"Sensationell geirrt!" Wie Dusan Vlahovics Juventus-Traum zum Albtraum wurde

Von Mark Doyle
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Dusan Vlahovic kam als Tormaschine nach Turin und wollte bei Juventus in Zlatan Ibrahimovics Fußstapfen treten. Doch daraus wurde nichts. Im System Allegris kann er sein Potenzial nicht ausschöpfen. Sein großer Traum scheint zu platzen.

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Dusan Vlahovic war erst 16 Jahre alt, als er seinen Mannschaftskameraden bei Partizan Belgrad erzählte, er sei der neue Zlatan Ibrahimovic. Er wolle seinem Idol nacheifern und zu Juventus wechseln. Dieser Kindheitstraum ging an seinem 22. Geburtstag in Erfüllung.

Mehrere andere Vereine, vor allem der FC Arsenal, waren an ihm interessiert. Für Vlahovic aber war "die Entscheidung einfach, weil Juve und ich eine ähnliche DNA haben: Wir kämpfen und leiden, wenn es nötig ist. Ich passe hierher."

Inzwischen scheint es nicht mehr zwischen Vlahovic und Juventus zu passen. Er ist ist zwar immer noch ein Juventus-Spieler und gehörte zu den Akteuren, die bei der Saisonvorbereitung letzte Woche anwesend waren, aber seine Zeit in Turin neigt sich ihrem Ende zu, nur 18 Monate nach seiner glücklichen Ankunft.

Juve hat zwar nicht öffentlich bekannt gegeben, dass der einst 70 Millionen Euro teure Spieler zum Verkauf stehe, aber die Katze ist nun aus dem Sack. Die Bianconeri sind nicht nur gewillt, in Vlahovic ihren mit Abstand wertvollsten Spieler zu verkaufen, sie wollen ihn auch durch Romelu Lukaku ersetzen. Das hat unweigerlich zu allerlei Kontroversen geführt, da der Belgier drei der letzten vier Spielzeiten bei Erzrivale Inter Mailand verbracht hat.

Inter hat das Interesse an einem dauerhaften Transfer Lukakus vom FC Chelsea in diesem Sommer aufgegeben, nachdem man von seinen geheimen Verhandlungen mit Juve erfuhr. Auch die Fans der Nerazzurri sind wütend auf den Spieler, der wiederholt seine Liebe zum Verein bekundet hatte.

Und die Juve-Fans sind ebenfalls nicht glücklich. So skandierten einige Fans am Montag vor dem medizinischen Zentrum des Klubs: "Wir wollen Lukaku nicht!" Der ehemalige Juve-Mittelfeldspieler Massimo Mauro erklärte gegenüber der Gazzetta dello Sport: "Ich bin vielleicht altmodisch, aber einen Spieler wie Lukaku, der öffentlich gesagt hat, dass er nie das schwarz-weiße Trikot tragen wird, würde ich nicht nehmen."

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Warum Lukaku für Vlahovic?!

Für Mauro und viele andere, die mit dem Verein verbunden sind, ist die aktuelle Debatte über diese ganze Angelegenheit eher eine Frage der Qualität als des Charakters. Sie können nicht verstehen, warum Juve bereit ist, einen Stürmer, der seine besten Jahre noch vor sich hat, gegen einen zu tauschen, der gerade 30 Jahre alt geworden ist.

Natürlich ist Geld ein wichtiger Faktor. Juve verpasste in der vergangenen Saison einen Platz unter den ersten vier in der Serie A, weil man wegen Kapitalertragsverstößen einen Punktabzug hinnehmen musste. Es wird erwartet, dass der Verein demnächst wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten für eine Saison von allen UEFA-Wettbewerben ausgeschlossen wird. Das bedeutet, dass Juve in diesem Sommer rund 100 Millionen Euro an Ablösesummen und Gehältern einsparen muss. Vor diesem Hintergrund ist der Ersatz von Vlahovic durch Lukaku sinnvoll, da er einen Kapitalgewinn von 30 bis 35 Millionen Euro bringen dürfte.

Es wird zwar eingeräumt, dass ein fitter Lukaku viele Tore für Juve schießen könnte, aber nicht jeder ist von den Vorzügen dieses potenziellen Manövers überzeugt.

"Wenn ich bei Juve wäre, würde ich angesichts des Alters von Vlahovic lieber Dusan behalten. Er kann nicht nur die Gegenwart sondern auch die Zukunft repräsentieren", sagte Luca Toni der Gazzetta. Aldo Serena fügte hinzu: "Vlahovic hat das Potenzial, ein wirklich guter Stürmer zu werden. Es fällt mir schwer, derzeit bessere Spieler im gleichen Alter auf dem Markt zu finden."

Nicolo Amoroso glaubt zwar immer noch an einen Verbleib des Serben, räumte aber ein, dass "Dusan wie alle Mittelstürmer einen Spielstil braucht, der zu ihm passt".

Den wird er bei Juve - oder besser: bei Massimiliano Allegris Juve - nicht bekommen.

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Dusan Vlahovic: Zum Scheitern verurteilt?

Vlahovic mag überzeugt gewesen sein, dass er für Juve geschaffen ist. Der ehemalige italienische Nationalspieler Daniele Adani war von Anfang an skeptisch und fragte sich, ob der Stürmer wirklich aufblühen würde, wenn "Juventus nicht seine Vorstellung von Fußball ändert".

Unter einem so renommierten - und erfolgreichen - Pragmatiker würde das nicht passieren. "Juventus wird sich mit Allegri nicht verändern, weder im nächsten Jahr noch in zehn Jahren", sagte Antonio Cassano zu BoboTV und behauptete, Vlahovic habe sich bei der Wahl seines Vereins "sensationell geirrt".

Vlahovic war war der AC Florenz ein Phänomen. Nur Robert Lewandowski schoss 2021 mehr Tore in der Liga. Seit seinem Wechsel zu Juve hat er in 42 Serie-A-Spielen aber nur 17 Mal getroffen.

Es wird vermutet, dass das Trikot mit der Nummer 7, das er von Cristiano Ronaldo übernommen hat, schwer auf seinen Schultern lastet. Zudem behinderte ihn in der vergangenen Saison ein hartnäckiges Leistenproblem.

Darko Kovacevic nannte einen guten Punkt, als er in einem Interview mit der Gazzetta fragte: "Wenn PSG, Bayern München und einige große Mannschaften in Spanien an Dusan interessiert sind, muss es einen Grund dafür geben, oder?" Und den gibt es: Sein Potenzial ist offensichtlich. Bei Juve wurde es gut versteckt. Vlahovic wurde gezwungen, viel tiefer zu spielen, als ihm lieb war.

Wie selbst die offizielle Website der Bianconeri bei seiner Verpflichtung feststellte, ist Vlahovic ein "Strafraumtorjäger". 93 Prozent seiner Tore in der Serie A erzielte er bis zu diesem Zeitpunkt innerhalb des Strafraums. Doch wie ein ehemaliger Fiorentina-Trainer nach dem anderen feststellte, spielt er bei Juve so weit vom Tor entfernt, dass es inzwischen schwer fällt, ihm dabei zuzusehen.

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Vlahovic nicht das einzige Opfer von Allegri

Es ist aber nicht so, dass Vlahovic ein Einzelfall wäre. Er ist nicht der einzige Spieler, der unter Allegris defensiver Spielweise gelitten hat.

Federico Chiesa ist nur noch ein Schatten des Spielers, der bei der EM 2020 im Rampenlicht stand. Berichten zufolge ist er von Juves Defensivtaktik so desillusioniert, dass er erwägt, den Klub im Sommer zu verlassen. Angel Di Maria, ein weiterer Kritiker des Trainers, ist bereits gegangen.

Es ist wichtig zu betonen, dass es keinen Streit zwischen Vlahovic und Allegri gibt. Der 23-Jährige hat seine Unzufriedenheit darüber geäußert, dass er in so vielen Spielen ausgewechselt wurde. Er habe aber eine gute, professionelle Beziehung zu seinem Chef und sogar einige heitere Momente mit ihm geteilt.

Tatsache ist jedoch, dass Vlahovics Entwicklung durch die 18 Monate unter Allegri stark gebremst wurde. In der vergangenen Saison blieb er in der Serie A elf Spiele lang ohne Tor - es war die längste Durststrecke seiner Karriere und eine erschütternde Statistik für eine talentierte Nummer 9 in einem vermeintlichen Spitzenteam.

Der Trainer war geduldig mit ihm, zumindest in der Öffentlichkeit. Er hatte ihm geraten, nicht so hart mit sich ins Gericht zu gehen, dass Tore nicht alles seien und dass er mit kühlerem Kopf spielen, sich beruhigen und entspannen müsse. Dann werde es mit den Toren schon wieder klappen. Wohl aber nicht bei Juve.

Allegri ist offensichtlich selbst zu diesem Schluss gekommen. Die Idee, Lukaku für Vlahovic zu holen, trägt nämlich seine Handschrift und nicht die von Cristiano Giuntoli, Juves neuem Sportdirektor. Dieser machte gerade Napoli zum Meister und ist bekannt dafür, Rohdiamanten zu finden und zu polieren - und keine Stars zu verpflichten. Lukaku für Vlahovic zu holen und Abwehr-Ikone Leonardo Bonucci abzusägen, klingt jeweils nach Entscheidungen des Trainers, Entscheidungen, die ihn noch teuer zu stehen kommen könnten.

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Ein Traum, der zum Albtraum wurde

Allegri bewegt sich nach zwei Spielzeiten ohne eine Trophäe seit seiner Rückkehr zu Juve im Jahr 2021 ohnehin auf dünnem Eis. Er hat zwar immer noch einen gewissen Kredit, weil er in seiner ersten Amtszeit fünf Scudetti in Folge geholt hat, aber die Geduld geht bei einem Verein, bei dem "nur der Sieg zählt", allmählich zu Ende. Angesichts seines offensichtlichen Einflusses auf die Spielersuche in diesem Sommer gibt es bereits Spekulationen, dass er entlassen werden könnte, sollte Juve schlecht in die neue Saison starten, nicht zuletzt, weil Antonio Conte und Luciano Spalletti verfügbar sind.

Vlahovic kann es sich aber nicht leisten abzuwarten. Und warum sollte er das auch wollen? Er sollte einer der Eckpfeiler einer neuen Juve-Mannschaft sein, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt des Projekts. Sowohl der Vorstand als auch Allegri sehen ihn offensichtlich als entbehrlich an.

Ein sofortiger Wechsel scheint im Moment unwahrscheinlich. Sowohl PSG als auch Bayern sind interessiert, haben aber Harry Kane ganz oben auf ihrer Liste der Transferziele stehen. Das ist natürlich verständlich. Kane ist der bewährtere Spieler. Seine Klasse ist unbestritten.

Aber auch das Potenzial von Vlahovic ist immens. Sowohl Gigi Buffon als auch Christian Vieri behaupteten während Vlahovics Zeit in Florenz, dass er nach Kylian Mbappé und Erling Haaland der beste Stürmer der Welt werden könnte. Stand heute erscheint das vielleicht etwas abwegig, aber in Vlahovic steckt ein großer Torjäger, der nur darauf wartet, entfesselt zu werden.

Aus diesem Grund wollen die Juve-Fans, dass er bleibt. Und Vlahovic selbst wünscht es sich insgeheim wahrscheinlich auch, schließlich wollte er in Turin in Ibrahimovics Fußstapfen treten.

Doch dieser Kindheitstraum hat sich längst in einen Albtraum verwandelt. Juve mag der richtige Verein für Vlahovic gewesen sein - aber einen weniger geeigneten Trainer hätte er sich wohl nicht aussuchen können.

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