Raphael Varane bei Manchester United: Nur noch der Back-up von Jonny Evans und Harry Maguire

Von James Westwood / Patrik Eisenacher
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Trainer Erik ten Hag blieb zuletzt wenig anderes übrig, als den französischen Weltmeister Raphael Varane aus der Stammelf zu nehmen.

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Raphael Varane sagte bei seiner Vorstellung: "Manchester United ist einer der größten Vereine im Weltfußball und die Chance, hierher zu kommen und in der Premier League zu spielen, kann ich nicht ausschlagen. Ich möchte hier etwas bewirken und werde alles geben, um Teil der glanzvollen Geschichte dieses Vereins zu werden."

Vor etwas mehr als zwei Jahren schien der französische Weltmeister und vierfache Champions-League-Sieger die perfekte Verpflichtung zu sein. United investierte 40 Millionen Euro in den damals 28-Jährigen, nachdem dieser einen neuen Vertrag bei Real Madrid abgelehnt hatte.

Real verließ der Innenverteidiger nach zehn Spielzeiten, 360 Spielen und vier CL- sowie drei LaLiga-Titeln als Legende. Doch die Blancos haben ihn seit dem Wechsel nicht wirklich vermisst. In der folgenden Saison holten sie ohne ihn das Double aus Meisterschaft und Königsklasse, während Varane seine United-Debütsaison verhaute. Er hatte Mühe, sich an den englischen Fußball zu gewöhnen und kämpfte mit Verletzungen, während United in der Premier League auf den sechsten Platz zurückfiel.

Mit der Verpflichtung von Erik ten Hag kehrte Varane jedoch in der Saison 2022/23 zu seiner alten Form zurück und bildete mit Neuzugang Lisandro Martinez ein starkes Duo in der Innenverteidigung. Dieses solide Fundament in der Abwehr war entscheidend für die Rückkehr der Red Devils auf die Champions-League-Plätze.

Trotz seiner 30 Jahre bewies Varane immer noch, dass er auf höchstem Niveau spielen kann - und er hatte sich einen Platz in der Startelf von ten Hag redlich verdient. Doch innerhalb weniger Monate hat sich diese Dynamik komplett verändert.

Der Weltmeister von 2018 ist in der Hackordnung der Innenverteidiger bei United plötzlich auf den vierten Platz abgerutscht, selbst Jonny Evans steht vor ihm - der 35-jährige Haudegen, der im Sommer überraschend ablösefrei zurückkehrte.

United wirkt in Varanes Abwesenheit wie eine geschlossene Einheit. Es wird schwer für ihn, sich wieder in die Stammelf zu spielen. Was genau ist also bei dem ehemaligen Real-Star schief gelaufen?

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Raphael Varane wird sogar von Harry Maguire aus der Startelf verdrängt

Auf die Frage, ob es ein internes Problem mit Varane gebe, erklärte ten Hag zuletzt: "Auf keinen Fall. Es geht um taktische Gründe, warum ich diese Duos gewählt habe. Ich denke, Harry [Maguire] und Jonny [Evans] haben sich gut geschlagen. Letztes Jahr hat Harry nicht viel gespielt, weil ich mit den Leistungen von Rapha sehr zufrieden war. Ich war immer zufrieden mit seinen Leistungen. Aber im Moment spielt Harry sehr gut und es gibt einen internen Konkurrenzkampf."

Maguires Karriere bei United schien so gut wie beendet zu sein, nachdem er im Sommer seines Kapitänsamtes enthoben wurde. Doch er lehnte einen Wechsel zu West Ham ab, weil er der Meinung war, dass er im Old Trafford noch viel zu bieten hätte. Die letzten Wochen haben ihm Recht gegeben. Nach seiner Rückkehr in die Mannschaft konnte United endlich wieder einige Siege einfahren.

Ten Hag hat es immer vermieden, Maguire und Varane zusammen spielen zu lassen, der Grund dafür wurde jüngst offensichtlich: Als Varane in der Champions League bei Kopenhagen für Evans gekommen war, verloren die Red Devils in der Schlussphase kläglich 3:4.

Ten Hag fügte indes hinzu: "Der Spielaufbau ist nicht so flüssig, wenn einer von ihnen auf der linken Innenverteidigerposition spielt, weil ich denke, dass Licha (Martinez), Jonny Evans und Victor Lindelöf zwar Rechtsfüßer sind, aber sie können sehr gut mit links spielen und die richtigen Winkel bilden, dann kann man eine bessere Formation aufbauen, in der man anfangen kann zu spielen."

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Raphael Varane in der Premier League: "Kann mit dem Tempo nicht umgehen"

Schon bevor Varane aus der Startelf von ten Hag für das erste Derby der Saison gegen Manchester City (0:3) gestrichen wurde, gab es deutliche Anzeichen für eine Verschlechterung seines Spiels. "United hat gewisse Defizite", sagte Rene Meulensteen, ehemaliger Assistenztrainer von United, in einem Interview mit dem Sender ESPN. "Varane kann mit dem Tempo nicht umgehen. Die Premier League ist dynamisch. Alles läuft mit 100 Kilometern pro Stunde."

Varane hat das Tempo verloren, das ihn bei Real so unüberwindbar machte und er gewinnt nicht mehr so viele Zweikämpfe. Außerdem wurde er in dieser Saison schon mehrfach bei schlechtem Stellungsspiel erwischt, was es den gegnerischen Stürmern viel zu leicht gemacht hat, in seinen Rücken zu kommen.

Auch seine technischen Fähigkeiten scheinen nachzulassen: Einfache Pässe bringt er nicht an den Mann und schlechte Entscheidungen im Passspiel kosten United Siege und Geld, wenn man versucht, von hinten aufzubauen. Die Motivation, die seinen Wechsel ins Old Trafford begünstigt hat, scheint auf den Nullpunkt gesunken zu sein.

Es ist auch möglich, dass der ehemalige französische Nationalspieler bewusst oder unbewusst auf die Gefahren von Ermüdungsverletzungen hinweist. In der Vorbereitung hatte er sich entsetzt über die langen Nachspielzeiten in der Premier League gezeigt, oft steht auf der Anzeigetafel die 100. Minute.

"Wir Trainer und Spieler teilen seit vielen Jahren unsere Bedenken, dass es zu viele Spiele gibt, der Spielplan überfüllt ist und das physische und psychische Wohlbefinden der Spieler gefährdet ist", schrieb er in den sozialen Medien. "Trotz unseres früheren Feedbacks haben sie nun für die nächste Saison empfohlen: längere Spiele, mehr Intensität und weniger Emotionen, die von den Spielern gezeigt werden sollen. Wir wollen einfach nur in guter Verfassung auf dem Spielfeld stehen, um 100 Prozent für unseren Verein und unsere Fans zu geben. Warum wird unsere Meinung nicht gehört?"

Es scheint so, als ob Varane den Fuß vom Gas genommen hat, weil seine Begeisterung für den Sport unwiderruflich gedämpft wurde. Er spielt wie ein Mann, der das Vertrauen in ein System verloren hat, das sich anscheinend wenig um das Wohlergehen der Spieler kümmert.

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Raphael Varane nach der WM 2022: "Habe das Gefühl, zu ersticken"

Varane äußerte sich erstmals nach der Weltmeisterschaft 2022, bei der Frankreich zum zweiten Mal in Folge das Finale erreichte und erst im Elfmeterschießen (2:4) gegen Argentinien verlor, zu den zunehmenden körperlichen Belastungen für die Spieler. Der United-Star, der bei der WM sein 93. Länderspiel absolvierte, kündigte anschließend seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft an, sehr zum Verdruss von Les-Bleus-Chef Didier Deschamps.

"Ich habe alles gegeben, körperlich und geistig", begründete Varane seine Entscheidung gegenüber dem französischen Sender Canal Plus. "Aber das höchste Niveau ist wie eine Waschmaschine, man spielt die ganze Zeit und hört nie auf. Wir haben einen übervollen Terminkalender und spielen ununterbrochen. Im Moment habe ich das Gefühl, zu ersticken und dass der Spieler Varane den Menschen Varane verschlingt."

Kurzfristig schien Varane von der zusätzlichen Auszeit während der Länderspielpausen zu profitieren, da er eine Schlüsselrolle in Uniteds beeindruckendem Lauf zu Beginn des neuen Jahres spielte. Doch eine Fußverletzung bremste ihn in der Schlussphase der Saison aus und er hat noch nicht wieder zu seiner Bestform zurückgefunden.

Heute ist klar, dass es ein Fehler war, dass Varane seine Karriere für Frankreich so früh beendete. Er war vielleicht nicht glücklich mit dem straffen Zeitplan, aber dieser hatte ihm geholfen, seinen Rhythmus und seine Disziplin zu behalten. Die meisten Spieler neigen erst dann dazu, die internationale Bühne zu verlassen, wenn sie sich mit dem Gedanken beschäftigen, ihre Schuhe an den Nagel zu hängen.

Laut The Athletic hat Varane die Tatsache akzeptiert, dass er bei United nicht mehr die erste Wahl ist, was darauf hindeutet, dass sich seine Mentalität tatsächlich geändert hat. Im Bernabeu hatte Varane seinen unstillbaren Wunsch, Silberware zu gewinnen, nie aufgegeben und hat an sich selbst die höchsten Ansprüche gestellt. Zum Leidwesen von United gibt es diesen Varane nicht mehr.

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Könnte es Raphael Varane nach Saudi-Arabien ziehen?

Da das Januar-Transferfenster 2024 immer näher rückt, besteht die reelle Möglichkeit, dass United sich von Varane trennen könnte. Im Vergleich zu Maguire besteht ein deutlicher Unterschied in der Art und Weise, wie er den Alltag im Old Trafford angeht - denn Maguire wirkt entschlossener denn je.

Der englische Nationalspieler hat den brennenden Wunsch, seinen Kritikern das Gegenteil zu beweisen und in Manchester ein bleibendes Vermächtnis zu hinterlassen. Es bleibt abzuwarten, ob er dieses Ziel langfristig erreichen kann, da United unter ten Hag als Kollektiv einen Schritt zurück gemacht hat, aber es gibt keine Zweifel an seinem Engagement.

Varane kann in dieser Hinsicht einfach nicht mit seinem wiedererstarkten Teamkollegen mithalten. Wenn er nur noch auf der Bank sitzt, wird das auch seinem Ego schaden.

Ein Wechsel im Winter nach Saudi-Arabien ist Berichten zufolge eine realistische Option, da Al-Nassr zu den Vereinen gehört, die einen Kauf von Varane in Erwägung ziehen. Ein Wiedersehen mit seinem ehemaligen Real- und United-Kollegen Cristiano Ronaldo könnte den Franzosen ebenso reizen wie eine saftige Erhöhung seines derzeitigen Wochengehalts von rund 350.000 Euro.

Der Fußball im Nahen Osten ist auf dem Vormarsch, Karim Benzema, Neymar, N'Golo Kanté, Riyad Mahrez und Roberto Firmino sind Ronaldo im Sommer aus Europa nach Saudi-Arabien gefolgt.

Trotz der neuen Stars ist das fußballerische Niveau in der höchsten saudischen Spielklasse aber bestenfalls mittelprächtig. Und Varane müsste weiterhin viele Spiele bestreiten, vor allem für Al-Nassr, das sich durch die AFC Champions League kämpft. Aber Varane würde nicht annähernd unter dem Druck stehen, im Mrsool Park konstant seine beste Leistung zu bringen.

Er könnte seine Karriere in Saudi-Arabien gebührend ausklingen lassen und ein Gehalt verdienen, das ihn auf ewig reich machen würde. Es wäre sicherlich keine Überraschung, wenn Varane diese Möglichkeit bereits in Betracht zieht, obwohl er noch bis 2025 bei United unter Vertrag steht.

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Raphael Varane: Was jetzt?

Varane hätte im Juli die Kapitänsbinde von Maguire übernehmen können, doch Bruno Fernandes bekam sie letztlich, der in der vergangenen Saison über weite Strecken als Uniteds Vizekapitän fungiert hatte. Seitdem gab es viel Kritik an Fernandes, da sein Hang zu Wutausbrüchen auf dem Spielfeld Zweifel an seinen Führungsqualitäten aufkommen ließ. Hätte man Varane den Vorzug gegeben, wäre er vielleicht auch jetzt noch einer der wichtigsten Spieler von United.

Ein neuer Leistungsanreiz wäre genau das gewesen, was Varane gebraucht hätte. Außerdem verfügt er über die größte Erfahrung im Kader von United und hätte dafür gesorgt, dass die Mannschaft auch in schwierigen Situationen ruhig und organisiert bleibt - etwas, worin Fernandes nicht gut ist.

Ten Hag entschied sich jedoch für die einfache Lösung, die dafür sorgte, dass der ohnehin schon desillusionierte Varane weiterhin mit der Frage zu kämpfen hatte, wie er in die moderne Struktur des Spiels passt.

Im Moment sieht Varane erschöpft aus. Er verfügt nicht mehr über das außergewöhnliche Stellungsspiel, den Überblick, die Schnelligkeit und die Qualität am Ball, die ihn bei Real zum wohl besten Verteidiger der Welt machten. United kann es sich nicht leisten, einen Passagier mitzuschleppen, während man einen Albtraum-Saisonstart wettmachen muss. Durch den 1:0-Heimsieg gegen Luton Town konnte ten Hag den Rückstand auf Tabellenführer City zwar auf sieben Punkte verkürzen, doch die Kluft zwischen den beiden Lokalrivalen ist nach wie vor riesig.

Der niederländische Trainer kann jedoch auf wichtige Spieler zurückgreifen, darunter Aaron Wan-Bissaka und Sommerneuzugang Mason Mount. Wenn Martinez und Luke Shaw nach ihren langwierigen Verletzungen zurückkehren werden, sollte United in der Lage sein, zumindest einen weiteren Platz unter den ersten Vier zu erreichen.

Aber es müsste schon ein Wunder geschehen, damit die Red Devils das Achtelfinale der Champions League erreichen. In den letzten beiden Gruppenspielen gegen Galatasaray und Bayern München haben sie immer noch die Chance auf sechs Punkte, wenn alle an einem Strang ziehen.

Das bedeutet, dass Varane in den Plänen von ten Hag weiterhin hinter Maguire, Evans und Lindelöf stehen muss. Der 30-Jährige hat es sich selbst zuzuschreiben, dass seine Karriere bei United so schnell ins Stocken geraten ist - und er zeigt keine Anzeichen dafür, dass er das ändern will.

Die Bilanz von United in der Ära nach Sir Alex Ferguson ist miserabel und es sieht so aus, als würde sich Varane bald in die Liste der gescheiterten Neuzugänge einreihen. Aber das Enttäuschendste ist, dass ihn das gar nicht zu kümmern scheint.

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