Ilja Kaenzig vom VfL Bochum im Interview: "Damals dachte niemand, Investoren seien böse"

Ilja Kaenzig ist seit Februar 2018 beim VfL Bochum.
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Ilja Kaenzig ist bald seit einem Jahr Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum in der 2. Liga. Der gebürtige Schweizer bewegt sich seit den 1990er Jahren im Profifußball. Im Interview spricht Kaenzig über seinen Einstieg mithilfe selbsterstellter Spielerdatenblätter, die Zeit bei Bayer Leverkusen als Ziehsohn von Reiner Calmund und eine richtige Idee zur falschen Zeit.

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Kaenzig äußert sich zudem zu seinem Meinungsumschwung beim Thema 50+1, spricht über den ruinösen Wettbewerb in Englands 2. Liga und erklärt, weshalb der chinesische Investor bei seinem vorherigen Klub FC Sochaux an der Börse crashte.

SPOX: Herr Kaenzig, Sie sind seit Februar 2018 Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum. Wie verliefen die ersten Monate aus Ihrer Sicht?

Kaenzig: Ich habe richtig Bock auf Bochum und den VfL gehabt. Meine Einschätzung wurde bestätigt, ich bin hier wirklich herzlich und warm empfangen worden. Beim VfL ist alles ein bisschen geerdeter, das Fußballerlebnis noch pur und ohne viel Schnickschnack. Der VfL ist ein Traditionsverein mit über 13 Millionen Sympathisanten. In einer klassischen, vielleicht sogar DER Fußballregion Deutschlands, dem Ruhrgebiet, wird der Fußball ganz anders wahrgenommen. Wir haben ein stimmungsvolles Stadion, das mitten in der Stadt liegt, keine Arena oder einen Park. Ich mag das.

SPOX: Sie sind bereits seit fast einem Vierteljahrhundert in der Fußballbranche aktiv, mit nur 21 Jahren stiegen Sie als Transfer-Koordinator bei den Grashoppers Zürich ein. Schlüssel dafür waren Ihre selbsterstellten Spielerdatenblätter. Das müssen Sie erklären.

Ilja Kaenzig: Zunächst war es immer mein Wunsch, auf die Managementebene im Fußball zu kommen. Während meines Betriebswirtschaftstudiums in Lausanne habe ich daher versucht, Spieler und Klubs zusammenzubringen, weil die klassische Spielervermittlung und -beratung noch sehr wenig ausgeprägt war. So bin ich mit Grashoppers in Kontakt gekommen.

SPOX: Die Gallionsfigur bei Grashoppers ist Erich Vogel, der schon als der Uli Hoeneß der Schweiz bezeichnet wurde. Welche Rolle spielte er dabei?

Kaenzig: Die Hauptrolle. Erich war schon immer ein Andersdenkender, der Entwicklungen antizipieren kann. Was ich angeboten habe, fand er interessant - ohne dass er wusste, wie jung ich war. Es war neu, im Bereich Spielersichtung und Transfers eine Denke von außerhalb des Fußballs zuzulassen. Ich habe diese Themen strukturiert, Netzwerke aufgebaut und erweitert. Damals war es wettbewerbsentscheidend, ob man die Videokassette von dem brasilianischen Spieler bekam oder nicht. Ich bin letztlich zur richtigen Zeit auf den richtigen Mann getroffen und konnte sofort auf höchstem Niveau einsteigen. In dieser bis heute kleinen und verschlossenen Fußballbranche braucht es einen solchen Moment, wo jemand an dich glaubt, um Zugang zu bekommen.

SPOX: Wie sah Ihre Arbeit genau aus?

Kaenzig: Man muss sich vorstellen: Wir waren mit den Grashoppers der erste Schweizer Klub, der sich für die Champions League qualifiziert hat, sogar zweimal in Folge. Real Madrid war damals organisatorisch eher schlechter aufgestellt als wir, die Unterschiede zwischen den Klubs waren deutlich geringer. Auf dem Transfermarkt konnte man sich also Vorteile verschaffen, wenn man in den diversen Ländern die richtigen Personen kannte, die einem Informationen oder Spielbilder beschaffen konnten. Ich bin viel ins Ausland gereist, um mir Spiele anzuschauen und ein Gefühl für die Märkte anzueignen. Das war zu dieser Zeit noch außergewöhnlich.

SPOX: 1998 gingen Sie mit knapp 25 nach viereinhalb Jahren bei Grashoppers zu Bayer Leverkusen in die Bundesliga. Dort waren Sie so etwas wie der Ziehsohn von Manager Reiner Calmund. Sie blieben sechs Jahre, zwei davon als Manager. Wie kam das zustande?

Kaenzig: Noch in Zürich hatte ich Andreas Rettig bei einem Nachwuchsspiel gegen Homburg kennengelernt, weil wir an Leverkusens Taifour Diane interessiert waren. Wenig später sahen wir uns wieder, weil wir beide einen Spieler von Maccabi Haifa wollten. Wir blieben in Kontakt und als er entschied, nach Freiburg zu gehen, hat er mich bei Reiner Calmund vorgeschlagen. Man hatte in der Branche, grundsätzlich gesehen, Respekt vor meinem jungen Alter - es war auch ein Vorteil für den Aufbau der Beziehungen.

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SPOX: Als Sie dann das erste Mal bei Calmund im Büro saßen - sind Sie da auch mal zu Wort gekommen oder durften Sie nur zuhören?

Kaenzig: Es war kein Bewerbungsgespräch, sondern ein Monolog. (lacht) Für mich war es ein Traum, dass es direkt so weitergegangen ist. Rückblickend war ich bei den vielleicht sechs am meisten bewegenden Jahren in Bayers Klubgeschichte dabei. Es ging dort sehr familiär zu, wie ich es seitdem nie wieder erlebt habe. Die Mitarbeiter sind sogar miteinander in den Urlaub gefahren. Was Reiner Calmund dort geschaffen hat, war außergewöhnlich.

SPOX: Nach ein paar Monaten als Chef der Nachwuchsabteilung stiegen Sie zum Koordinator Gesamtfußball auf, im Juli 2002 wurde Sie zum Manager befördert. Wieso 2004 dann der Wechsel zu Hannover 96, wollten Sie nicht länger auf die Calmund-Nachfolge warten?

Kaenzig: Er hat den Verein letztlich fast zeitgleich mit mir verlassen. Er hatte alles probiert, um mich von einem Verbleib zu überzeugen. Ich spürte aber, dass die Zeit für Veränderung gekommen war. Die Beziehung zwischen der Bayer AG und der Fußballabteilung hatte sich nach dem Fast-Abstieg 2003 verändert, dieses eine Jahr hat leider viel kaputt gemacht. Ich gebe zu, dass ich auch ein bisschen zu ungeduldig war, zumal Hannover unter Ralf Rangnick 2002 schon einmal angefragt hatte. Das war ein spannendes Projekt, da der Klub erst ein Jahr in der Bundesliga spielte und Strukturen im Aufbau begriffen waren. Der Drang war groß und das Angebot verlockend.

SPOX: Sind Sie in all der Zeit nie mit Calmund aneinandergeraten?

Kaenzig: Einmal fiel ich böse auf die Nase. Bei den Grashoppers war es Vertragsbestandteil, dass der Torwarttrainer für jedes Zu-Null-Spiel eine Prämie bekommt. Das fand ich einen tollen Ansatz und habe dies in meiner Anfangszeit in Leverkusen angewandt. Als Reiner Calmund davon erfuhr, ist er fast an die Decke gesprungen. Dafür hatte er gar kein Verständnis. Die Bestrafung war dann der Entzug der VIP-Karten für das Spiel in Duisburg. Stattdessen gab's Tribünenkarten für mich. (lacht)

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SPOX: In Hannover hatten Sie es in Ihren knapp drei Jahren unter anderem mit den Trainern Ewald Lienen und Peter Neururer zu tun. Gerade mit Ersterem gestaltete sich die Zusammenarbeit schwierig. Wie blicken Sie darauf zurück?

Kaenzig: Ich war jung, ungestüm und nicht so reif wie heute. Ewald war damals aber auch anders, ein bisschen verbissen. Bei St. Pauli sah und sieht man nun einen anderen Ewald Lienen als noch vor 14 Jahren. Es war eine sehr intensive Zusammenarbeit. Die Strukturen, wer nun von wem der Vorgesetzte ist, waren nicht ganz klar. Für Ewald war es als Älterer wohl auch nicht ganz einfach zu akzeptieren, dass da nun ein deutlich Jüngerer mitmischt. Es war aber nicht so, dass wir nicht miteinander gesprochen hätten. Ich hätte es aber definitiv besser machen sollen.

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