"Mit 128 km/h ins Fahrzeug"

Stephan Schott startet mit seinem Beifahrer Holm Schmitt am 4. Januar in die Dakar 2015
© x-raid

2015 fährt Stephan Schott zum siebten Mal die Rallye Dakar und obwohl er mit seinem Mini des favorisierten X-Raid-Teams ein Top-20-Pilot ist, kennt den Deutschen in seiner Heimat niemand. Und das obwohl er zum alleinigen Rekordhalter aufsteigen könnte. Im Interview mit SPOX spricht der 62-jährige Privatier über den Mythos Dakar, erklärt die Rallye, seine Aufgaben, den Skispringer-Fahrstil von Adam Malysz und Parallelen zu Lukas Podolski.

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SPOX: Herr Schott, wie kommt man eigentlich auf die Idee, sich als erfolgreicher Unternehmer ein Rennauto zu leasen und gegen die professionellen Fahrer bei der größten und bedeutendsten Rallye der Welt anzutreten?

Stephan Schott: Die Geschichte geht ganz weit zurück. Meine Studentenzeit war die Zeit der Hippies: Lange Haare bis weit über die Schulter, mehr als 200.000 Kilometer mit einem uralten VW-Bus rund um die Welt. Das ging in Etappen bis nach West-Afrika, Indien und Nepal. Es hat mich schon immer gereizt, auf Strecken zu fahren, die nicht so bekannt und ausgefahren sind. Mitte der 70er Jahre war ich in der Sahara unterwegs und sah die ersten Autos, die die Rallye Dakar fuhren. Diese Abenteuerlust hat sich übertragen. Ich hatte damals schon den Gedanken: 'Irgendwann will ich die Dakar fahren.' Das war aber ganz weit weg, weil meine finanzielle Situation einen Start mit einem vernünftigen Fahrzeug nicht zuließ.

SPOX: Irgendwann war das Polster dann groß genug.

Schott: Richtig. Ich hatte bis vor einem Jahr ein Unternehmen für Spezialwerkzeuge der Automobilindustrie. Damit habe ich aus marketingtechnischen Grünen einige Fahrer unterstützt. Darunter war auch Ellen Lohr, die einzige Frau, die jemals ein DTM-Rennen gewann. Bei ihren vier Starts bei der Dakar hatte sie zwar mäßigen oder keinen Erfolg, aber einen großen Namen. Dadurch habe ich einige Leute kennengelernt und Fragen gestellt: Welche Lizenz braucht man? Was kostet das? 2005 habe ich mir einen alten Mitsubishi gemietet, fuhr die Dubai Desert Challenge und eroberte direkt Platz 16. Das Fieber war da! Bei so einem Erfolg ist man dann von sich überzeugt und glaubt man kann noch mehr. (lacht) Mit meinem eigenen, uralten Mitsubishi wurde ich bei der Dakar 24., dann bot mir mein heutiger X-Raid-Teamchef Sven Quandt ein Auto für 2011 an.

SPOX: Ihr erster Start war zwar 2009 mit 57 Jahren. Sie wollten aber schon starten, als die Dakar 2008 wegen Terrorgefahr in Mauretanien abgesagt wurde. Wie groß war die Enttäuschung, als die Nachricht Sie erreichte?

Schott: Die Enttäuschung war riesig. Ich wollte unbedingt in Afrika die Dakar fahren. Die technische Abnahme war schon beendet, wir beklebten gerade das Auto und am nächsten Tag wäre die Rallye losgegangen. Keiner wusste in dem Moment, wie es weitergeht. Ellen Lohr hatte damals den zweiten Mitsubishi des Teams, wir waren total bedröppelt.

SPOX: Ist das ein kleiner Makel, nie bei der "echten" Dakar gestartet zu sein?

Schott: Sagen wir mal so: Ich hätte sehr, sehr gerne eine afrikanische Dakar gefahren. Das war ein ganz anderer Charakter als in Südamerika. Heute muss man kaum auf seine Service-Fahrzeuge warten, die in Afrika immer hinter dem Feld herfuhren. Die heutige Dakar ist viel schneller, wir fahren mit dem Messer zwischen den Zähnen. Wir wissen genau, dass die Mechaniker alles vorbereitet haben, wenn wir im Biwak ankommen. Wir müssen auf das Auto nicht die Rücksicht nehmen wie in Afrika.

SPOX: Dieses Jahr gibt es immerhin wieder eine Marathon-Etappe: In einer Nacht dürfen die Mechaniker nicht an die Autos. Sie müssen eventuelle Reparatur mit den anderen Fahrern aus ihrem Team vornehmen.

Schott: Richtig. Darauf freue ich mich schon. Wer vernünftig mit seinem Fahrzeug umgeht, hat zumindest an diesen Tagen die Chance auf eine sehr gute Platzierung. Und man bekommt den afrikanischen Charakter wieder: Übernachtung im einfachen Biwak. Kein Service. Keine Ersatzteile außer denen, die man im Auto hat. Da geht's wieder ein bisschen back to the roots, während sonst auf jeder Etappe nur Vollgas gefahren wird.

SPOX: Hoffen Sie insgeheim auf eine Rückkehr nach Afrika?

Schott: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemals wieder nach Afrika zurückgeht, allein aufgrund der politischen Situation in den nord- und westafrikanischen Staaten. Auch vor 2008 gab es schon Situationen, die nicht an die Öffentlichkeit drangen. Nachzügler oder Service-Trucks wurden überfallen. Die Gefahr ist heute noch viel größer geworden. Deshalb werden wir auf absehbare Zeit in Südamerika bleiben, wo riesiges Potenzial vorhanden ist - werbetechnisch und vom Enthusiasmus der Einwohner her. Beim Start stehen zwei Millionen Menschen an den Straßen, in Argentinien ist die Begeisterung rund um die WRC-Strecken verrückt. Das ist Wahnsinn, wie viele Leute mitten in der Wüste neben der Strecke stehen und uns zujubeln.

SPOX: Die Dakar hat aber auch ihre Schattenseite. Seit 1979 gab es 66 Tote. 2011 starb ein Zuschauer, weil ein Rennauto mit einem lokalen Pickup zusammenprallte. Haben Sie als Fahrer manchmal Angst?

Schott: Nein. An den gefährlichen Stellen ist mit Flatterbändern alles abgesperrt. Die Gefahr für Zuschauer ist also relativ gering. Ich habe auch noch nie einen Zuschauer gesehen, der zu nah an die Strecke gekommen ist.

SPOX: Was unterscheidet Sie als Privatier eigentlich von den Stars wie Nani Roma, Stephane Peterhansel, Carlos Sainz und Co.?

Schott: Eins ist nicht zu übersehen: 62 Jahre sind nicht das beste Alter für einen Dauersport. Ich fahre pro Jahr drei oder vier Rennen und bin sonst nicht der Sportlichste. Ich fahre nicht jeden Tag Fahrrad oder laufe meine Strecke ab. Das ist ein riesiger Unterschied. Auf der anderen Seite verdienen die Jungs ihr Geld damit. Die haben ein ganz anderes Talent, sind täglich im Konditions- und Fahrtraining. Ich bin sportlich, nicht übergewichtig, aber ein fauler Mensch. Ich habe aber ein anderes Talent: Ich kann beißen, ich gebe auch in schwierigsten Situationen nicht auf. Bei der Dakar zählt der Wille. Man muss bereit sein, sich zu quälen. Man muss bereit zu leiden sein und sich in schwierigsten Situationen durchzukämpfen. Das zählt oft mehr, als wenn man zu 100 Prozent fit ist. So schafft man es auch anzukommen.

SPOX: In der Atacama-Wüste liegt die Cockpit-Temperatur locker bei 70 Grad. Setzen Sie sich Wochen vor dem Start jeden Tag vier Stunden am Stück in die Sauna?

Schott: (lacht) Das sollte ich theoretisch machen, aber einmal in der Woche reicht mir völlig. Man akklimatisiert sich langsam an die Bedingungen. Wir fliegen etwas früher nach Südamerika, wo gerade Hochsommer ist. Es ist auch nicht mehr ganz so schlimm, weil wir seit zwei Jahren eine Klimaanlage haben. Die ist zwar nicht vergleichbar mit denen in den Straßenautos, senkt die Temperatur aber um 10 bis 15 Grad ab - wenn sie funktioniert. Wenn der Motor heiß oder stark belastet wird, setzt sie aus.

SPOX: Die Situation kann jeder nachvollziehen, der im Sommer schon ohne Klimaanlage im Stau stand...

Schott: ...nur, dass bei uns keine Dämmung im Auto ist. Bei 40 bis 45 Grad Außentemperatur heizt sich der Wagen extrem auf. Sämtliche Hitze von Motor und Getriebe kommt ungedämmt rein. Manchmal kann man den Schalthebel nach einer Stunde nur noch mit Handschuhen anfassen, weil er so heiß ist. Der kalte Luftstrom auf dem Körper ist deshalb unwahrscheinlich wichtig. Früher haben wir uns noch damit beschäftigt, die Körpertemperatur runterzubringen.

SPOX: Wie sieht ihre Vorbereitung denn genau aus?

Schott: Theoretisch nehme ich mir jedes Jahr vor, viel mehr zu machen. In der Praxis laufe ich mit meinem Hund morgens maximal vier Kilometer. Das ist ein riesiges Manko meinerseits, aber ich stehe dazu, dass ich ein fauler Mensch bin. Sonst würde ich Marathon laufen und nicht Marathon-Rallyes fahren. Ich habe 2013 sogar einen persönlichen Trainer vom Team bekommen. Das lag aber daran, dass bei der medizinischen Untersuchung im November Gallensteine festgestellt wurden, die direkt operiert wurden. Mein Chef sagte: "Wenn du den Mini fahren willst, musst du noch Konditionstraining machen." Dann hatte ich den Trainer zu Hause am Hals. (lacht)

SPOX: Wie lange kann man eigentlich bei diesem anstrengenden Rennen mitfahren? Oder sind alle Dakar-Fahrer solche Adrenalin-Junkies, dass das Rennen zur Sucht wird?

Schott: Ich mache es immer davon abhängig, wie ich mich körperlich und mental fühle. Ich bin schon einer der Ältesten auf der Dakar. Es gibt einen Franzosen, der fast alle bisherigen Dakars gefahren ist, aber nur noch ganz weit hinten fährt. So will ich nicht enden. Es ist also absehbar, dass es bei mir nicht mehr ganz lange geht. Man sollte dann aufhören, wenn man noch gute Ergebnisse erzielt und nicht nur hinterherfährt. Das ist für mich wichtig. Auch wenn mir die Dakar viel Spaß macht, habe ich Ambitionen. Irgendwann kommt man an seine Grenzen.

SPOX: Sie sind ein echter Experte beim Erreichen des Ziels und könnten bald alleiniger Rekordhalter sein: Seitdem die Dakar in Südamerika ausgetragen wird, kamen außer Ihnen nur zwei andere Fahrer jedes Mal ins Ziel. Hofft man da auf technische Probleme bei den Kollegen?

Schott: Nein. Giniel De Villiers ist ein super Fahrer und menschlich ein sehr, sehr netter Kerl. So jemandem wünscht man keine technischen Probleme. Das wäre sehr schade. Und zum Franzosen: Christophe Girard kommt immer weit hinten an und er hatte unterschiedliche Co-Piloten. Giniel mit Dirk von Zitzewitz und ich mit Holm Schmidt sind die einzigen, die immer in derselben Paarung angekommen sind.

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