Tschüss, Handball!

Das DHB-Team hat sich sportlich nicht für die WM qualifiziert
© getty

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat sich tatsächlich auch nicht für die WM 2015 in Katar qualifiziert. Bundestrainer Martin Heuberger wird zu Recht gehen müssen, aber er ist definitiv nicht das eigentliche Problem. Ein Kommentar von SPOX-Sports-Chef Florian Regelmann.

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Vor den WM-Quali-Playoff-Spielen gegen Polen statteten die Sportchefs von "ARD" (Axel Balkausky) und "ZDF" (Dieter Gruschwitz) der deutschen Handball-Nationalmannschaft einen Besuch ab. Ein Bekenntnis zum Handball sollte es sein. Wenn es ein Symbol gebraucht hätte, um die Wichtigkeit einer Teilnahme an der WM in Katar zu verdeutlichen, bitte.

Die Handball-Nationalmannschaft ist nach dem DFB-Team die zweitwichtigste Auswahl des Landes, sie steht weit vor den Basketballern oder Eishockeycracks. Wenn das DHB-Team bei großen Turnieren antritt, werden beachtliche Einschaltquoten erzielt. Das WM-Viertelfinale 2013 gegen Spanien sahen beispielsweise 7 Millionen Zuschauer. Ganz klar: Handball hat das Potenzial, das Land zeitweise zu rocken.

Es ist ein Jammer, dass es jetzt sehr lange dauern wird, bis wir überhaupt wieder an die Möglichkeit denken können, dass Deutschland im Handball-Fieber sein wird. Olympia 2012 verpasst, die EM 2014 verpasst (nicht vergessen: in der Hammer-Mörder-Wahnsinns-Gruppe mit Mazedonien, Tschechien und Israel) und jetzt auch die WM 2015 in Katar verpasst.

Olympia 2016 in Gefahr

Dass es damit auch extrem schwierig wird mit Olympia 2016, die EM im selben Jahr ist noch eine theoretische Hoffnung, rundet die Sache zur Katastrophe ab. Es ging vor dem Spiel um alles oder nichts - es ist nichts geworden. Das kann jetzt auch von keiner Seite auch nur ansatzweise abgeschwächt werden.

Allein dass eine erfolgreiche WM-Quali so einen Jubel und unfassbare Erleichterung ausgelöst hätte, sagt vieles über den Zustand des deutschen Handballs aus. Die deutschen Teams dominieren die Champions League, aber die Nationalmannschaft schafft es nicht mehr, sich für große Turniere zu qualifizieren. Dass hier etwas kolossal schief läuft, muss jedem - auch vor allem in der HBL - spätestens jetzt klar werden. Nein, es müsste sogar schon längst jedem klar sein.

Die Beteiligten wussten alle sofort, was das Scheitern bedeutet. Nicht umsonst verschwand Silvio Heinevetter völlig geschockt sofort in der Kabine. Martin Heuberger saß wenig später wie ein Häufchen Elend auf der Pressekonferenz und war angeschlagen wie nie.

Schwächen im Rückraum

Was es denn bedeuten würde, dass Deutschland jetzt drei Turniere verpasst? Antwort: "Dass Deutschland drei Turniere verpasst." Irgendwann ließ sich Heuberger dann noch dazu hinreißen, eine Teilschuld den Schiedsrichtern zu geben. Das geht im Handball verhältnismäßig oft, ist auch oft nicht falsch, trifft in diesem Fall aber nicht den Kern.

Wenn wir es ganz einfach herunterbrechen wollen: Polen hat einen Spieler wie Karol Bielecki. Deutschland hat keinen Spieler wie Karol Bielecki. Deutschland muss sich fast jedes Tor hart erarbeiten, bei Polen steigen Jungs aus zehn Metern hoch und schweißen den Ball einfach rein. Einfache Tore aus dem Rückraum bei Deutschland? Vielleicht mal durch Holger Glandorf, aber das war es dann auch schon.

Auch die Erkenntnis, dass Handball-Spiele im Rückraum entschieden werden und Deutschland gerade da (beispielsweise im Gegensatz zur völlig problemlosen Außenposition) eklatante Schwächen hat, ist aber nicht neu. Sie wird nur immer wieder deutlich sichtbar.

Tim Kneule auf der Mitte und Mimi Kraus als Notlösung auf halblinks - das reicht nicht. Es darf ein wenig auf Steffen Fäth gehofft werden, es gibt ein paar Namen von wirklich hoffnungsvollen Youngstern wie Tim Suton (nicht umsonst wird er von der Spielweise mit Nikola Karabatic verglichen) oder Paul Drux, die einem in den Kopf schießen, aber ob sie die Probleme lösen können? Unmöglich zu sagen.

Heuberger? Nicht das eigentliche Problem

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der DHB am Mittwoch bekannt geben wird, dass der Ende Juni auslaufende Vertrag von Heuberger nicht verlängert werden wird. Das ist auch die einzig richtige Entscheidung, weil ein Bundestrainer nach solchen Debakeln schlicht und ergreifend nicht im Amt bleiben kann. Aber das heißt nicht gleichzeitig, dass Heuberger das eigentliche Problem ist.

Zugegeben, Heuberger ist wahrlich kein Meister der Außendarstellung, aber er ist unbestritten ein absoluter Handball-Fachmann, der 24 Stunden am Tag Handball lebt und versucht, sein Team besser zu machen. Er hat diese Mannschaft trotz des Scheiterns auch durchaus entwickelt und geschickt verjüngt.

Der Mittelblock der Zukunft mit dem von den Polen brutal aus dem Spiel genommenen Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler ist ein Beispiel für einen Bereich, in dem Heuberger Top-Arbeit gemacht hat. Dazu gebührt ihm großer Respekt dafür, wie er mit einer für ihn persönlich sehr schwierigen Situation über einen langen Zeitraum umgegangen ist.

Es wird sich in Handball-Deutschland auch niemand finden, der diesem Team, wie es früher durchaus mal der Fall war, mangelnde Einstellung vorwirft. Körpersprache, Willen, auch phasenweise die spielerische Komponente mit deutschem Tempo-Handball - all das hat gepasst. Viele Szenen, oder auch die Erinnerung an starke Auftritte bei der WM 2013, zeigen, dass die Mannschaft nicht weit entfernt ist von der Spitze.

Jahre in Demut

Es reicht aber einfach nicht, das ist das besonders Traurige an der Geschichte. Vor allem, wenn einem bewusst ist, dass es ja nicht das Ziel sein kann, einigermaßen an der Spitze dran zu sein. Deutschland muss als größte Handball-Nation der Welt mindestens eine Chance haben, um den Titel mitzuspielen. Mindestens.

Handball, Basketball, Eishockey - es ist generell frappierend, wie schlecht sich die größten Mannschaftssportarten nach dem Fußball in Deutschland seit Jahren entwickeln, auch wenn es überall Toptalente gibt.

Ein Fehlen Deutschlands bei der WM 2015, auch für das Turnier an sich ist es übrigens eine Katastrophe, wird jetzt dazu führen, dass sich Deutschland einige Jahre in "Demut" (O-Ton von DHB-Vize Bob Hanning) wird üben müssen. Hanning selbst betonte, dass die größte Werbekampagne der Sportart die Nationalmannschaft ist.

Diese Werbekampagne fällt nun komplett aus, dem deutschen Handball steht eine lange Durststrecke bevor. Für einige Jahre wird es bei den TV-Verantwortlichen heißen: Tschüss, Handball!

Alle Daten zum Spiel Deutschland gegen Polen

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