"Macht ihr Witze oder was?!" Wie die Mannschaft vom Gemüsehändler die Ligue 1 aufmischt

Ligue 1, Frankreich, Stade Brest, Denis Le Saint, Eric Roy, Überraschung, Champions League, Stadion
© spox

Stade Brest hat den viertniedrigsten Etat der Ligue 1 und spielte noch nie in Europa - liegt aber dank der zweitbesten Abwehr Frankreichs voll auf Kurs Champions League. Dem Klub steht ein Gemüsehändler vor, der einen Trainer einstellte, obwohl dieser fast elf Jahre lang nicht mehr ein solches Amt bekleidet hatte.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Ein paar Wochen wird es noch dauern, bis die Spielzeiten in den fünf europäischen Top-Ligen beendet sind. In jeder von ihnen gibt es eine Überraschungsmannschaft, die man vor Saisonbeginn gänzlich anders eingeschätzt hätte. Wäre heute schon Schluss, würden folgende Vereine im kommenden Jahr in der Champions League spielen: Aston Villa aus der Premier League, der FC Girona aus der Primera Division, der FC Bologna aus der Serie A, Bundesligist VfB Stuttgart - und Stade Brest aus der Ligue 1.

Gewiss erzählen all diese Klubs eine spezielle Geschichte im laufenden Spieljahr. Doch keine ist so besonders wie jene von Stade Brest. Der Klub aus der Bretagne ist das Überraschungsteam unter den Überraschungsteams.

Die Ty-Zefs, wie ihr Spitzname lautet, stehen derzeit mit 46 Punkten aus 24 Spielen auf Platz zwei in Frankreich. Neun Zähler vor ihnen liegt nur das übermächtige Paris Saint-Germain. Zur Verdeutlichung: PSG weist einen Etat von 700 Millionen Euro aus, der von Brest beträgt 48 Millionen und ist der viertniedrigste der Liga. Doch die bessere Abwehr besitzt Brest - 18 Gegentreffer werden nur von OGC Nizza (17) unterboten.

Die Verteidigung ist ohnehin das Prunkstück im Team von Trainer Eric Roy, das in der Vorsaison noch auf Platz 14 landete. Zusammen mit dem FC Arsenal stellt Brest die beste Defensive Europas im Jahr 2024 und kassierte erst drei Gegentore.

Ligue 1, Frankreich, Stade Brest, Denis Le Saint, Eric Roy, Überraschung, Champions League, Stadion
© getty

Stade Brest mischt die Ligue 1 auf: "Macht ihr Witze oder was?!"

Brendan Chardonnet, Kenny Lala, Bradley Locko, Lilian Brassier, Marco Bizot - das sind die fünf Herren, die den Laden dicht halten. Sie haben insgesamt 2,25 Millionen Euro an Ablöse gekostet. Auch dank ihnen ist Brest seit mittlerweile 13 Ligaspielen ungeschlagen (neun Siege, vier Unentschieden) - was freilich Vereinsrekord ist und eine fast 34 Jahre alte Bestmarke hinfällig machte.

Zehn Zähler Vorsprung hat Brest derzeit auf Platz sieben, der wahrscheinlich noch zu einer Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb reichen wird. Es wäre das erste Mal Europa in der Geschichte des Klubs, dessen beste Platzierung ein achter Platz im Jahr 1987 war. Der Grundstein dafür - und im Idealfall für eine Teilnahme an der Champions League - kann bereits in den kommenden beiden Partien gelegt werden. Gegen Lens (Platz sechs, sieben Punkte hinter Brest) und Lille (Platz vier, fünf Punkte hinter Brest) könnte das Team bei dann noch acht ausstehenden Begegnungen einen entscheidenden Schritt machen.

"Ich weiß nicht, ob wir in dieser Saison die Überraschungsmannschaft sind. Was ich weiß, ist: Der schwierigste Teil für uns beginnt jetzt. Wir werden nun nicht mehr unterschätzt", hatte Coach Roy kürzlich gesagt. Auch Präsident Denis Le Saint, der 2016 zum damaligen Zweitligisten stieß und 51 Prozent der Anteile hält, hielt sich im Januar noch schwer mit Prognosen Richtung Königsklasse zurück: "Macht ihr Witze oder was?! Wir müssen ernst sein, daran erinnert uns allein unsere Vergangenheit. Einfach weitermachen. Dann werden die Top-10 zum Ziel."

Ligue 1, Frankreich, Stade Brest, Denis Le Saint, Eric Roy, Überraschung, Champions League, Stadion
© getty

Stade Brest: Ein Gemüsehändler unter Scheichs und Oligarchen

Roy und Le Saint sind besondere Typen, wie es sie für solche Underdog-Geschichten vermutlich auch braucht. In einer Liga, die reich an Scheichs, Oligarchen oder Investoren aus den USA ist, sticht der 60-jährige Le Saint als schnöder Gemüsehändler heraus. Zusammen mit seinem Bruder Gérard führt Le Saint das Familienunternehmen "Le Saint Fruit et Légumes". Mit Obst und Gemüse machen die beiden einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro.

Le Saint gilt eigentlich als besonnener Patriarch des Klubs. Doch der VAR trieb auch ihn schon auf die Palme. Und zwar derart, dass er Ende November einen Brief an Liga-Präsident Vincent Labrune mit dem Ziel schickte, den Videoschiedsrichter abzuschaffen. "Wir sind Opfer von vier schwer verständlichen Schiedsrichterentscheidungen geworden, bei denen der VAR zum Einsatz kam. Zur ersten sage ich nichts, bei der zweiten bin ich verärgert, bei der dritten wird es schwierig und bei der vierten reagiere ich. Ich kann mir diese vier Entscheidungen nicht erklären", sagte Le Saint der Sporttageszeitung L'Équipe.

Der VAR kommt natürlich auch weiterhin in der Ligue 1 zum Einsatz. Roys Mannschaft wurde von den vermeintlichen Ungerechtigkeiten ohnehin nicht aus der Bahn geworfen. Die Truppe ist ein echtes Team ohne Egoismen mit einem starken Zusammenhalt. 16, 17 Spieler haben entscheidenden Anteil am schon jetzt großen Erfolg, was sich auch auf dem Platz widerspiegelt: Gerade im Winter machten die Einwechselspieler oft den Unterschied aus. In der Phase zwischen der 46. und 60. Minute ist Brest am stärksten.

Stade Brest: Die Karriere von Trainer Eric Roy

VereinZeitraumFunktion
OGC Nizza7/2009 - 3/2010Sportlicher Leiter
OGC Nizza3/2010 - 11/2011Trainer
OGC Nizza11/2011 - 6/2012Sportlicher Leiter
RC Lens9/2017 - 4/2019Sportdirektor
FC Watford12/2019 - 7/2020Sportdirektor
Stade Brestseit 1/2023Trainer
Ligue 1, Frankreich, Stade Brest, Denis Le Saint, Eric Roy, Überraschung, Champions League, Stadion
© getty

Stade Brest: Erfolgscoach Eric Roy zuvor fast elf Jahre lang kein Trainer

Der intensive Spielstil gegen den Ball im 4-3-3 mit aggressivem Pressing bereitet vielen Kontrahenten enorme Schwierigkeiten. Den hatte der Trainer schon früh implementiert, als er Anfang Januar 2023 den Klub auf Platz 17 stehend übernahm.

Dabei ist der 56-Jährige nicht unbedingt der geborene Coach. Zumindest stand er etwas mehr als elf Jahre lang nicht mehr an der Seitenlinie, bevor er in Brest loslegte. Stattdessen verdingte sich Roy als Sportdirektor in seiner Geburtsstadt Nizza, beim RC Lens und dem FC Watford. Zuletzt war er fast zweieinhalb Jahre ohne Job und gab als TV-Experte seinen Senf dazu.

Neben dem unheimlichen Erfolgslauf beschäftigt die Fußballfans in der Region Pays de Morlaix, in der sich die Sympathien der Anhänger zwischen Stade Brest und Zweitligist En Avant Guingamp aufteilen, die Stadionfrage. Das 102 Jahre alte und 15.000 Zuschauer fassende Stadion Francis-Le Blé besitzt bereits Ausnahmegenehmigungen, um überhaupt Spiele der Ligue 1 austragen zu können. Auf europäischer Ebene ist entsprechend nicht viel drin.

Ligue 1, Frankreich, Stade Brest, Denis Le Saint, Eric Roy, Überraschung, Champions League, Stadion
© getty

Stade Brest: 1991 noch insolvent - 2024 in der Champions League?

Wie erst kürzlich die Zeitung Le Télégramme berichtete, stufte die UEFA das Stadion als Kategorie 2 ein. Das bedeutet, dass man darin die erste und zweite Qualifikationsrunde zur Champions League oder Spiele der Conference League ausrichten darf. Problematisch ist vor allem die Infrastruktur. Der Klub muss Änderungen an der Beleuchtung, dem VIP-Bereich, der Pressetribüne, Parkplätze und den Einrichtungen für die TV-Produktion vornehmen, um Kategorie 4 zu erreichen, wodurch alle Spiele im Le Blé ausgetragen werden könnten.

Der wohl nicht mehr zu verhindernde Erfolg des Klubs, der 1991 noch Insolvenz anmeldete, kommt in dieser Hinsicht ein paar Monate zu früh. Für etwas über 100 Millionen Euro soll ein neues Stadion, das Stade au Froutven, hochgezogen werden. Doch der Baubeginn ist erst für 2025 vorgesehen, die Fertigstellung soll 2027 erfolgen. Es sind Probleme, die man bei Stade Brest derzeit sehr gut verschmerzen kann.

Ligue 1, Frankreich, Stade Brest, Denis Le Saint, Eric Roy, Überraschung, Champions League, Stadion
© getty

Ligue 1: Die aktuelle Tabelle

PlatzVereinSpieleSiegeRemisNiederlagenToreDifferenzPunkte
1 Paris Saint-Germain (M)24167154:193555
2 Stade Brestois24137435:181746
3 AS Monaco24126644:341042
4 Lille OSC24118534:201441
5 OGC Nice24117623:17640
6 RC Lens24116733:24939
7 Olympique Marseille2499638:261236
8 Stade Rennais2498736:29735
9 Stade Reims241041030:32-234
10 Toulouse FC (P)2478927:32-529
11 Olympique Lyon24841225:38-1328
12 RC Strasbourg24681025:37-1226
13 FC Lorient24671133:45-1225
14 FC Nantes24741323:36-1325
15 Havre AC (N)24591024:31-724
16 Montpellier HSC24591027:33-623
17 FC Metz (N)24551421:37-1620
18 Clermont Foot 6324381317:41-2417