WM

Kommentar zur Farce um die One-Love-Binde: Das Einknicken von DFB und Co. ist frustrierender als die schauerliche Machtdemonstration der FIFA

Die "One Love"-Binde wird bei der WM jetzt doch nicht getragen.
© getty

Es bringt nur wenig, sich über das Verhalten der FIFA in der One-Love-Binden-Posse aufzuregen. Die FIFA ist ohnehin verloren, vom Weltverband erwartet man schon lange nichts anderes mehr. Aber DFB-Präsident Bernd Neuendorf und seine Kollegen von den anderen mächtigen Verbänden hätten mehr Rückgrat zeigen müssen. Ein Kommentar.

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Stimmt schon: Die Kapitäne der englischen, niederländischen, deutschen und anderen Nationalmannschaften sollten sich wenige Minuten vor Beginn eines WM-Spiels mit anderen Dingen beschäftigen als mit einer Gelben Karte wegen einer bunten Armbinde und mit der angemessenen Reaktion auf diese Schauerlichkeit.

Die Spieler - und auch die Schiedsrichter - sollten nicht die Opfer der neuesten Eskalationsstufe der FIFA sein. Deswegen ist das vom DFB-Präsident Bernd Neuendorf am Montag vorgeführte Argument, man wolle "die von der FIFA herbeigeführte Konfrontation nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen", nachvollziehbar.

Aber da hört es mit dem Verständnis schon auf.

Noch am Freitag hatte Neuendorf angekündigt, mögliche Strafen wegen der One-Love-Binde - wegen der nur sehr entfernten Ähnlichkeit zu den Regenbogenfarben der LGBTQ+-Bewegung ohnehin nur eine wachsweiche Lovewaschingbinde - in Kauf zu nehmen. Ähnlich hatten sich auch Englands Kapitän Harry Kane und Vertreter der anderen nun verhinderten One-Love-Aktivisten aus Wales, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz geäußert. Ihre Muskeln erschlafften dann aber sehr schnell.

Farce um die One-Love-Binde: So reagierte das Netz

WM 2022: Verbände hätten es darauf ankommen lassen müssen

Mag ja sein, dass die FIFA sich im Recht sieht (und womöglich sogar das Recht hat), Gelbe Karten für das Tragen der One-Love-Binde auszusprechen. Von anderen Sanktionen wie Geldstrafen bis hin zum Turnierausschluss ganz zu schweigen. Aber zumindest am ersten Spieltag hätten die Verbände es darauf ankommen lassen können.

Dass die FIFA aus dem Hinterhalt schießen würde, war angesichts auch der jüngsten Erfahrungen mit dem Weltverband fast erwartbar. Spätestens nachdem der mühsam verhandelte Bierverkauf rund um die Stadien wenige Tage vor WM-Beginn wieder kassiert wurde, hätten die Verbände ahnen müssen, was kommen könnte. Nicht die neuerliche Machtdemonstration der FIFA ist frustrierend, sondern das sofortige und fast widerstandslose Einknicken der One-Love-Verbände.

ZDF-Journalist Jochen Breyer erinnerte zu Recht daran, dass ein Zeichen, dass man nur setze, wenn man keinerlei Konsequenzen zu befürchten habe, kein Zeichen ist. Auf die Drohungen der FIFA mit einer beinahe entschuldigend vorgetragenen Protestnote zu reagieren, zeugt von einer unfassbaren Naivität der Funktionäre - und zeigt zudem, dass es nicht so weit her ist mit dem Zusammenhalt selbst der großen, europäischen Verbände.

WM 2022: Hätte FIFA wegen One Love ihren vorgetragenen Wertekanon über den Haufen geworfen?

Interessant wäre in diesem Zusammenhang etwa gewesen, wie die FIFA mitten in der WM auf einen gemeinsamen Aufstand der Deutschen, Engländer, Niederländer etc. reagiert hätte.

Hätte Infantino persönlich die Mannschaften aus dem Turnier geworfen?

Oder hätte er vielleicht in einer weiteren irren Pressekonferenz, in der er vielleicht auch den Deutschen, Engländer, Holländer etc. in sich entdeckt hätte, angekündigt, dass katarische Jugendspieler im weiteren Turnierverlauf die ausgeschlossenen Nationalmannschaften vertreten würden?

Ganz im Ernst: Ich hätte gerne gewusst, wie der Weltverband in einem möglichen Verfahren vor einem Sportgericht die Gelben Karten gegen die Kapitäne begründet hätte. Hätte die FIFA tatsächlich ihren in den letzten Tagen immer wieder wie eine Monstranz vorgetragenen angeblichen Toleranz-Wertekanon kassiert? Hätte der Weltverband tatsächlich die Regel 4 der Fußball-Regeln so umgedeutet, dass eine einfache Binde, die für Respekt wirbt, "im Kontext einer Weltmeisterschaft in Katar provozierend oder verhöhnend" sei, wie Schiedsrichterexperte Alex Feuerherdt vom Podcast Collinas Erben im Gespräch mit SPOX und GOAL mutmaßte?

Durch ihr willfähriges Einknicken haben Neuendorf, der DFB und die anderen Verbände eine Gelegenheit liegengelassen, die weit größer gewesen wäre als jedes Symbol, das von einer One-Love-Binde hätte ausgehen können.

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