Ehemaliger Star vom FC Bayern ist den Tränen nahe: Serienmeister taumelt Richtung zweite Liga

Von Falko Blöding
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Lange vor PSG dominierte Olympique Lyon Frankreichs Fußball und vor nicht allzu langer Zeit kämpfte der Klub noch um die Krone der Champions League. Davon ist heute allerdings kaum noch etwas zu sehen.

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Corentin Tolisso kämpfte mit den Tränen. Der Ex-Spieler des FC Bayern und Weltmeister von 2018 sollte Anfang Oktober die 0:2-Niederlage seines Klubs Olympique Lyon gegen Stade Reims erklären. Eine weitere Pleite in einer Saison, die den einst so erfolgreichen Klub bis ans Tabellenende der Ligue 1 hat abstürzen lassen.

Tolisso fehlten angesichts der beispiellosen Talfahrt lange die Worte, dann schluckte er und äußerte sich doch: "Ich habe keine Ahnung, warum sich unsere Fehler in jedem Spiel wiederholen. Ich weiß auch nicht mehr, was ich noch sagen soll. Ich bin ein Fan von OL und ich hätte mir nie vorstellen können, dass der Verein in eine solche Situation gerät."

Knapp vier Wochen ist besagte Lyon-Pleite in Reims nun her und wer damals gedacht hat, diese von Tolisso angesprochene "Situation" könne beim einstigen Serienmeister kaum noch schlimmer werden, der wurde bitter enttäuscht. Beinahe täglich folgt ein noch tieferer Tiefpunkt und mittlerweile regiert das blanke Chaos.

Wie konnte es so weit kommen, dass der Klub, der die Ligue 1 zwischen 2002 und 2008 mit sieben Titeln in Folge im Würgegriff hatte und noch 2020 im Halbfinale der Champions League stand, seine schlechteste Saison seit dem Abstieg 1982/83 spielt?

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John Textor übernahm Olympique Lyon Ende 2022

Nun, wie so häufig bei Talfahrten von Klubs ist es ein Zusammenspiel vieler Faktoren und mehrerer Verantwortlicher. Eine prominente Rolle nimmt dabei der neue Besitzer John Textor ein. Der reiche US-Amerikaner (geschätztes Vermögen etwa 240 Millionen Euro) übernahm OL im vergangenen Winter. Sein Vermögen machte er unter anderem mit dem Sport-Streaming-Dienst FuboTV. Das Magazin Forbes nannte ihn 2011 einmal "Hollywood's Virtual Reality Guru". Gemeinsam mit einigen Geschäftspartnern und seiner Firma Eagle Football Holdings sicherte sich Textor, der auch bei Botafogo, Molenbeek und Crystal Palace als (Mit-) Eigentümer mitmischt, im Dezember 80 Prozent der Anteile. Zwischen 850 und 900 Millionen Euro flossen damals.

Ein Teil davon ging an Jean-Michel Aulas. Der einstige Klubpatron, unter dem Lyon die Heimat von Stars wie Juninho, Karim Benzema, Michael Essien und Florent Malouda war, wehrte sich lange gegen den Verkauf seiner Anteile. Er war allerdings nicht der alleinige Anteilseigner und geriet unter Druck der anderen Aktionäre. Schließlich lenkte er widerwillig ein und verkaufte seinen Mehrheitsanteil. Nach 36 Jahren als Präsident steht er nicht mehr an der Vereinsspitze.

Als graue Eminenz allerdings zieht der 73-Jährige weiter die Strippen im Hintergrund. Naïm Beneddra, OL-Experte bei SPOX und GOAL, sagt: "Er behindert die Entwicklung des Klubs, das ist offensichtlich. Viele Mitarbeiter sind weiter loyal gegenüber Aulas. Es gibt bei ihnen außerdem große Zweifel an Textors Fähigkeiten. Das ist der perfekte Nährboden für Misserfolg."

Textors erklärtes Ziel ist es, den breit aufgestellten Verein zu verschlanken. Die Mehrheit an der erfolgreichen Frauen-Abteilung verkaufte er im Mai an die US-Geschäftsfrau Michele Kang. Auch das spektakuläre Infrastruktur-Gebilde 'OL Vallee' steht zum Verkauf. Textor heuerte die Investment Bank Goldman Sachs an, die helfen soll, aus den Verkäufen insgesamt 300 Millionen Euro zu erlösen. Das Geld, so versprach es der 58-Jährige, sei dazu gedacht, die Jugendarbeit des Vereins zu stärken, Schulden zu tilgen und das Groupama-Stadion, Frankreichs drittgrößte Fußballarena, zu übernehmen.

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Olympique Lyon: Erst gingen die Stars, dann Laurent Blanc

Bislang ist von alldem aber noch nichts gelungen und der Verein steht wirtschaftlich, gelinde gesagt, ausbaufähig da. So schaut die DNCG, die in Frankreich als Organ der Liga die Finanzen der Klubs kontrolliert, ganz genau hin und erschwerte Lyon im Sommer die Arbeit auf dem Transfermarkt.

Viele große Namen verließen OL, um Ersatz wurde sich erst (zu spät) gekümmert. Unter anderem fehlen im Vergleich zum Vorjahr Stars wie Bradley Barcola (PSG), Castello Lukeba (RB Leipzig), Malo Gusto (FC Chelsea) und Romain Faivre (AFC Bournemouth). Geblieben ist eine abgehalftert wirkende Mannschaft, in der die bekannteren Akteure Alexandre Lacazette, Tolisso und Dejan Lovren ihre besten Tage längst hinter sich haben.

Olympique Lyon: Die namhaften Abgänge dieses Sommers

NameAlterNeuer VereinAblöse
Bradley Barcola20PSG45 Millionen Euro
Castello Lukeba20RB Leipzig30 Millionen Euro
Romain Faivre24AFC Bournemouth15 Millionen Euro
Cenk Özcacar22FC Valencia5 Millionen Euro
Thiago Mendes31Al-Rayyan4,2 Millionen Euro
Karl Toko Ekambi30Abha1,5 Millionen Euro
Houssem Aouar25AS Romablösefrei
Moussa Dembélé27Al-Ettifaqablösefrei
Jérôme Boateng34vereinslosablösefrei
Malo Gusto20FC Chelseawar ausgeliehen
Tetê22Shachtjor Donezkwar ausgeliehen

"Das Niveau des Kaders ist schlichtweg nicht gut", erklärt Beneddra: "Viele starke Spieler sind gegangen, von den Neuzugängen hat einzig Clinton Mata (mit fünf Millionen Euro Ablöse der teuerste Einkauf des Sommers, d. Red.) eingeschlagen. Man kann nicht ernsthaft erwarten, dass eine solche Personalpolitik keine Konsequenzen hat."

Die Konsequenzen äußerten sich in einem missratenen Saisonstart und der frühen Trennung von Ex-Trainer Laurent Blanc. Von nun an wurde es allerdings noch schlimmer.

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Olympique Lyon unter Fabio Grosso: Ärger, Suspendierungen, Maulwürfe

Als Nachfolger Blancs heuerte Fabio Grosso in Lyon an. Zu aktiven Zeiten war der Deutschland-Schreck von 2006 noch Teil der großen OL-Mannschaft in den 2010er Jahren. Als Trainer dagegen arbeitete er bislang noch nicht auf Top-Niveau: Frosinone, Brescia, Bari, Sion und Verona lauten seine Stationen.

Grosso versuchte, sich mit harter Hand und hartem Training Respekt zu verschaffen. Der Schuss ging allerdings nach hinten los. Früh zählte er Rayan Cherki, den letzten verbliebenen Star der Mannschaft, öffentlich an. Der offensive Mittelfeldspieler gilt nicht als großer Fan von Defensivarbeit. Grosso attestierte ihm mangelnden Einsatz, wechselte ihn früh aus - und brachte damit auch Teile der Mannschaft gegen sich auf. "Cherki ist nicht schlimmer als andere, Grosso macht ihn zum Bauernopfer", lautet Beneddras Einschätzung.

Am Sonntag, als Lyon gegen das bisherige Schlusslicht Clermont Foot verlor, fehlte Nicolás Tagliafico wegen einer Suspendierung. Der argentinische Linksverteidiger hatte am Freitag zuvor in Saint-Denis die Niederlage seiner Landsleute im Halbfinale der Rugby-WM gegen Neuseeland verfolgt. "Der Trainer hat mir gesagt, dass es ihm nicht gefallen hat, dass ich an unserem freien Nachmittag zum Rugby gegangen bin", so Tagliafico. Er akzeptiere die Entscheidung und "respektiere" seinen Coach, ließ er noch wissen.

Der Respekt vor dem Trainer scheint allerdings ein größeres Problem innerhalb der Mannschaft zu sein. Ex-Profi Jérôme Rothen veröffentlichte am Montag bei RMC Sport Informationen mit Sprengwirkung. Demnach habe ihm ein nicht namentlich genannter OL-Spieler verraten, dass Grosso "einer der schlechtesten Trainer" sei, die er jemals erlebt habe. "Er hat jetzt schon alle gegen sich aufgebracht", lautete ein weiterer Vorwurf. Dazu sei das Training überhart, Grossos Anforderungen "verstörend".

Grosso reagierte dünnhäutig auf Rothens Enthüllungen. Am Dienstag versammelte er laut L'Équipe die Mannschaft vor dem Training und forderte den Maulwurf auf, sich zu erkennen zu geben. Als sich auch nach 30 Minuten noch niemand gemeldet hatte, sagte der 45-Jährige die Einheit kurzerhand ab.

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John Textor sieht Olympique Lyon nicht in Abstiegsgefahr

So gibt der einst so stolze Klub dieser Tage ein chaotisches Bild ab. Grosso appellierte an die "Verantwortung" der Spieler und den "Willen, sich aus dieser Situation zu befreien". Den Ernst der Lage hat er nach vier sieglosen Spielen unter seiner Regie durchaus verstanden. Im Gegensatz zu John Textor. Fragen nach dem Abstiegskampf bügelte der Klubchef unlängst ab. Man werde sicher nicht absteigen: "Das zielt nur darauf ab, Angst bei uns zu verbreiten."

Angst, die nicht unberechtigt ist. Gerade die Ligue 1 ist in den letzten Jahren dafür bekannt, durchaus prominente Vereine überraschend ans Unterhaus zu verlieren. Seit 2011 stiegen AS Monaco, Girondins Bordeaux, AJ Auxerre, RC Lens, AS Saint-Etienne und der FC Sochaux unerwartet ab.

Sollte dieser GAU wirklich eintreten, dürfte Corentin Tolisso gewiss komplett sprachlos sein.

Ligue 1: Der Tabellenkeller

PlatzVereinSpielePunkteTordifferenz
14RC Lens99-5
15HSC Montpellier881
16FC Metz98-8
17Clermont Foot85-6
18Olympique Lyon93-11
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