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WM 2022 - "One Love"-Binde: Darum machen die Verbände einen Rückzieher

Von Justin Kraft
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Am zweiten WM-Tag dreht sich in Katar alles um "One Love" - eine Kapitänsbinde, die für Vielfalt stehen soll. Nun werden die Mannschaften aufgrund drohender Sanktionen durch den Weltverband FIFA jedoch nicht mit ihr auflaufen. Was steckt dahinter? SPOX und GOAL klären auf.

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WM 2022: One Love - die Vorgeschichte der umstrittenen Kapitänsbinde

Der niederländische Verband KNVB hat eine Kapitänsbinde ins Leben gerufen, auf der ein Herz in bunten Farben mit der Zahl eins zu sehen ist. Links und rechts stehen die Wörter "One Love". Die bunten Farben sollen dabei für Vielfalt stehen, haben aber maximal entfernte Ähnlichkeit zu den bekannten Fahnen der LGBTIQA*-Community und ist daher eine Eigenkreation, die dafür viel Kritik erhielt.

Mit Blick auf die Menschenrechtssituation in Katar wollte die Niederlande so ein Zeichen setzen. Ursprünglich zehn Verbände beteiligten sich an der Aktion. Am Ende waren es sieben, die beim Turnier dabei sind - darunter auch der DFB sowie die heute spielenden Nationen England, Niederlande und Wales.

Es gab allerdings auch Spieler, die sich klar dagegen positionierten. In der niederländischen Eredivisie stellten sich die Kapitäne von Feyenoord Rotterdam und Excelsior Rotterdam quer. Auch Hugo Lloris, Kapitän der französischen Nationalmannschaft, erklärte jüngst, dass er bei der Weltmeisterschaft keine One-Love-Binde tragen werde. Er verwies darauf, dass man fremde Kulturen respektieren müsse.

WM 2022 - One Love: Warum ist die Kapitänsbinde jetzt das bestimmende Thema?

Mit der einfachen Entscheidung dafür oder dagegen ist es aber noch nicht getan. Schon am zweiten Tag der WM in Katar ist die Kapitänsbinde, die für Vielfalt stehen soll, das bestimmende Thema. Das liegt vor allem daran, dass die FIFA nun aktiv dagegen vorgeht. Zunächst kündigte der Weltverband kurz vor dem Start der Weltmeisterschaft an, eigene Kampagnen starten zu wollen. Jetzt drohen sogar Konsequenzen.

DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff zeigte sich von der Kurzfristigkeit überrascht: "Es wirkt, als ob die FIFA keine klare Haltung hat." Man werde sich mit den anderen Nationen beim weiteren Vorgehen abstimmen, teilte der DFB zudem mit. Am Montagvormittag sprach der DFB davon, dass sich die UEFA Working Group mit der FIFA berate. "Diese Entscheidung werden wir erstmal abwarten", sagte die DFB-Pressesprecherin: "Wenn die ersten Teams auf den Platz gehen, werden wir sehen, wie die Entscheidung aussieht."

Bereits am Morgen des zweiten WM-Tags kursierten erste Medienberichte, dass die Verbände die Kapitänsbinde nicht tragen werden. Am Vormittag bestätigte der KNVB, die One-Love-Binde nicht zu tragen. "Wir stehen für die One-Love-Message", heißt es in der Stellungnahme: "Aber unsere erste Priorität ist es, Spiele bei der WM zu gewinnen. Du willst nicht, dass dein Kapitän das Spiel mit einer Gelben Karte startet und deshalb haben wir mit Schmerzen in unserem Herzen 'nein' zu unserem Plan gesagt."

WM 2022 - One Love: Sanktionen? "Das war eine eindeutige Drohung" der FIFA

Auch die anderen Verbände werden die Binde nicht tragen. "Die FIFA hat sehr deutlich gemacht, dass sie sportliche Sanktionen verhängen wird, wenn unsere Kapitäne die Binden auf dem Spielfeld tragen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Der DFB begründete seine Entscheidung vor allem damit, den Konflikt mit der FIFA nicht "auf dem Rücken der Spieler" auszutragen, wie Bernd Neuendorf auf einer Pressekonferenz am Nachmittag sagte: "Die FIFA hat uns deutlich gemacht, dass das Tragen der Binde gegen die Regularien verstößt und uns klar gesagt, dass wir mit sportlichen Sanktionen zu rechnen haben. Das war eine eindeutige Drohung."

Bierhoff bezeichnete das Verhalten des Weltverbands als "frustrierend". Es fühle sich "stark nach einer Sanktion an. Ich finde es richtig, dass wir keinen Alleingang machen. Wir sind über die Situation nicht glücklich".

WM 2022 - One Love: Welche Sanktionen drohen den Verbänden?

Demnach sollen Spieler mit der entsprechenden Binde von den Schiedsrichtern verwarnt werden. Schiedsrichter-Experte Alexander Feuerherdt vom Podcast Collinas Erben sieht dafür im Gespräch mit SPOX und GOAL "keine Grundlage, außer dass die FIFA sagt: 'Wenn wir das entscheiden, dann ist das so'".

"Grundlage sind immer erstmal die Fußball-Regeln", erklärt Feuerherdt. In diesen sei klar formuliert, dass verhöhnende, verhetzende, hassschürende, diskriminierende, provozierende Botschaften verboten wären. Dann sei auch eine Rote Karte möglich.

Wenn ein Schiedsrichter oder eine Schiedsrichterin allerdings eine solche Botschaft für Vielfalt sehe, werde das normalerweise in den Spielbericht eingetragen - ohne weitere Konsequenzen. "Wenn jemand mit einer One-Love-Binde kommt, ist das doch sogar den Respekt fördernd und damit laut Regel vier im Regelwerk ausdrücklich erlaubt", so der Schiedsrichter-Experte.

Die einzige Option, die er aus Sicht der FIFA sieht, das zu rechtfertigen, ist eine Umdeutung. Der Weltverband könne demnach behaupten, dass es "im Kontext einer Weltmeisterschaft in Katar provozierend oder verhöhnend" sei. Dies würde allerdings dazu führen, dass die FIFA ihre eigenen zumindest zur Schau gestellten Werte konterkariert.

WM 2022 - One Love: Die FIFA macht ein Politikum aus der Aktion für Vielfalt

"Im Prinzip macht die FIFA daraus ein Politikum und sagt, dass sie die Kapitänsbinden stellt", erklärt Feuerherdt in Bezug auf die vielen Botschaften, die der Verband angekündigt hatte: "Damit ist One Love dann nur noch eine Botschaft unter vielen, aber sie zwingen sie jetzt quasi dazu, diese Binden zu tragen." Theoretisch könnte der Verband sogar noch weiter gehen. Von Geldstrafen bis zu einem Turnierausschluss sei laut dem Experten zumindest auf dem Papier alles möglich.

Zumal die Nationen selbst kaum Mittel hätten, um dagegen vorzugehen. Sie könnten lediglich die Teilnahme verweigern, wenn es zu einer Gelben Karte kommt. Die FIFA rechtfertigte die Entscheidung in einem Statement mit den eigenen Wettbewerbsregeln, was sie trotz fehlender Regelgrundlage auch tun könne, wie Feuerherdt erklärt: "Das jetzt aber alles auf die Schiedsrichter abzuwälzen, die das mit Gelben Karten sanktionieren sollen, finde ich nicht richtig."

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