Spanien-Connection, Leverkusen-Power - und Probleme neben dem Platz: Hintergünde zum Erfolgslauf von Aston Villa

emery
© getty

Aston Villa hält sich beharrlich in der Premier-League-Spitzengruppe. Verantwortlich dafür sind Trainer Unai Emery, reiche Besitzer und ein ausgewogenes Mannschaftsgefüge mit Leverkusen-Power. Abseits des Platzes gibt es aber Probleme. Zum Comeback eines einstigen Europapokalsiegers.

Cookie-Einstellungen

Um die Gründe für Aston Villas irrsinnig anmutenden Erfolgslauf zu erklären, braucht Stuart Young nur zwei Worte: "Unai Emery!" Young betreibt den Blog A Villa Fan und ist seit vielen Jahren Dauerkartenbesitzer. Eine größere Euphorie als aktuell durfte er noch nicht miterleben, einen erfolgreicheren Trainer auch nicht.

"Als Villa die Verpflichtung von Unai verkündet hat, war ich sofort begeistert", erinnert sich Young im Gespräch mit SPOX und GOAL an den November 2022. Vor etwas mehr als einem Jahr übernahm Emery die Mannschaft tief im Abstiegskampf vom planlos wirkenden Steven Gerrard, der mittlerweile in Saudi-Arabien tätig ist. Klassenerhalt? Ach! "Mein Traum ist es, mit Aston Villa eine Trophäe zu gewinnen. Mein zweiter Traum ist es, in Europa zu spielen", sagte Emery bei seiner Vorstellung.

Er will dorthin zurück, wo Villa schon einmal war. Die goldenen Zeiten des Klubs aus Birmingham, der zweitgrößten Stadt Englands, liegen weit zurück: Anfang des 20. Jahrhunderts war Villa Rekordmeister, auf den bis dato letzten Meistertitel von 1981 folgte der Gewinn des Europapokal der Landesmeister. Im Finale gegen den FC Bayern München.

emery
© getty

Aston Villas Spielweise unter Trainer Unai Emery

Seinen Europa-Traum erfüllte sich Emery direkt in seiner ersten Rest-Saison, mittlerweile erscheinen auch Trophäen möglich. Zur Premier-League-Halbzeit rangiert Villa völlig überraschend auf Platz zwei, nur drei Punkte hinter Spitzenreiter FC Liverpool. Auch in der Conference League und im FA Cup ist die Mannschaft noch dabei. Es ist das Werk des 52-jährigen Basken. Spieler und Fans lieben Emery gleichermaßen. Wie macht er das? "Ordentliches Training, ein Verständnis für den Klub und seine Fans, keine Arroganz", sagt Young.

Emery änderte die jahrelang etablierte Spielweise radikal. "Seit ich mich erinnern kann, war Villa eine Konter-Mannschaft", erzählt der Blogger. "Aber jetzt nicht mehr." Im 4-4-2-System lässt Emery "geduldigen Ballbesitz-Fußball" spielen. Villa verteidigt hoch und setzt auf eine mutige Abseitsfalle. Wie The Athletic neulich ausrechnete, stellt keine Mannschaft in Europas Top-Ligen ihre Gegner öfter ins Abseits. Tottenhams Heung-Min Son wurden gegen Villa gleich drei Treffer aberkannt.

Das vorläufige Meisterstück gelang im Dezember beim 1:0-Sieg gegen Manchester City. Villa dominierte den Triple-Sieger nach Belieben und erarbeitete sich ein Torschussverhältnis von 22:2. "Das bessere Team hat gewonnen", lobte Pep Guardiola anschließend. Ob Villa Meister werden könnte? "Ja, definitiv - und zwar aufgrund des Spielstils. Die Physis, das Tempo, die hochkarätig besetzte Bank, Unais tolle Organisation, das hohe Pressing und eine unglaubliche Defensive." Guardiola kam kaum mehr aus dem Schwärmen heraus.

PlatzKlubSpieleTordifferenzPunkte
1Liverpool202545
2Villa201642
3ManCity (M, P)192440
4Arsenal201740
5Tottenham201339
6West Ham20334
7Brighton20531
8ManUnited20-531
9Newcastle201029
10Chelsea20328
11Wolves20-128
12Everton20-426
13Bournemouth19-725
14Fulham20-724
15Palace20-721
16Nottingham20-1120
17Brentford19-519
18Luton (N)19-1415
19Burnley (N)20-2111
20Sheffield U. (N)20-349

Keine Stars in Birmingham: Das sind Aston Villas Schlüsselspieler

Villa überzeugt in dieser Saison mit einem stabilen Mannschaftsgefüge ohne Superstar. Diese Rolle sollte nach dem Abgang von Eigengewächs Jack Grealish zu Manchester City (für 117 Millionen Euro) eigentlich Philippe Coutinho einnehmen. Der Brasilianer floppte aber und spielt mittlerweile per Leihe in Katar. Die aktuellen Schlüsselspieler verfügen über wenig internationales Renommee. Größtenteils Mittzwanziger, die schon ein bisschen was erlebt haben, aber noch hungrig sind auf mehr.

Am prominentesten ist wohl Argentiniens Weltmeister-Keeper Emiliano Martínez im Tor. Der, der den Pokal für den besten Keeper der WM vor den Augen der Kataris zum goldenen Gemächt umfunktionierte. Davor verteidigt Pau Torres, Emerys Weggefährte aus gemeinsamen Zeiten beim FC Villarreal und einst Transfer-Kandidat beim FC Bayern.

Der brasilianische Olympiasieger Douglas Luiz ordnet im zentralen Mittelfeld, die beiden ehemaligen Leverkusener Leon Bailey und Moussa Diaby wirbeln auf den Flügeln, Ollie Watkins netzt im Sturmzentrum. 19 Scorerpunkte sammelte der 28-jährige englische Nationalspieler in dieser Premier-League-Saison bereits, das übertrifft lediglich Liverpools Mohamed Salah (22).

watkins
© getty

Aston Villa hat die sechstreichsten Besitzer der Premier League

Nennenswerte Abgänge hatte Villa im Sommer nicht zu verzeichnen. Dafür wurde die Mannschaft mit dem ablösefreien Youri Tielemans, Torres und Diaby punktuell verstärkt. Für Diaby zahlte Villa die klubinterne Rekordsumme von 55 Millionen Euro, seit dem Wiederaufstieg 2019 belaufen sich die Transfer-Ausgaben auf fast 600 Millionen Euro.

Möglich machen diese Investitionen zwei Milliardäre: Nassef Sawiris aus Ägypten und Wes Edens aus den USA. Mit ihrer Firma V Sports übernahmen sie 2018 das Kommando bei Villa, gleichzeitig halten sie auch Anteile am portugiesischen Erstligisten Vitoria Guimarães. Edens ist außerdem Mitbesitzer des NBA-Teams Milwaukee Bucks. Gemeinsam sind die beiden laut Forbes die sechstreichsten Besitzer eines Premier-League-Klubs, übertroffen lediglich von ihren Pendants bei Newcastle United, Manchester City, Chelsea, Arsenal und Fulham.

Nach Jahren im Mittelmaß stellte sich erst unter Emery sportlicher Erfolg ein, das Vertrauen der Besitzer in den Trainer scheint deshalb immens. Kürzlich schloss V Sports eine Partnerschaft mit dem spanischen Drittligisten Real Unión ab, der Emerys Familie gehört. Bei der Besetzung wichtiger Posten hat Emery reichlich Gestaltungsspielraum: Mit Sportchef Damian Vidagany sowie Geschäftsführer Ramón Rodríguez Verdejo, genannt Monchi, holte Emery zwei spanische Weggefährten nach Birmingham.

besitzer
© getty

Sevilla, PSG, Arsenal, Villarreal: Unai Emerys Weg zu Aston Villa

Monchi hatte sich bei seinem langjährigen Arbeitgeber FC Sevilla einst den Ruf als Transfer-Experte erarbeitet. Spieler entdecken, entwickeln und deutlich teurer weiterverkaufen - das ist seine Spezialdisziplin. Bestes Beispiel: Barça-Legende Dani Alves. Sevillas Präsident Jose Castro taufte Monchi gar den "Messi der Sportdirektoren".

Gemeinsam mit Emery formte Monchi aus Sevilla einen Europa-League-Seriensieger, ehe der Trainer zu Paris Saint-Germain weiterzog. In zwei Spielzeiten führte Emery PSG zwar zu sieben von acht möglichen nationalen Titeln, verpasste aber wie seine Vorgänger und Nachfolger das große Ziel Champions-League-Sieg.

Bei seiner nächsten Station Arsenal war das Erbe von Trainer-Ikone Arsene Wenger zu groß für Emery, ehe er beim FC Villarreal in die Erfolgsspur zurückfand. Auf seinen vierten Europa-League-Triumph folgte der Sturm ins Champions-League-Halbfinale, sensationell schaltete Emerys Mannschaft auf dem Weg den FC Bayern aus. Für die festgeschriebene Ablösesumme von sechs Millionen Euro kaufte ihn Villa schließlich aus dem Vertrag, die Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf.

jubel
© getty

Tickets, Wappen, Trikots: Aston Villas Probleme abseits des Sports

Trotz aller sportlicher Euphorie herrscht um den Klub aber nicht ausschließlich gute Laune. "Abseits des Platzes sehen die Dinge nicht so rosig aus", klagt Blogger Young. "Die Erhöhung von Ticketpreisen, neue Logen-Bereiche auf der Fantribüne Holt End und eine Wappen-Änderung ohne ernsthafte Rücksprache sorgen für Unmut."

Schuldiger für diese Entwicklungen ist nach Meinung vieler Fans der President of Business Operations Chris Heck. "Er ist das exakte Gegenstück zu den Besitzern und dem Trainer", erklärt Young. "Er versteht den Klub und seine Anhänger nicht."

Für Unmut bei den Spielern sorgten zu Saisonbeginn außerdem die Trikots der Marke Castore. Bei entsprechenden Temperaturen waren sie schon nach wenigen Minuten körperlicher Betätigung schweißgetränkt und schwer. Bisweilen wirkten die Spieler wie Teilnehmer an einem Wet-T-Shirt-Contest. Erst nach Beschwerden wurde das Produktionsproblem behoben, Auswirkungen auf die Ergebnisse hatte das aber keine. Gewonnen wurde sowieso.