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LeBrons wahrer Thronfolger

Giannis Antetokounmpo (l.) wandelt derzeit auf den Spuren von LeBron James
© getty

Giannis Antetokounmpo wandelt auf den Spuren von LeBron James - dabei ist er noch nicht ansatzweise am Ende seiner Entwicklung angekommen. Beyond the Boxscore hat Stärken und Schwächen des Greek Freaks unter die Lupe genommen.

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"Sie trainieren in Deutschland", sagte Giannis Antetokounmpo kürzlich zu CBS Sports. "Deutschland ist nicht weit von Griechenland entfernt, und er hat mir gesagt, dass ich dazukommen kann oder dass er mich besucht, wo auch immer ich mich aufhalte. Das ist eine nette Einladung. Ich hoffe, dass ich sie wahrnehmen kann."

Von wem ist hier die Rede? Von Holger Geschwindner, seines Zeichens der verrückte Professor und Mentor von Dirk Nowitzki. Während sein ewiger Schützling so langsam Richtung Sonnenuntergang reitet, hat Geschwindner bereits neue potenzielle Lehrlinge ausgemacht: Kristaps Porzingis und anscheinend eben auch Antetokounmpo.

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Diese Vorstellung sollte der Konkurrenz Schweißperlen ins Gesicht treiben. Giannis produziert schon jetzt - mit gerade einmal 22 Jahren - Zahlen eines All-Stars oder sogar Dark-Horse-MVP-Kandidaten. Dabei absolviert er gerade seine erste Saison als Point Guard, kann nicht wirklich werfen und offenbart von Zeit zu Zeit noch immer ein eher rudimentäres Spielverständnis - kein Wunder, hat er doch erst relativ spät mit Basketball angefangen.

Schon jetzt führt er die Bucks dennoch bei den Punkten (22,3), den Rebounds (8,9), den Assists (5,9), den Steals (2) und Blocks (2) an - das schaffte in diesen Kategorien seit LeBron James 2008/09 niemand mehr. Und jetzt soll man sich auch noch vorstellen, dass dieser Freak nächste Saison einen Geschwindner-gepimpten Wurf präsentiert?

Zwischen LeBron und Steph

Irgendwie würde es zu seiner Entwicklung passen - denn bisher hat sich Giannis, trotz seines jungen Alters bereits in seiner vierten NBA-Saison, abgesehen vom Distanzwurf, in jedem Jahr signifikant verbessert. In diesem Jahr auch: Obwohl er bisher weniger Minuten spielt als in der Vorsaison, liefert er Career-Highs in nahezu allen Bereichen, darunter auch dem Player Efficiency Rating, wo er mit 26,2 ligaweit derzeit auf Platz 10 zwischen LeBron und Stephen Curry rangiert.

Besonders eindrucksvoll ist dies vor allem deshalb, weil Giannis erstmals nahezu in Vollzeit den Ballvortrag übernimmt. Das hat natürlich seine Folgen: Momentan leistet er sich die fünftmeisten Ballverluste (3,5) der Liga, seine Assist/Turnover-Rate ist mit 1,69 gut für den 166. Rang und daher mehr als ausbaufähig. Coach Jason Kidd aber lebt gerne mit solchen Zahlen, da er weiß, dass ein funktionierender Giannis auf der Eins ihm einen riesigen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann - und es auch jetzt schon tut.

Die Bucks stehen mit 11-12 derzeit nicht allzu gut da, aber wo wären sie erst ohne Giannis? Mit dem Griechen auf dem Court erzielen sie auf 100 Ballbesitze gerechnet 4,7 Punkte mehr als der Gegner, ohne ihn stehen sie bei -8,4. In der Kategorie "Value Over Replacement Player", die den Wert eines Spielers verglichen mit dem Ligadurchschnitt auf seiner Position berechnet, stehen sogar nur Russell Westbrook, Chris Paul und James Harden über Giannis (2,2).

Fehlendes Spacing

Antetokounmpo erreicht dies, ohne dass sein Team ihm wahnsinnig viel helfen würde. Seine Harmonie mit Jabari Parker, der ebenfalls ein Career-Year hinlegt, ist gut, aber alles in allem fehlt Milwaukee einfach der Punch - vor allem von der Dreierlinie. Von draußen schließen nur zehn Teams schwächer ab als die Bucks, wobei sich das Fehlen vom letztjährigen Topscorer Khris Middleton hier besonders bemerkbar macht.

Antetokounmpo im Gespräch: "Nowitzki-Vergleich? Ein großes Kompliment"

Giannis arbeitet häufig ohne vernünftiges Floor-Spacing, was seine Zahlen noch beeindruckender macht. Seine Verteidiger können aufgrund seiner Wurfschwäche meist absinken, zudem können andere sich zur Help-Defense postieren, da sie wissen, dass er vermutlich zum Korb ziehen wird. Dennoch ist er aufgrund seiner Länge, Athletik und Fußarbeit in der Lage, in der Zone mit über 70 Prozent abzuschließen, wo er über 65 Prozent seiner Abschlüsse nimmt.

Zumeist nutzt er Spin-Moves oder einen gigantischen Eurostep, um zum Ring zu kommen - wobei in der Regel zwei Schritte von der Dreierlinie genug sind. Wenn man Antetokounmpo bei diesen Moves beobachtet, sollte man sich gelegentlich vor Augen führen, dass dieser Typ genauso groß oder sogar größer ist als Dwight Howard und DeMarcus Cousins - und sich dann vorstellen, wie diese beiden dabei aussehen würden.

"Ähnlich wie Magic Johnson"

"Diese Länge, kombiniert mit dem Handling und der Athletik gibt es sonst einfach nicht", staunte kürzlich auch Raptors-Coach Dwane Casey. "In der Hinsicht ist er sehr ähnlich wie Magic Johnson früher." Der Vergleich mit dem besten Point Guard der NBA-Geschichte mag etwas weit hergeholt sein, verdeutlicht aber vor allem den wachsenden Respekt für Giannis in der NBA.

Nicht nur Geschwindner und Casey interessieren sich für das "Projekt Greek Freak" - auch Kevin Garnett schaute kürzlich beim Bucks-Training vorbei und gab Antetokounmpo einige Ratschläge. Unter anderem drängte "The Big Ticket" den Griechen, sich ein paar mehr Konter zuzulegen, wenn die Defense auf seinen Spin-Move reagiert. Ein sinnvoller Hinweis, da solche Situationen ihn bisher noch häufig überfordern und entweder in Ballverlusten oder Offensivfouls resultieren.

Auch das Thema Defense kam dabei zur Rede. Aufgrund seiner langen Arme und Athletik hat Giannis perfekte Voraussetzungen und tritt häufig auch schon als Verteidiger in Aktion, wie seine Steals und Blocks zeigen, allerdings fehlt es im von Zeit zu Zeit noch an Disziplin. Teilweise verlässt er sich noch zu sehr auf seine Instinkte, was auch KG anmerkte.

Giannis bedankte sich artig für die Ratschläge Garnetts und begeisterte damit wiederum Kidd: "Das zeigt einfach, wie groß sein Wille ist, noch besser zu werden", sagte der Head Coach. "Darüber reden zu können ist etwas, was die Großen dieses Sports auszeichnet. Sie suchen immer nach Möglichkeiten, ihr Spiel weiterzuentwickeln."

Kidd bleibt sich treu

Natürlich ist es noch zu früh, um Giannis als einen "Großen dieses Sports" zu bezeichnen, wenn es nicht gerade um seine übermäßigen Gliedmaßen geht, die vermutlich immer noch wachsen. Dafür hat er einfach noch zu viele Bereiche, in denen er sich verbessern kann und muss. Das weiß Kidd selbstverständlich auch.

"Es ist klug, was Jason macht", sagte abermals Casey. "Wenn ich so einen Jungen hätte, der meiner Ansicht nach langfristig auf die Eins gehört, warum sollte ich dann nicht gleich damit anfangen? Natürlich wird dabei nicht von Anfang an alles glatt laufen. Aber ich verspreche euch: Der Ertrag wird um Einiges größer sein. Da nimmt man ein paar Probleme auf dem Weg gerne in Kauf."

Der letzte Satz ist dabei vermutlich sogar der wichtigste. Mit der Middleton-Verletzung flog die Erwartungshaltung in Milwaukee gewissermaßen aus dem Fenster. Sicher hätte man nichts gegen eine Playoff-Teilnahme, es gibt aber keine Not, in Panik zu verfallen, wenn es in dieser Saison nicht klappen sollte. Die Bucks haben den Vertrag mit Giannis gerade erst verlängert und können mit ihm einen längerfristigen Ansatz wählen.

Es kann nur nach oben gehen

Zumal wir hier ja auch nicht von einer Situation sprechen, bei dem ein junger Spieler ins kalte Wasser geworfen wird, der vielleicht irgendwann mal produktiv wird, wie es beispielsweise in Philly öfter mal praktiziert wurde. Giannis ist schon jetzt extrem produktiv und wird trotzdem gefühlt in jeder Woche ein kleines bisschen besser.

Bei der höchsten Usage-Rate seiner Karriere (28,5 Prozent) legt er auch beim True Shooting einen Karrierebestwert auf (59,5 Prozent), was besonders deshalb verwunderlich ist, weil er nur 23,6 Prozent seiner 2,4 Dreier pro Spiel im Korb unterbringt (Dreier werden beim True Shooting stärker gewichtet). Schon jetzt können Defenses ihn kaum verteidigen. Was passiert, wenn er mehr Shooting um sich herum hat und vielleicht auch selbst einen soliden Wurf entwickelt?

LeBrons Thronfolger?

"Ich gehe davon aus, dass Giannis der beste Spieler des Ostens sein wird, wenn LeBron eines Tages seinen Hut nimmt", sagte ESPN-Guru Brian Windhorst vor kurzem. Aus der Luft gegriffen wirkt das nicht, auch wenn vermutlich vor allem in New York viele Fans anderer Meinung sein dürften. Holger Geschwindner kann im Sommer womöglich perfekt beurteilen, ob Giannis das Zeug zum Thronfolger hat.

Antetokounmpo hat in jedem Fall noch einen weiten Weg zu gehen, unabhängig davon, ob es um eine Thronfolge geht oder nur darum, das eigene Potenzial auch nur ansatzweise auszuschöpfen. Gut, dass fast niemand größere Schritte macht als der Greek Freak.

Giannis Antetokounmpo im Steckbrief

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