Juventus Turins "wichtigster Neuzugang" Cristiano Giuntoli: Architekt für den Neuaufbau

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Nach einer desaströsen Saison setzt Juventus Turin große Hoffnungen in seinen "wichtigsten Neuzugang": Dabei handelt es sich nicht um einen Spieler, sondern um den eher unbekannten Technischen Direktor Cristiano Giuntoli (51).

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16 Semester studierte Cristiano Giuntoli einst Architektur. Statt Häuser und Brücken baut er aber längst Fußball-Mannschaften - und zwar ziemlich stabile. Zwischen 2009 und 2015 führte er die AC Carpi als Sportdirektor von der Viertklassigkeit in die Serie A. Anschließend restaurierte er die SSC Neapel und krönte seine Amtszeit in der vergangenen Saison mit dem Gewinn des Scudetto.

Nun stellt sich Giuntoli der größten Herausforderungen im italienischen Fußball: Als neuer technischer Direktor soll er die in Schutt und Asche liegende Alte Dame Juventus Turin neu aufbauen. In der vergangenen Saison landete der einstige Serienmeister nur auf Rang sieben. Finanzielle Verfehlungen, Punktabzüge, ein mit 37 Spielern überfüllter und außerdem nicht funktionierender Kader - aber selbstverständlich immer noch die allerhöchsten Ansprüche: Giuntoli übernimmt die Leitung einer riesigen Baustelle.

Das Vertrauen in den 51-Jährigen erscheint grenzenlos, ausgestattet wurde er mit einem ungewöhnlich langen Vertrag über fünf Jahre. "Den wichtigsten Neuzugang haben wir schon geholt. Es ist Cristiano Giuntoli, der neue Sportdirektor", sagte John Elkann der Tuttosport. Elkann ist CEO von Juves Hauptanteilseigner, der Investmentgesellschaft Exor.

Statt sich im Hintergrund langsam einzuarbeiten, traf Giuntoli direkt eine aufsehenerregende Entscheidung, indem er die Ausbootung des 36-jährigen Kapitäns und Abwehrchefs Leonardo Bonucci initiierte. Mamma mia! Genau wie Denis Zakaria soll sich Bonucci einen neuen Klub suchen. Zunächst war auch über ein Aus von Weston McKennie spekuliert worden, er brach aber letztlich doch mit der Mannschaft zur Vorbereitungsreise in die USA auf. Die Zukunft einiger der berühmtesten Spieler der Mannschaft - Mittelfeldmann Paul Pogba (30), Linksaußen Federico Chiesa (25) und Stürmer Dusan Vlahovic (23) - ist unterdessen ungewiss.

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Juventus Turin: Holt Giuntoli trotz Protesten Romelu Lukaku?

Einen großen Transfer hat Giuntoli bisher noch nicht getätigt, die festen Verpflichtungen der vorherigen Leihgaben Manuel Locatelli, Arkadiusz Milik und Moise Kean waren bereits vor seiner Ankunft fixiert worden. Genau wie der Kauf von Angreifer Timothy Weah für 11,3 Millionen Euro von OSC Lille.

Giuntoli soll sich aktuell sehr um Eintracht Frankfurts Jesper Lindström bemühen - und zum allseitigen Entsetzen auch um Romelu Lukaku. Der 30-jährige Belgier vom FC Chelsea spielte in der vergangenen Saison leihweise für Inter Mailand. Er wurde von Juve-Fans rassistisch beleidigt und schwor, niemals nach Turin zu wechseln. Nach Aufkommen der Gerüchte starteten Juve-Fans in Turin umgehend Protestaktionen.

Vor kontroversen Wechseln schreckt Giuntoli generell nicht zurück. Nachdem Gonzalo Higuain Napoli in der Saison 2015/16 als Torschützenkönig zur Vizemeisterschaft geschossen hatte, verkaufte ihn der damals erst seit wenigen Monaten amtierende Sportdirektor für 90 Millionen Euro ausgerechnet an Juventus. In Neapel war man durchaus empört.

Cristiano Giuntoli verpflichtete Kvaratskhelia, Kim und Osimhen

Schnell fanden Napolis Fans aber Vertrauen in Giuntoli und dessen gutes Auge für Transfers. Regelmäßig holte er für wenig Geld verhältnismäßig unbekannte Spieler, die sich in Neapel rasant zu Leistungsträgern entwickelten. Den mittlerweile zum Kapitän aufgestiegenen Giovanni Di Lorenzo und Piotr Zielinski entdeckte er beim FC Empoli, Innenverteidiger Amir Rrahmani bei Hellas Verona und Mittelfeldmotor Stanislav Lobotka bei Celta Vigo.

Seine absoluten Königstransfers tätigte Giuntoli im vergangenen Sommer: Für 11,5 Millionen Euro verpflichtete er Flügelstürmer Khvicha Kvaratskhelia vom FC Batumi aus dessen Heimat Georgien, für 18 Millionen Euro den mittlerweile für fast das Dreifache zum FC Bayern weitergezogenen Innenverteidiger Min-Jae Kim von Fenerbahce Istanbul. Neben Stürmer Victor Osimhen avancierten sie zu den prägendsten Spielern der Meistersaison.

Bei der Verpflichtung von Osimhen ging Giuntoli während seiner acht Jahre als Napoli-Sportdirektor zum einzigen Mal ein großes finanzielles Risiko ein. Nach nur einer starken Saison in Lille zahlte er 75 Millionen Euro für den nigerianischen Stürmer. Es sollte sich lohnen: Der Torschützenkönig der Serie A ist mittlerweile deutlich mehr wert und wird europaweit umworben, unter anderem auch vom FC Bayern.

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Cristiano Giuntoli: Auch mal schweigen oder lügen

Giuntoli arbeitet dem Vernehmen nach eher altmodisch. Statt auf längst gängige Online-Datenbanken oder Scouting-Systeme zurückzugreifen, verlässt er sich bei der Spielersichtung lieber auf sein eigenes Auge und Bauchgefühl. Seine Prinzipien lehrt er an der Sportschule des italienischen Fußballverbands in Coverciano, darunter auch die Maxime: "Als Sportdirektor muss man in der Öffentlichkeit manchmal lügen."

Unverblümt berichtete er in einem Interview mit der Corriere dello Sport etwa im Nachhinein, dass Napoli entgegen anderslautenden Aussagen im vergangenen Sommer kein Interesse an einer Verpflichtung von Cristiano Ronaldo gehabt habe. "Auf dem Transfermarkt täuschen wir manchmal vor, dass wir mit jedem reden", sagt er. "Wir haben nie wirklich über Ronaldo gesprochen."

Am allerliebsten sagt Giuntoli aber nicht Unwahrheiten, sondern einfach überhaupt gar nichts. Er gilt als medienscheu, was ihm beim interessantesten und unruhigsten Klub des Landes durchaus Probleme bereiten könnte. In Neapel agierte er zumeist als unsichtbarer Strippenzieher im Hintergrund. Öffentliche Auftritte überließ er lieber dem schillernden Präsidenten Aurelio De Laurentiis sowie Trainer Luciano Spalletti.

Cristiano Giuntoli: Juve-Fan und mittelmäßiger Kicker

Während sich Spalletti - der mittlerweile als potenzieller Nachfolger von Juve-Trainer Massimiliano Allegri gehandelt wird - nach dem Meistertitel in ein Sabbatical verabschiedete, verlief die Trennung zwischen De Laurentiis und Giuntoli gehässig.

In einem Vorstellungs-Interview mit Juves klubeigenen Medien verkündete Giuntoli, dass er "als Kind acht Stunden im Bus gefahren ist, um Juventus spielen zu sehen". Woraufhin De Laurentiis erwiderte: "Wenn ich von seiner Juventus-Vergangenheit gewusst hätte, wäre ich ihn viel früher losgeworden."

Sein Dasein als Juve-Fan war lange übrigens Giuntolis einzige Verbindung zum großen Fußball. Geboren in Florenz, schaffte er es als aktiver Spieler bei Sanremese Calcio und AC Prato lediglich in die Viertklassigkeit. Dann begann er auf Bestreben seiner Mutter mit dem Architekturstudium, ehe er sich doch für den Bau von Fußball-Mannschaften entschied.

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