Tottenhams Abwärtstrend: Die Rückverwandlung zum wahren Mourinho schreitet voran

Tottenham Hotspur kam beim FC Burnley am Samstag nicht über ein 1:1 hinaus.
© getty

Seit etwa dreieinhalb Monaten ist Jose Mourinho Trainer von Tottenham Hotspur: Nach einem anfänglichen Erfolgslauf schlitterte die Mannschaft zuletzt in eine Krise. Am Dienstag geht es für Tottenham in der Champions League gegen RB Leipzig (21 Uhr im LIVETICKER) und um die letzte verbliebene Titelchance.

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Bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer Tottenham-Trainer Mitte November erzählte Jose Mourinho von seinem ersten Gespräch mit Dele Alli. "Bist du Deles Bruder?", habe er ihn gefragt, um dann zu fordern: "Spiel' wie Dele! Wie der richtige Dele!"

Aber nicht nur Alli wirkte damals wie sein Bruder - auch Mourinho selbst. Er, der jahrelang mit aller Konsequenz sein Image als Vertreter der dunklen Seite des Fußballs gelebt hatte, gab sich während seiner Anfangszeit bei Tottenham stets betont umgänglich. Mourinho war nicht wiederzuerkennen im Vergleich zu seiner Endzeit bei seinem vorherigen Klub Manchester United, wo er letztlich fast die ganze Mannschaft und Fanszene gegen sich aufgebracht hatte. Auf einmal lachte er mehr als dass er grimmig schaute.

Tottenhams Abwärtstrend unter Mourinho

Seitdem sind keine vier Monate vergangen, in denen die Rückverwandlung von seinem vermeintlichen Bruder zum wahren Mourinho kontinuierlich voranschritt. Nach respektablen Ergebnissen in den ersten Wochen seiner Amtszeit und einem Lauf Anfang Februar ging es zuletzt zunehmend bergab. Von den vergangenen fünf Spielen verlor Tottenham vier, unter anderem das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei RB Leipzig mit 0:1 und das FA-Cup-Achtelfinale mit 3:4 nach Elfmeterschießen gegen Tabellenschlusslicht Norwich City.

Vor allem diese Niederlage gegen Norwich nahm die seit dem League-Cup-Sieg 2008 nach Titeln dürstende Anhängerschaft Tottenhams Mourinho übel. Nach Jahren des sehenswerten aber titellosen Fußballs unter Mauricio Pochettino war Mourinho doch eigentlich als vermeintliche Garantie auf Pokale verpflichtet worden. Bisher hatte er noch bei jeder seiner Stationen etwas gewonnen.

In dieser Saison bietet die Champions League die letzte verbliebene Titelchance, in der Premier League ist eine neuerliche CL-Qualifikation das maximal Erreichbare. Doch nach nur einem Punkt aus den drei Spielen beim FC Chelsea (1:2), gegen die Wolverhampton Wanderers (2:3) und beim FC Burnley (1:1) beträgt der zwischenzeitlich geschmolzene Rückstand auf Platz vier wieder sieben Punkte.

Diesen noch aufzuholen wäre laut Mourinho eine "unfassbare Leistung" - womit er seine Mannschaft, die sich zuletzt vier Mal in Folge für die Champions League qualifizierte, unnötig kleinredete. Gleichzeitig beginnt er gerade wie zuletzt bei United damit, einzelne Spieler öffentlich zu kritisieren.

Mourinho kritisiert Alli und Ndombele öffentlich

Alli hatte während der erfolgreichen Anfangszeit unter Mourinho zwar auf einmal wieder wie der echte Alli gespielt, mutierte bei der 0:1-Niederlage in Leipzig jedoch erneut zu dessen Bruder. Als ihn Mourinho Mitte der zweiten Halbzeit auswechselte, schmiss Alli erst wütend eine Wasserflasche und dann auch noch seine Schuhe zu Boden.

"Er weiß, warum ich ihn runtergenommen habe", sagte Mourinho. "Danach hat sich unsere Leistung verbessert." Zumindest zwischen den Zeilen überflüssige Aussagen, die das Verhältnis zwischen Mourinho und seinem aktuell wichtigsten Offensivspieler belasten könnten. Nach dem Abschied von Christian Eriksen und den verletzungsbedingten Ausfällen von Harry Kane und Heung-Min Son (beide womöglich bis Saisonende) ist Alli der letzte verbliebene Vertreter des Offensivquartetts, das Tottenham in der vergangenen Saison ins Champions-League-Finale gebracht hatte. Mourinho ist auf einen formstarken Alli aktuell fast schon angewiesen.

Für ihn brachte er in Leipzig übrigens Tanguy Ndombele. Er war im Sommer für 60 Millionen Euro als teuerster Neuzugang der Vereinsgeschichte von Olympique Lyon gekommen und hatte seitdem nur selten überzeugt. Beim 1:1 in Burnley am Samstag nahm ihn Mourinho zur Pause vom Platz und sagte nach dem Spiel: "Ich weiß, dass es schwierig ist, sich an die Premier League zu gewöhnen. Aber er hatte genug Zeit und muss uns mehr geben, als er es aktuell macht." Und dann noch: "Ich kann ihm keine weiteren Chancen geben, denn das Team ist viel wichtiger als einzelne Spieler." Wie es im Team wohl ankommt, wenn einzelne Spieler öffentlich kritisiert werden?

Läuft es dagegen für einen Spieler gut, führt das Mourinho auf seine Arbeit mit ihm zurück. "Ich habe einen traurigen Spieler ohne Selbstvertrauen vorgefunden und habe versucht, ihm dieses Selbstvertrauen zurückzugeben", sagte er über Eric Dier, nachdem dieser einige solide Leistungen gezeigt hatte.

Tottenhams überraschende Defensivschwäche unter Mourinho

Bei der äußerst enttäuschenden Vorstellung in Burnley wirkte wie die gesamte Defensivabteilung aber auch Dier unsicher. Ein Umstand, der den Trainer dieser Mannschaft dann doch wieder wie dessen Bruder erscheinen lässt. Eine Mourinho-Mannschaft mit Defensivproblemen? Gibt es nicht? Gibt es doch - und das belegen auch die Zahlen.

Seit Mourinhos Amtsübernahme spielte Tottenham wettbewerbsübergreifend in 25 Spielen nur dreimal zu Null. Mourinho probierte schon zahlreiche unterschiedliche taktische Systeme und personelle Besetzungen, für nachhaltige Stabilität sorgte aber noch keine Maßnahme. In der Premier League kassierte Tottenham unter Mourinho 23 Gegentore und damit die sechstmeisten aller Vereine. Die 240 zugelassenen gegnerischen Schüsse sind die fünftmeisten. Die zehn individuellen Fehler, die zu Schüssen führten, die drittmeisten. Vor Burnleys zwischenzeitlichem 1:0 ließ sich erst Davinson Sanchez ausspielen und dann patzte auch noch Keeper Hugo Lloris.

Beim vorangegangenen 2:3 gegen Wolverhampton verspielte Tottenham zwei Führungen, wobei alle drei Gegentore relativ einfach vermeidbar gewesen wären. Tottenhams Auftritte wirken aktuell unkontrolliert, ja etwas anarchisch - und somit genau so, wie es Mourinho eigentlich nicht mag. "Wir waren nicht aggressiv genug und haben zu nett gespielt. Das hat den Unterschied ausgemacht", sagte er nach der Niederlage gegen Wolverhampton. "Es war ein unfaires Ergebnis - aber für neutrale Zuschauer ein super Spiel." Wer den wahren Mourinho kennt, der weiß: Das ist ein vernichtendes Urteil.

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