"Für ganz oben reicht es nicht"

SID
Oliver Roggisch und das DHB-Team kämpfen in Serbien um die letzte Olympia-Chance
© Getty

DHB-Abwehrchef Oliver Roggisch spricht in seiner SPOX-Kolumne vor dem EM-Start gegen Tschechien (So., 17.15 Uhr im LIVE-TICKER) über das Potenzial des Teams und erklärt, was sich unter Martin Heuberger alles verändert hat. Weiteren Themen: Die Kritik an seiner Person, nervige Franzosen und Easy Rider.

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Liebe Handball-Freunde,

am Sonntag startet endlich die EM in Serbien, es ist also höchste Zeit, dass ich mich an dieser Stelle mal wieder bei Euch melde. Ich sage es ganz offen, so wie es ist: Wir werden im Normalfall nicht um eine Medaille spielen, so realistisch können wir uns einschätzen.

Aber wir haben das ganz große Ziel, uns die Olympia-Qualifikation offen zu halten. Für uns geht es deshalb darum, ein vernünftiges Turnier zu spielen. Wir müssen danach in den Spiegel schauen können, im Wissen, dass wir alles gegeben haben. Wir wissen, dass das Auftreten bei den letzten Turnieren nicht so war, wie sich das unsere Fans vorgestellt haben.

Erfolg nur mit Vollgas

Wir wollten auch in Schweden gewinnen, man fährt ja nicht zu einer WM, um das Turnier abzuschenken, aber ich verstehe auch, dass die Wahrnehmung vielleicht manchmal eine andere war. Wir haben viele Spiele knapp verloren - die letzten 10, 15 Prozent haben irgendwo gefehlt, die müssen wir in Serbien rauskitzeln.

Wir können nur mit Vollgas Erfolg haben und wenn wir uns zerreißen, aber dann mal ein Spiel verlieren, werden uns das die Fans denke ich auch verzeihen.

Es darf aber nicht passieren, dass wir uns nach dem Turnier eingestehen müssen, dass mehr drin gewesen wäre. Das war in der Vergangenheit schon der Fall und wenn du mit diesem Gefühl nach Hause reisen musst, tut es lange weh. Wenn du Dir aber nichts vorwerfen kannst, ist es irgendwo okay.

Gleich ein Endspiel gegen Tschechien

Mich stimmt positiv, dass wir im Rückraum, wo uns zuletzt die Durchschlagskraft gefehlt hat, mit Pascal Hens, Michael Haaß und Holger Glandorf Jungs haben, die in der Bundesliga wirklich sehr gut drauf sind. Im ersten der beiden Tests gegen Ungarn sah das im Angriff auch schon gut aus, darauf müssen wir aufbauen.

Die Qualifikation für ein Olympia-Qualifikationsturnier steht über allem, aber wer weiß, wenn wir gut ins Turnier rein kommen und uns von Spiel zu Spiel steigern, ist vielleicht auch ein bisschen mehr drin. Das Wichtigste ist aber jetzt das erste Spiel gegen die Tschechen, das ist sofort ein Endspiel für uns. Danach schauen wir weiter.

Wie gesagt: Für ganz oben reicht es nicht, ich sehe uns im Ranking so zwischen Platz fünf und sieben. Und wer in diesem Ranking an Position eins steht, wisst Ihr denke ich alle. Natürlich wieder die Franzosen. Leider. Bei der EM und Olympia werden sie noch unschlagbar sein, aber danach werden, wie man hört, einige Jungs aufhören. Dann wird auch Frankreich wieder schlagbar sein. Was gut ist, denn so ist es doch etwas arg langweilig für meinen Geschmack.

Misserfolg ist schlecht für die HBL

Ich habe auch die Stimmen wie von Bob Hanning gehört, die ein Verpassen der Olympia-Quali gar nicht schlimm finden würden. Ich bin mir sicher, dass Bob das nach ein paar Monaten dann doch auch schlimm finden würde. Denn es wird nicht spurlos an der Bundesliga vorbeigehen. Die Nationalmannschaft ist und bleibt das Aushängeschild. Wenn wir keinen Erfolg haben, gehen die Zuschauerzahlen in der HBL runter. Wir müssen uns nur erinnern, wie voll die Hallen nach dem WM-Titel waren.

Wenn Ihr mich nach weiteren Gründen fragt, die mich optimistisch machen vor dem EM-Start, dann muss ich sagen, dass wir echt eine hungrige Mannschaft haben. Wir haben ein paar junge Spieler dazu bekommen, die neuen Elan rein gebracht haben. Auch der Trainerwechsel hat für frischen Wind gesorgt. Wir haben unter Martin Heuberger extrem viel und lange trainiert, und auch ganz neue Sachen rein genommen. Wir haben viel Krafttraining gemacht, das war früher bei der Nationalmannschaft fast nie so.

Und wir haben auch ganz andere Geschichten gemacht, zum Beispiel aus dem Bereich Life Kinetik, um die Wahrnehmung zu schulen. Einmal standen wir alle mit Augenklappe da und haben unser schwaches Auge trainiert. Es ging viel um Koordination und Konzentration.

Heuberger bindet uns mehr ein

Das hat alles super viel Spaß gemacht und jeder hat super mitgezogen. Wir sind uns wirklich der Aufgabe bewusst, wir müssen Wiedergutmachung betreiben für die letzten Turniere und wir haben eben dieses große Ziel Olympia als ganz großen Ansporn. Dafür wird sich jeder zerreißen.

Taktisch gibt es keine wahnsinnigen Neuigkeiten, aber man muss dazu sagen, dass die meisten Mannschaften dieselben Auslösehandlungen spielen. So viel unterscheidet sich das nicht. Was anders geworden ist: Martin Heuberger bindet die Mannschaft viel mehr ein. Da bist du dann als Spieler auf dem Feld auch gleich viel mehr in der Verantwortung, wenn du das alles quasi mit entschieden hast.

Für mich persönlich wird die Aufgabe wie immer heißen, eine vernünftige Abwehr hinzustellen im Verbund mit den Torhütern. Wir müssen es schaffen, aus einer guten Abwehr heraus viele leichte Tore im Gegenstoß und in der zweiten Welle zu werfen. Gerade gegen die richtig starken Teams wird es sonst schwierig. Ich laufe jetzt auch öfter die zweite Welle mit und wechsele erst später, damit wir da noch mehr Druck aufbauen können.

7 Kilogramm leichter und ready to go!

Hinzu kommt, dass wir die 5-1-Deckung rein genommen haben und sie auch bei der EM spielen werden. Gegen Ungarn haben wir das noch ein wenig versteckt. Und in der 6-0 haben wir mit Patrick Wiencek einen neuen Spieler im Mittelblock stehen, der eine unglaubliche körperliche Präsenz hat. In der 6-0 kommt es in erster Linie auf Willen und Einsatz an, ich bin zuversichtlich, dass wir das gut hinbekommen werden.

Ich bekomme natürlich mit, dass auch ich oder vielleicht gerade ich von einigen Leuten kritisch gesehen werde. Aber im Endeffekt tangiert mich das nicht. Das sind die gleichen Leute, die wieder zu Schulterklopfern werden, wenn es wieder besser läuft. Für mich ist wichtig, was der Trainer und die Mitspieler denken. Ich habe in der Hinrunde bei den Löwen einen klaren Aufwärtstrend gezeigt und spiele auch wieder 60 Minuten.

Davor hatte ich ohne Frage eine Phase, in der ich ein halbes Jahr lang durchgehangen bin, aber das lag auch daran, dass ich nicht so fit war, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich hatte außerdem Rückenprobleme, habe das aber nicht nach außen gekehrt, weil ich keine Ausreden suchen wollte. Jetzt bin ich fit, 7 Kilogramm leichter und ready to go.

Mein DVD-Package für Serbien

Ist Euch übrigens aufgefallen, dass ich in den beiden Testspielen gegen Ungarn nur eine Zeitstrafe bekommen habe? Stark, oder? Im Ernst: Das Diskutieren mit den Schiedsrichtern werde ich deutlich einschränken.

Früher habe ich mich immer benachteiligt gefühlt, aber man wird älter und klüger. Und das Wichtigste: Ich darf der Mannschaft nicht schaden, indem ich unnötig draußen sitze. Auch wenn die Emotionen nun mal dazu gehören.

Zum Abschluss hier noch ein Einblick in meinen Koffer: Neben Klassikern wie "Two and a Half Men" und "Stromberg" habe ich dieses Mal vor allem viele Motorrad-Filme eingepackt. Ich habe den Motorrad-Führerschein gemacht und einfach mal alles bestellt, was es so gibt. Unter anderem "Easy Rider", den hatte ich noch nicht gesehen.

Und ich habe noch eine Reportage über den Mount Everest dabei, ein großer Traum ist es nämlich mal von mir, die höchste Straße der Welt zu befahren. Aber so viel Zeit, um die ganzen Sachen im Hotel zu schauen, wird gar nicht sein. Ich werde mir vor allem die anderen EM-Spiele reinziehen. In diesem Sinne: Drückt uns die Daumen!

Euer Oliver Roggisch

Oliver Roggisch, 33, spielt seit 2007 bei den Rhein-Neckar Löwen. Der 1,99 m große Kreisläufer und Abwehrspezialist startete seine Karriere beim TuS Schutterwald, bevor es ihn zu Frisch Auf Göppingen zog. Weitere Stationen waren TuSEM Essen und der SC Magdeburg. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2007 Weltmeister. Mehr Infos zum SPOX-Kolumnisten gibt's unter http://www.oliver-roggisch.de/.

Handball-EM in Serbien: Ergebnisse und Tabellen

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