Die legendäre Rivalität zwischen OM und PSG: Erst kulturell, dann medial-kommerziell und nun sportlich

Von Patrik Eisenacher
Neymar Mbappé Guendouzi, Sanchez
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Die größte Rivalität im französischen Fußball, zwischen Olympique Marseille und Paris Saint-Germain, findet in sportlicher Hinsicht endlich wieder auf Augenhöhe statt. Die Frage vor dem Duell am Sonntag: Kann OM seinem Rivalen nach der Coupe de France nun auch den Ligue-1-Titel streitig machen?

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Nur fünf Pünktchen trennen Tabellenführer Paris Saint-Germain und Olympique Marseille vor dem heißesten Classique seit langer Zeit (20.45 Uhr im Liveticker).

Frankreichs größte fußballerische Rivalität war nicht mehr so ausgeglichen, seitdem PSG mit katarischem Geld um sich wirft; das steht spätestens durch Marseilles dominanten 2:1-Heimsieg im Stade Vélodrome vor erst 18 Tagen im Coupe de France fest, als PSG der erste sicher geglaubte Titel der Saison aus den Händen gerissen wurde. Wiederholt OM diesen Triumph nun auch in der Ligue 1, ist der Titelkampf neu eröffnet!

Trainer Igor Tudor greift hart durch

Verantwortlich dafür ist vor allem die beeindruckende Entwicklung Marseilles, das in der Ligue 1 so viele Punkte einheimste wie nie zuvor in seiner Historie. Der Erfolg trägt die Handschrift des im Sommer gekommenen, als Trainer noch unbekannten Igor Tudor.

Sein Spielstil ist offensiv, selbst einer der drei Innenverteidiger des 3-4-2-1-Systems greift stets mit an und presst im Anschluss auf den gegnerischen Spielaufbau. Tudors Stil folgt dem Vereinsmotto: "droit au but", geradlinig Richtung Tor. Doch der Kroate gilt als stur und teils schwierig. Vor der Saison gab es Streit mit einzelnen Spielern, die ihm taktisch nicht diszipliniert genug waren: Gerson ging im Winter, Dimitri Payet wurde vom Schlüsselspieler zum Bankdrücker degradiert.

Mit der Tudor-Taktik mischte Olympique auch in der Champions League gut mit, zumindest ab dem dritten Spieltag der Gruppenphase. Erst in der letzten Partie, dem Heimspiel gegen Tottenham, kam das Aus und das trotz eigener 1:0-Halbzeitführung. Am Ende hieß es 1:2.

Es war OMs zweite Teilnahme an der Champions League in drei Jahren, was den Status als aktuelle Nummer zwei Frankreichs unterstreicht, während Monaco und Lyon zuletzt schwächelten und aufstrebende Teams wie Rennes, Lens, Lille und Nizza (noch) nicht konstant genug sind. Wenn PSG also aktuell jemand gefährlich werden kann, ist es Marseille.

Beim jüngsten Classique im Stade Velodrome (Oktober 2021) spuckte der "Vulkan", wie die Anhänger ihr Stadion nennen, zuletzt Feuer.
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Beim jüngsten Classique im Stade Velodrome (Oktober 2021) spuckte der "Vulkan", wie die Anhänger ihr Stadion nennen, zuletzt Feuer.

OM vs. PSG: Bilanz im neuen Jahrzehnt fast ausgeglichen

Das unterstreicht auch die jüngste Bilanz im Classique: Seit 2020 trafen sich die beiden Rivalen siebenmal. Zweimal gewann Marseille, viermal Paris bei einem Remis und einem engen Torverhältnis von 8:5 zugunsten der Hauptstädter.

Im Jahr der PSG-Übernahme, 2011, hatte Marseille letztmals zwei Classiques in einer Saison gewonnen. Gibt es nun die Wiederholung?

OM vs. PSG: Die vergangenen Duelle

DatumSpielErgebnis
26. Februar 2023OM vs. PSG?
8. Februar 2023OM vs. PSG (Coupe de France)2:1
16. Oktober 2022PSG vs. OM1:0
17. April 2022PSG vs. OM2:1
24. Oktober 2021OM vs. PSG0:0
7. Februar 2021OM vs. PSG0:2
13. Januar 2021PSG vs. OM (Super-Cup-Finale)2:1
13. September 2020PSG vs. OM0:1

Zwischen 2012 und 2019 hatte das komplett anders ausgehen. Mit 16 Siegen in 17 Spielen war die Pariser Dominanz erdrückend. Die sportliche Rivalität war geschwunden, jene zwischen den Städten und den Fanlagern aber geblieben. Diese übertrieben damit jedoch so sehr, dass Gästefans bei Classiques schon lange nicht mehr zugelassen sind.

Christophe Galtier, PSG-Trainer seit 2022, jubelte von 1985 bis 1987 im Trikot seines Heimatvereins Marseille.
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Christophe Galtier, PSG-Trainer seit 2022, jubelte von 1985 bis 1987 im Trikot seines Heimatvereins Marseille.

PSG-Trainer Galtier einst: "Unmöglich, im Classique nicht OM-Anhänger zu sein"

PSG und allen voran Kylian Mbappé und Neymar stellen sich in den letzten Monaten jedoch immer häufiger selbst ein Bein. Um Mbappé tauchen seit Jahren immer neue Wechselwunsch-Gerüchte auf, Neymar regt sich unter anderem gerne darüber auf, dass Mbappé die Elfmeter schießt und geht nach einem Poker-Abend bei McDonalds essen. Nebenbei verletzt sich der Brasilianer ständig, auch an diesem Sonntag wird er PSG wegen einer Knöchel- und Bänderverletzung fehlen.

Nicht einmal Weltmeister Lionel Messi steht in Paris über den Dingen. So wurde dem Argentinier von französischen TV-Experten wie Jerome Rothen (RMC) vorgeworfen, nicht alles im PSG-Trikot zu geben - im Gegensatz zu dem von Barcelona und Argentinien. Zudem soll Sergio Ramos in Paris nicht zufrieden sein.

Trainer Christophe Galtier fällt es offensichtlich schwer, sein Starensemble zu moderieren. Hinzu kommt: Galtier ist in Marseille geboren, spielte Mitte der 80er für OM und spricht einen starken südfranzösischen Akzent. Als Galtier Trainer in Lille war (2017 bis 2021), sagte er ganz offen: "Ich bin Marseillais. In einem Classique ist es unmöglich, nicht Anhänger von dem Verein zu sein, bei dem ich enorm viele tolle Momente erlebt habe."

Beeinflusste ihn das unterbewusst beim 2:1-Treffer von OM Anfang des Monats? Da riss der 56-Jährige jedenfalls eine Hand nach oben, es sah aus wie ein Jubel - oder war es doch eine Droh-Geste in Richtung seiner Mannschaft?

PSG 2023 auswärts extrem anfällig

All das trägt ebenso dazu bei, dass das Duell am Sonntag praktisch auf Augenhöhe stattfinden wird. Auf den Pressekonferenzen vor dem Spiel schoben sich beide Trainer zudem die Favoriten-Rolle zu. Obwohl der eine Mbappé und Messi, der andere Sanchez und Guendouzi in seiner Starfelf haben wird.

Auch insgesamt läuft es für die Mannschaft aus der französischen Hauptstadt gerade schlecht. Schon in der Hinrunde zeigte PSG in der Champions League mit zwei 1:1 gegen Benfica, dass ihnen größere Gegner aktuell zu groß sind. Die Bestätigung gab es am Valtentinstag daheim gegen den FC Bayern München und bei bereits vier (!) Auswärtsniederlagen im Jahr 2023, bei den besten Vereinen des Landes: Lens (1:3), Rennes (0:1), Marseille (1:2) und Monaco (1:3).

Am vergangenen Spieltag stand auch Lille drei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit kurz vor einem Sieg, bis Mbappé und Messi doch noch gewinnen wollten. Zuvor war Sportdirektor Luis Campos auf der Ersatzbank ob der Einstellung des von ihm zusammengestellten Kaders völlig ausgetickt. Grund dazu hätte er auch vor 18 Tagen in Marseille gehabt, als Paris in Sachen Einstellung und gegen OMs Pressing klar unterlegen waren. PSG ist noch abhängiger von Mbappé geworden, der im Coupe-Classique gefehlt hatte.

OM vs. PSG: Erst eine kulturelle, dann kommerzielle und nun sportliche Rivalität

Marseille, die älteste Stadt Frankreichs, gilt seit jeher als rebellisch. Viele Menschen fühlen sich weniger als Franzosen, denn als einfach Marseillais. Die Rivalität lautet Hauptstadt gegen Mittelmeer-Hafenstadt, 13-Millionen-Megametropole gegen Provinz, Zentralismus gegen Mafiosi, Ordnung gegen Rebellion, gemäßigtes gegen mediterranes Klima. Bis zur katarischen Ära war die Rivalität vor allem politisch-kulturell und weniger sportlich aufgeladen - denn bis 2011 hatte vor allem das andere große Olympique dominiert, jenes aus Lyon, und in den 60er- und 70er-Jahren die benachbarte AS Saint-Etienne.

Erst 1970 wurde PSG überhaupt gegründet und spielte bis 2012 von einzelnen Erfolgen abgesehen keine riesige Rolle im französischen Fußball. Eine sportliche Rivalität zu Olympique Marseille bestand nicht - bis der ehemalige PSG-Eigentümer, der TV-Sender Canal+, mit der legendären Sportzeitung L'Équipe Anfang der 1990er-Jahre beschloss: Wenn wir zur vorhandenen kulturellen Rivalität künstlich eine der sportlichen Art hinzufügen, ist noch mehr Geld zu machen!

Die damaligen Eigentümer der Vereine stimmen zu: Das war die Geburtsstunde von Le Classique, erschaffen auf Grundlage ökonomischer Überlegungen zweier wichtiger Player der Medienwelt.

Matteo Guendouzi und Pablo Longoria feiern 2022 die direkte Champions-League-Qualifikation.
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Matteo Guendouzi und Pablo Longoria feiern 2022 die direkte Champions-League-Qualifikation.

OM vs. PSG: Der Spanier hinter Marseilles Rückkehr in die Elite

Der Vater des Erfolges von Olympique Marseille ist Pablo Longoria. Als Sportdirektor mitten in der Pandemie von 2020 gekommen, ist der Spanier seit Februar 2021 ganz nebenbei auch noch Präsident des französischen Vereins mit den meisten Fans und Stadion-Besuchern im Lande. Wie versessen und siegeshungrig er arbeitet, lassen nicht nur seine stets auffälligen Augenringe erahnen. OM sei sein "letztes Abenteuer im Profifußball", sagte er, dabei ist Longoria erst 36 Jahre alt. Im vergangenen Sommer hat er sich Entlastung an die Seite geholt, mit dem technischen Direktor David Friio (Ex ManUnited) und einem neuen Sportdirektor Javier Ribalta (Ex-Chefscout ManUnited und Juve), den Longoria, selbst gelernter Scout, weiterhin unterstützt.

Auf der Pressekonferenz zum Duell mit PSG lobte und scherzte Trainer Tudor: "Ich werde gut von ihm sprechen müssen, sonst werde ich gefeuert. Nein ernsthaft, ich habe eine positive Meinung über die Klub-Führung. Jeder weiß, was er zu tun hat. Ich bin glücklich, mit ihnen arbeiten zu können." Die Bedeutung dieser Worte wird davon unterstrichen, dass der kroatische Coach intern als laut und teils unbequem gilt - so suchten sich im Winter Gerson und Luis Suarez neue Vereine.

Longoria tauschte praktisch den gesamten Kader in den vergangenen beiden Jahren aus und füllte ihn auch dank des neuerdings wieder großzügigen US-Investors Frank McCourt mit Klasse, Erfahrung, Talent und Identifikation, die gepaart mit Tudors taktischer Klarheit für den dauerhaften Aufschwung verantwortlich sind.

OM vs. PSG: Die erfolgreiche Stammelf der Marseillais

(3-4-2-1): Lopez - Mbemba, Gigot, Balerdi - Clauss, Rongier, Veretout, N. Tavares - Guendouzi, Malinovskyi - Sanchez

Bank: Blanco, Bailly, Kaboré, Payet, Ünder, Ounahi, Vitinha - Harit (verletzt)

OM vs. PSG: Die Fakten um Classique auf einen Blick

  • Zum 15. Mal in Folge ausverkauft! Das Stade Vélodrome erwartet am Sonntag sogar einen neuen Zuschauerrekord von 66.000
  • Deschamps erstmals seit 2012 zu Besuch: Frankreichs Nationaltrainer und Ex-OM-Meistercoach schaut sich Mbappé und Guendouzi live an
  • Keine PSG-Fans in der Hafenstadt: Die Ligue 1 sorgt schon seit Langem für Ruhe bei Classiques
  • Marseille gewann vor 18 Tagen im Coupe de France: Nun ist PSG wieder zu Gast im "Vulkan"

Ligue 1: PSG am 24. Spieltag fünf Punkte vor OM

PlatzMannschaftTGT+/-Punkte
1.Paris Saint-Germain5923+3657
2.Olympique Marseille4822+2652
3.AS Monaco5331+2250
4.RC Lens3819+1949
5.Stade Rennes4428+1643

 

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