Seite 1: Preuß über seine Anfänge beim BVB und das Interesse an Gnabry und Werner
SPOX: Herr Preuß, Sie sind seit März 1992 beim BVB angestellt und seit sechs Jahren sportlicher Leiter der U23. Begonnen haben Sie im Sommer 1987 als Cheftrainer der U19 des VfR Sölde, einem Dortmunder Stadtteilklub. Was haben Sie zuvor gemacht?
Ingo Preuß: Ich musste mit 20 nach 15 Jahren aufgrund von körperlichen Problemen mit dem Fußball aufhören und habe damals Woche für Woche geweint, wenn ich von meinen ehemaligen Mitspielern gelesen habe. Durch mein Sportstudium und meine Tätigkeit am Dortmunder Helmholtz-Gymnasium habe ich anschließend Schulmannschaften betreut. Erst mit über 30 habe ich wieder in einer Seniorenmannschaft gespielt, das war beim VfR Sölde.
SPOX: Und dort hat man Sie dann gleich als Trainer dabehalten?
Preuß: Die damalige A-Jugend spielte in der Westfalenliga und brauchte einen Testspielgegner. Ich habe gesagt: Pass auf, wenn ihr niemanden findet, komme ich mit der Schulmannschaft. So war es dann auch und wir haben 4:2 gewonnen. Kurz darauf fragte man mich, ob ich nicht Co-Trainer der A-Jugend werden wolle. Das habe ich dann während der Saisonvorbereitung zwei Wochen lang gemacht. Plötzlich bot man mir den Job als Cheftrainer an. In dieser Zeit habe ich auch meine B-Lizenz gemacht.
SPOX: Mit 24 hatten Sie Ihr Lehramtsstudium bereits abgeschlossen, seit 38 Jahren sind Sie zusätzlich noch als Lehrer tätig. Wie bringen Sie das und Ihre Aufgabe bei der Borussia unter einen Hut?
Preuß: Ich hatte über Jahre einen Chef, der eine Dauerkarte beim BVB besaß. Deshalb wurde mir zwar nichts geschenkt, aber ich habe beide Dinge irgendwie vernünftig geregelt bekommen. Während der Trainingslager wurde ich beispielsweise freigestellt.
SPOX: Sie unterrichten Chemie und Sport. Das heißt, Sie gehen morgens in die Schule und kreuzen anschließend am Trainingsgelände auf?
Preuß: Genau, heute hatte ich die ersten vier Stunden Unterricht. Danach schloss sich noch eine Sitzung der Schülervertretung an, bei der ich zum 35. Mal zum Verbindungslehrer gewählt worden - mit allen Stimmen. Das ist für einen alten Sack wie mich schon eher ungewöhnlich, darauf bin ich auch stolz. Am 1. Februar 2022 wird es dann mit der Schule zu Ende sein.
SPOX: Ist es Ihnen mit den Jahren nie zu viel geworden?
Preuß: Mir wurde zwischenzeitlich angeboten, nur noch beim BVB zu arbeiten. Das wäre sicherlich schön gewesen, andererseits bin ich sehr gerne Lehrer. Gibt man so etwas auf, hätte das auch andere Konsequenzen für den Alltag wie zum Beispiel einen Versicherungswechsel und solche Dinge. Ich muss aber schon gestehen, dass ich aufgrund der aktuellen Konstellation manche Male schon am Ende mit den Kräften bin. Wenn ich freie habe, ist meistens nur Sofa angesagt. (lacht)
SPOX: Wie kamen Sie letztlich vor 25 Jahren zur Borussia?
Preuß: Nachdem ich das in Sölde nicht ganz verkehrt gemacht habe, hat mich irgendwann Michael Skibbe angerufen und mir das Angebot gemacht. Da gab es für mich wenig zu überlegen. Ich ging mit fünf Jahren das erste Mal in die Rote Erde und habe 1963 die ersten Bundesligaspiele mit meinem Vater angeschaut. Meine gesamte Familie ist sowas von schwarzgelb, diese Offerte war das Größte für mich.
SPOX: Mit welcher Aufgabe ging es los?
Preuß: Ich begann bei der zweiten A-Jugendmannschaft und habe mit ihr den Klassenerhalt geschafft. Nach einer weiteren Saison hat mich Skibbe gefragt, ob ich mit ihm zusammen das erste A-Jugendteam übernehme möchte.
SPOX: Ein Posten als Trainer ist seitdem nicht mehr dazugekommen. Weshalb nicht?
Preuß: Das kam für mich irgendwann nicht mehr in Frage. Diese Zeit ist vorbei, ich bin auch zu dick dafür. (lacht) Ich habe sechs Wochen lang in der 3. Liga als Co-Trainer ausgeholfen, als David Wagner Coach der Amateure war. Wobei ich zugeben muss, dass ich gerne noch die A-Lizenz und den Fußballlehrer gemacht hätte. Das ist im Grunde das einzige, das ich mir vorwerfe. Mittlerweile ist es meine Stärke, Spieler zu bewerten und zu finden.
SPOX: Das haben Sie Ihrer Arbeit als Scout zu verdanken, die Sie ab 2006 für die Profis angingen. Wie kam es dazu?
Preuß: Michael Zorc fragte hin und wieder, ob man sich nicht diesen oder jenen Spieler anschauen könne. Ich antwortete, dass ich das schon mal machen könnte, warum nicht? Die Tage wurden dann deutlich intensiver. Es kam häufiger vor, dass ich bis 15 Uhr in der Schule war, um 16 Uhr das Training in Dortmund begann und direkt im Anschluss nach Amsterdam, Brügge oder Brüssel düste, um dort um 20 Uhr noch ein Spiel zu sehen. Und anschließend fuhr man wieder zurück. Michael Zorc fragte mich dann recht zügig, ob ich nicht komplett in die Scoutingabteilung wechseln möchte.
SPOX: Das haben Sie im Sommer 2009 auch getan.
Preuß: Ab da war ich nur noch unterwegs, in Uruguay, Argentinien, Chile - ich habe sehr viele Länder gesehen. Es war für mich sensationell, bei der Profimannschaft mitarbeiten zu können. Es gab nichts Besseres, als mit dem Cheftrainer, dem Sportdirektor und dem Chefscout zusammen zu sitzen, sich über Spieler zu unterhalten und die eigene Meinung einbringen zu dürfen. Das habe ich sehr genossen.
SPOX: Welche Spieler, die heute einen Namen haben, sahen Sie sich damals unter anderem an?
Preuß: Ich war in Posen wegen Robert Lewandowski, Ilkay Gündogan hatte ich als 18-Jährigen schon hier und wollte ihn für die zweite Mannschaft haben. Andrej Yarmolenko habe ich 2011 das erste Mal in der Niederlande gesehen und ihn empfohlen. Es sind eine Menge Spieler über die Jahre zusammengekommen. Ich habe auch eine Menge Spieler empfohlen, die man eher als Flop bezeichnen würde. Insgesamt ist meine Quote aber schon ordentlich.
SPOX: Und wen haben Sie bedauerlicherweise nicht bekommen?
Preuß: Bei Serge Gnabry war ich ganz nah dran. Er kam bei Arsenal nicht mehr zurecht, doch dann wurde er wieder häufiger eingesetzt und bekam einen neuen Vertrag. Auch Timo Werner hätte ich gerne gehabt, als er mit 17 seine ersten Spiele beim VfB II in der 3. Liga machte. Das hat leider nicht geklappt. Zum damaligen Zeitpunkt wären beides Spieler mit Perspektiven für die zweite Mannschaft gewesen.
SPOX: Wie haben Sie sich weitergebildet, um die Qualität der Spieler erkennen zu können?
Preuß: Für mich geht das ausschließlich über den Fleiß. Als Scout habe ich mir rund 200 Spiele pro Jahr live vor Ort angeschaut. Auch nachts saß ich vor dem Computer und habe mir Shinji Kagawa in der zweiten japanischen Liga angesehen, damit ich bei ihm auf dem Laufenden bleibe. Bei Lucas Barrios hatten wir einen Scout vor Ort, als sie in Kolumbien Copa America spielten. Der Scout bekam allerdings einen ungünstigen Platz zugewiesen und konnte von dort aus keine hundertprozentige Bewertung abgeben. Ich fand glücklicherweise einen Stream des Spiels und habe dann mit geschaut. Mit diesen Streams habe ich mir irgendwann meinen ganzen Rechner versaut, aber in dieser Zeit war ich richtig geil auf diesen Job. (lacht)
SPOX: Sie endete 2011, als Sie Nachfolger des langjährigen U23-Abteilungsleiters Heinz Keppmann wurden.
Preuß: Es gab diese Vakanz bei der U23 und Michael Zorc fragte mich, ob ich das nicht übernehmen möchte. Ich selbst wäre ehrlich gesagt gar nicht darauf gekommen. Mir fehlte jedoch auch das hautnahe Mitfiebern mit einer Mannschaft. Als wir 2011 zu Hause gegen Nürnberg deutscher Meister wurden und die hier gefeiert haben wie blöde, saß ich in Buenos Aires und habe morgens um 8 Uhr im Internet geguckt. Jetzt habe ich großen Spaß an der aktuellen Aufgabe, den hatte ich aber eben auch als Scout. Daher gab es anfangs nach dem Wechsel schon Momente, in denen ich dachte: Das hätte jetzt nicht sein müssen.