul, Eric Gordon, Trevor Ariza und Luc Mbah a Moute hat in dieser Saison ein Net-Rating von +12,7 (Joe Johnson war in diesem Spiel zum ersten Mal dabei).

Fred VanVleet treibt Chris Paul zur Weißglut

Die Raptors wissen dies natürlich. Und sie kontern auf ihre Art: Nach dem Miles-Treffer bleibt Fred VanVleet vorn und packt tatsächlich eine Ganzfeldpresse gegen Paul aus. Dieser ist sichtlich irritiert. Statt den Ball entspannt nach vorne tragen zu können, muss er sich nun tatsächlich mit dieser Klette rumschlagen. VanVleet bringt CP3 in Bedrängnis - als dieser realisiert, dass er nicht rechtzeitig die Mittellinie erreichen wird, wirft er entnervt einen Pass nach vorne.

Einen ungenauen allerdings, der prompt von Jakob Pöltl abgefangen wird. Der Österreicher spielt sofort ab auf VanVleet, der mittlerweile die Mittellinie passiert hat. Dieser findet den vorausgesprinteten Pascal Siakam, Layup, Bang - 9 Punkte Vorsprung, Auszeit Houston.

Die Sequenz hat ganze 14 Sekunden gedauert. Sie war nicht spielentscheidend beim Statement-Sieg der Raptors. Und doch verdeutlichte sie recht gut, was die Raptors in dieser Saison so stark macht.

Toronto Raptors: Nicht mehr die gleiche Leier

Die Raptors sind seit Jahren eins der konstant guten Teams der Eastern Conference - in den letzten beiden Jahren gewannen sie je über 50 Spiele, in den beiden Saisons davor 48 und 49. Auf gute Regular Seasons folgten dann regelmäßig Enttäuschungen in den Playoffs, auch wenn es 2016 bis in die Conference Finals ging. Spätestens bei LeBron James war immer und auf ziemlich deutliche Art Endstation.

Dementsprechend waren auch Zweifel berechtigt, als die Raptors im Sommer ihr Team zusammen hielten und viel Geld in neue Deals für Kyle Lowry und Serge Ibaka investierten. Auch die Aussage, man wolle jetzt endlich moderner spielen und sich vom Midrange- und Iso-lastigen Steinzeitbasketball der letzten Jahre wegbewegen, wurde skeptisch aufgenommen - hatte man ja schließlich schon öfter gehört.

Tatsächlich haben die Raptors ihre Identität aber fast völlig geändert. Toronto hat den Dreier für sich entdeckt und nimmt mittlerweile die drittmeisten Triples der NBA. Sie spielen im Schnitt über 20 Pässe mehr pro Spiel als letzte Saison und sind viel schwerer auszurechnen. Sie verteidigen auch besser denn je. Toronto hat aus einer mittelmäßigen Defense die viertbeste der Liga gemacht und rangiert als einziges Team der NBA bei Offensiv- und Defensiv-Rating in der Top 5. Nur die beiden West-Giganten Golden State und Houston schlagen ihre Gegner deutlicher als die Kanadier.

Team-Ratings: Nur Toronto offensiv und defensiv Top 5

RangNet-RatingOffensiv-RatingDefensiv-Rating
1Warriors (+10*)Warriors (113,7)Celtics (101,4)
2Rockets (+9,1)Rockets (113,3)Jazz (102,5)
3Raptors (+8,5)Raptors (111,2)Spurs (102,6)
4Celtics (+4,3)Timberwolves (111,1)Raptors (102,6)
5Sixers (+3,0)Cavaliers (109,9)Sixers (103,1)

*Alle Zahlen via nba.com/stats - 13.3.2018

DeMar DeRozan: Ein legitimer MVP-Kandidat

Im Zentrum steht dabei natürlich DeMar DeRozan, der zwar nicht so viele Punkte auflegt wie letztes Jahr, aber die mit Abstand kompletteste Saison seiner Karriere spielt. Der Dreier ist zwar wieder abgekühlt (31,9 Prozent), der Shooting Guard nimmt ihn aber erstmals in seiner Karriere wirklich konsequent und hat die Offense Torontos im Zuge dessen höchstpersönlich modernisiert.

Er hat auch als Playmaker Fortschritte gemacht, seine 5,2 Assists sind mit Abstand Career High. Während es in den letzten Jahren noch zur Debatte stand, ob er oder Lowry der wichtigste Spieler Torontos ist, hat sich das mittlerweile geklärt - DeRozan ist endgültig Chef bei den Raptors.

Man darf ihn zudem mit Recht in das Cluster der MVP-Kandidaten packen, das mit etwas Abstand auf Harden blickt. Laut Chris Bosh sollte DeRozan sogar auf dem zweiten Platz stehen. Dass er außerdem das Tabu gebrochen hat, als Sportler über mentale Probleme zu sprechen, kann man ihm gar nicht hoch genug anrechnen.

Raptors: Unfassbare Stärke der Bank

Das wahre Geheimnis der Raptors liegt aber in ihrer Tiefe, in Lineups wie der Truppe, die CP3 in der anfangs beschriebenen Sequenz in die Bredouille brachte. Die Rockets staggern - die Raptors spielen viele Minuten ohne ihre Stars Lowry und DeRozan. Bei Pauls Turnover stand kein einziger Raptors-Starter auf dem Court, eigentlich fast unerhört in Spitzenspielen. Aber die Raptors haben diesen Luxus. In gewisser Hinsicht sind sie sogar dann am besten, wenn der Bench-Mob spielt.

Die Starter sind natürlich auch stark - aber dadurch, dass Lowry und DeRozan den Ball relativ viel dominieren und auch Jonas Valanciunas seine Touches im Post braucht, wird das Spiel naturgemäß etwas langsamer. Mit der Bank sieht das anders aus. Es gibt keinen Go-to-Scorer und auch keine Egos - es wird einfach so lange und schnell gepasst, bis sich eine gute Möglichkeit ergibt. Es gibt nicht selten Possessions, die an die Spurs erinnern.

Das Zusammenspiel ist einfach nur beeindruckend und erinnert so gar nicht mehr an die Raptors der letzten Jahre. Und auch defensiv klappt es, weil diese jungen Lineups vor Energie nur so strotzen und weil sie neben der kleinen Pest VanVleet über vielseitige Flügelverteidiger und den agilen Shotblocker Pöltl verfügen.

Jakob Pöltl und Fred VanVleet glänzen gemeinsam

Das meisteingesetzte "pure" Bank-Lineup der Raps besteht aus VanVleet, Pöltl, Miles, Siakam und Delon Wright - dieses Quintett weist in 243 Minuten ein Net-Rating von +24,9 (!) auf. Und es ist bei weitem nicht die einzige positive Kombination. Pöltl und VanVleet haben in 817 gemeinsam absolvierten Minuten ein Net-Rating von 19,3, Siakam und VanVleet stehen über 849 Minuten bei +18. VanVleet und Wright stehen in 601 Minuten bei +17,3, Pöltl und Wright über 667 Minuten bei 15,4. Und so weiter, und so fort.

Tatsächlich sind die Raptors vom Net-Rating her als Team sogar besser, wenn DeRozan und Lowry auf der Bank sitzen. Das heißt nicht, dass die beiden All-Stars deswegen Bankspieler sein sollten - der Bench Mob funktioniert eben deshalb so gut, weil er dosiert eingesetzt werden kann und sich häufig gegen die schwächeren Lineups der Gegner austobt.

Dadurch, dass die Bank diese kurzen Duelle immer und immer wieder gewinnt, kann Coach Dwane Casey seinen Stars viel mehr Pausen geben und die Raptors können auch Spiele verkraften, in denen Lowry beispielsweise nur 7 Punkte macht. In den letzten Jahren wäre das so kaum denkbar gewesen.

Das genaue Gegenteil der Bucks

Alles in allem sind die Raptors in dieser Saison ein unheimlich gut ausbalanciertes Team. DeRozan ist Mr. Verlässlich, aber auch um ihn herum gibt es in jedem Spiel mehrere Spieler, die stark aufspielen und andere mitreißen. Auch Casey muss hoch angerechnet werden, dass er in fast jedem Spiel die richtige Kombination findet - obwohl es oft weit mehr als fünf Spieler gibt, die sich im jeweiligen Spiel Minuten in der Crunchtime verdient hätten. Wenn es überhaupt dazu kommt.

Die Frage bei der ganzen Angelegenheit ist natürlich, inwieweit sich die größte Stärke der Raptors auch auf die Playoffs übertragen lässt. Denn dort schrumpfen traditionell die Rotationen - und die Minuten der Stars steigen an. Ist die 10er- oder 11er-Rotation Raptors dann immer noch so wertvoll?

Nehmen wir mal die Bucks als Vergleich (momentan Platz 7). Milwaukee ist ein verheerend schlechtes Team, wenn Giannis Antetokounmpo sitzt (Net-Rating -8,7), mit dem Griechen auf dem Court spielen sie zwar immer noch frustrierend unkreativen, aber erfolgreichen Basketball (+4,7). Momentan spielt er 37,1 Minuten pro Spiel, diese werden aber in den Playoffs steigen. Letztes Jahr waren es 40,5, in diesem Frühling könnten es sogar noch mehr werden.

Wieviel ist die Tiefe der Raptors dann noch wert, wenn der beste Spieler der Serie beim anderen Team spielt? Allein für die Beantwortung dieser Frage wäre es faszinierend, wenn diese Teams wie schon letztes Jahr in Runde eins aufeinandertreffen würden.

Raptors: Entgegen aller Klischees

Toronto versucht, mit mehreren Konventionen und Klischees zu brechen. Da die Raptors ein ungewöhnliches Team sind, ist es auch in Ordnung, ihren Höhenflug zumindest etwas kritisch zu betrachten. Dennoch macht man es sich zu leicht, wenn man nur die Argumente "wie in den letzten Jahren" und "LeBron" dafür aufbringt.

Die Raptors sind ein anderes Team geworden. Die Cavaliers auch. Die Celtics sind verletzt und ohnehin nicht so gut, wie es ihre Serie von 16 Siegen Anfang der Saison suggeriert hat. Dazu gesellt sich eine Reihe von Teams, die nicht gerade vor Playoff-Erfahrung strotzen. Es wird oft dargestellt, als wäre Toronto einfach eins der Teams aus dieser Reihe, aber das ist einfach nicht wahr.

Die Raptors sind derzeit mit Abstand das beste Team der Eastern Conference. Sie sind konstant, sie sind tief, sie sind vielseitig und sie bringen weniger Fragezeichen mit als alle anderen Teams im Osten. Ja, sie haben keinen LeBron - ein legitimer Superstar ist DeRozan mittlerweile aber auch. Und sie haben alles andere.

Es wird Zeit, dass die Playoffs anfangen.

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