NBA

Auf einmal Staatsfeind

Dennis Schröder legt in der Serie gegen Boston bisher 8,8 Punkte bei 35,9 Prozent FG auf
© getty

Dennis Schröder ist nur teilweise selbst verschuldet zum erklärten Hassobjekt der Boston Celtics geworden. Das Publikum machte dem Deutschen in Spiel 4 mit seinen Buhrufen sichtlich zu schaffen. Spiel 5 avanciert daher zum vielleicht größten Test seiner Karriere - zumal die Atlanta Hawks ihn dringend brauchen.

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"Man, I love Dennis Schröder", sagte TNT-Analyst Reggie Miller in Halbzeit eins während Spiel 4. "Er wird hier die ganze Zeit ausgebuht, das beeinträchtigt ihn aber überhaupt nicht. Er spielt einfach weiter und legt sich verbal mit jedem Spieler an, der ihm über den Weg läuft."

Es war kein Wunder, dass Miller, einst der Staatsfeind in weit mehr als nur einer gegnerischen Halle, seine Zuneigung zu Schröder erklärte - zumal der Ausruf nach einer der wenigen gelungenen Aktionen des Deutschen kam. Ob der Ex-Scharfschütze diese Aussage allerdings auch im weiteren Spielverlauf noch getätigt hätte, darf bezweifelt werden.

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Im Gegensatz zu Miller, der gerade im New Yorker Madison Square Garden regelmäßig vom gegnerischen Hass zu Höchstleistungen getrieben wurde, schien sich Schröder vom Bostoner Publikum nämlich durchaus beeinträchtigen zu lassen. Seine Leistung litt in jedem Fall (7 Punkte, 3/13 FG), das Spiel der Hawks ebenfalls immer dann, wenn er auf dem Court stand.

Ein neues Hassobjekt in Boston

Nach Thabo Sefolosha (-26) wies Schröder das zweitschlechteste Plus/Minus-Rating auf (-20), wohlgemerkt in einem Overtime-Spiel. Er wirkte nervös, traf reihenweise schlechte Entscheidungen. Die Strategie der Celtics, gegen Schröder (wie auch gegen Jeff Teague) stets abzusinken, war eine gute.

Schröder traf nur einen seiner sechs Dreier, bei Teague waren es drei von zehn. Dass die beiden nicht gerade wurfstarken Point Guards zusammen überhaupt 16 Dreier versuchten, dafür aber kaum zum Korb gingen und kombiniert bloß 7 Assists verteilten, sprach Bände darüber, dass Spiel 4 - mit Ausnahme des überragenden Paul Millsap (Highlights im Video) - überhaupt nicht nach dem Geschmack von Hawks-Coach Mike Budenholzer verlief.

Millsap dominierte mit 45 Punkten, ausnahmslos jeder andere Hawk blieb dagegen weit unter seinen Möglichkeiten. Die Celtics sind ohne Avery Bradley mit Sicherheit nicht das talentiertere Team, in diesem Fall waren sie aber klar das hungrigere und mutige - letzteres vor allem personifiziert durch Marcus Smart, der in den letzten zehn Minuten des Spiels weit über sich selbst hinauswuchs und selbst Millsap effektiv verteidigen konnte.

Und sie hatten ein Publikum auf ihrer Seite, das sich mit Playoff-Schlachten auskennt, selbst wenn die letzten einige Jahre her sind. Das gleiche Publikum, das in den 2008er Finals gegen die Lakers "no means no" in Richtung von Kobe Bryant (Vergewaltigungsklage) und "ug-ly sis-ter" in Richtung von Lamar Odom (Khloe Kardashian) brüllte. Nun hatten sich die Celtics-Fans in Schröder ein neues Feindbild ausgesucht, dabei konnte der nur teilweise etwas dafür.

Provokation durch Thomas und Crowder

Die Entwicklung begann in Spiel 3, als Isaiah Thomas dem Deutschen einen mehr oder weniger offensichtlichen Schlag gegen den Kopf verpasste, was von den Refs übersehen wurde. Schröder reagierte mit überharter Defense, streckte den All-Star wenig später zu Boden und sagte ihm danach noch einige Takte - da hatte die Sache ihren Lauf genommen.

"Es war eine despektierliche Aktion von ihm", sagte Schröder danach, als bekannt gegeben wurde, dass Thomas keine nachträgliche Sperre bekommen würde - eine diskutable Entscheidung. "Es ist passiert, aber ich will mich jetzt nur darauf konzentrieren, das nächste Spiel zu gewinnen."

Das sagte sich leicht, doch die Bostoner Fans - und auch Spieler - hatten Schröder nun als jemanden ausgemacht, den sie provozieren könnten. Bei jeder Aktion wurde er ausgebuht, dann kam noch die Szene mit Jae Crowder im zweiten Viertel dazu: Beide Spieler lagen am Boden, dann versuchte der Celtics-Forward beim Aufstehen ganz "subtil", sein Knie in Schröders Privatregion zu rammen. Der befreite sich reflexartig mit den Armen und bekam dafür ein Technical. Der Garden war begeistert: Schröder war erneut reingefallen.

Lerneffekt für Schröder?

Sein Coach zeigte Verständnis dafür, mahnte aber gleichzeitig auch: "Wir erwarten von unseren Spielern, dass sie alles für den Sieg geben, sich dabei aber auch würdevoll und professionell verhalten. Ich denke, dass Dennis als junger Spieler gerade dabei ist, diese Balance zu lernen. Ich denke, ich muss ihm da auch ein wenig Freiraum geben, da ihn dieses Feuer zu einem sehr guten Spieler macht. Aber wir wollen uns auf eine gewisse Art und Weise präsentieren."

Coach Bud hätte Schröder in einer anderen Situation auch einen Denkzettel verpassen oder ihn direkt kritisieren können, doch er weiß, dass er seinen Backup-Einser braucht - gerade jetzt. Das Momentum in der Serie hat sich gewandelt. Atlanta schien die Kontrolle zu haben, doch nach zwei Siegen in Serie spricht das Selbstvertrauen wieder für Boston.

Gerade in Spiel 4 hätte Schröder in Normalform den Unterschied machen können, denn trotz der miesen Leistung von Teague und vieler anderer Spieler lag Sieg Nummer drei für Atlanta durchaus im Rahmen der Möglichkeiten. Nur war der Point Guard bei weitem nicht der Einzige, der nervös wirkte.

"Es ist wie ein Tanz"

Vielleicht zeigt sich daher nun der wahre Wert des Heimvorteils. Die Serie kehrt für Spiel 5 zurück nach Atlanta, wo Schröder jetzt vermutlich erst recht die Unterstützung der Fans spüren wird - und wo er ganz besonders motiviert sein wird, das desolate Spiel 4 vergessen zu machen.

"Dennis ist großartig, weil er so siegeshungrig ist und unserem Team eine gewisse Galligkeit gibt, die wir dringend brauchen können", weiß auch Bud. "Er und ich bewegen uns daher auf einer feinen Linie, es ist wie ein Tanz. Wir wollen beide Erfolg, wir haben nur etwas unterschiedliche Vorstellungen, wie man am besten dazu kommt."

Die Art und Weise ist nun jedoch vorerst egal. In Spiel 5 muss ein Sieg her, sonst kämpfen die Hawks in Boston gegen die Eliminierung und das sollte man angesichts der jüngeren Erkenntnisse tunlichst vermeiden. Es ist nur bedingt seine Schuld, dennoch werden sich viele Augenpaare dabei auf Dennis Schröder richten, dem vielleicht das größte Spiel seiner jungen Karriere bevorsteht. Wie reagiert er diesmal?

Dennis Schröder im Steckbrief

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