Thomas Brdaric im Interview: "Keine Ahnung, ob ich ohne Infusion überlebt hätte"

"Das war ein Märchen-Jahr": In der Saison 2020/21 gewann Thomas Brdaric mit dem KF Vllaznia den albanischen Pokal - und verpasste den Meistertitel nur wegen der schlechteren Tordifferenz.
© Instagram / Thomas Brdaric

Nach Stationen in Weißrussland, Usbekistan, Nordmazedonien und Albanien war Thomas Brdaric zuletzt als Trainer in Indien tätig. Im Interview mit SPOX und GOAL berichtet der 48-Jährige von seiner abenteuerlichen Laufbahn - von verbarrikadierten Geschäften in Tetovo, seinem Märchen-Jahr in Shkodra und einer Infusion in Chennai.

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Als Spieler sammelte Brdaric zwischen 1999 und 2003 mit Bayer Leverkusen einige Vize-Titel. Anschließend stürmte er für Hannover 96 und den VfL Wolfsburg, ehe er 2008 seine aktive Karriere beendete. In acht Länderspielen für Deutschland gelang Brdaric ein Treffer.

Herr Brdaric, wo erreiche ich Sie gerade?

Thomas Brdaric: Ich bin zuhause in Deutschland und schaue, was meine Söhne so machen. Tim spielt aktuell für die SG Wattenscheid 09. Der Junge hat Potenzial. Nach zehn Monaten Sonne und warmen Temperaturen nervt mich das Wetter hier etwas.

Ihr Vertrag beim indischen Erstligisten FC Chennaiyin läuft aus. Wie geht es weiter?

Brdaric: Das ist noch unklar. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass ich bald wieder unter Vertrag stehe. Wo das sein wird, werden die nächsten Wochen zeigen. Wenn du einmal ins Ausland gehst, bist du hier in Deutschland nicht mehr so im Fokus. Ich befinde mich aber im besten Trainer-Alter. Ich habe viel Erfahrung und bin ein sehr moderner Trainer. Ich besuche viele Lehrgänge und schaue unheimlich viel Fußball. Ich kann Ihnen alles über die ersten drei deutschen Ligen und die Regionalligen erzählen. Ich habe auch schon bei erfahrenen Trainern wie Ewald Lienen oder Ralf Rangnick hospitiert. In Leverkusen habe ich mir neulich Trainingseinheiten von Xabi Alonso angeschaut.

Welchen Eindruck haben Sie von ihm?

Brdaric: Er ist mega sympathisch und hat großes Fachwissen. Er hat es in Leverkusen schnell geschafft, seine Spielweise zu implementieren. Mir gefällt seine taktische Variabilität während eines Spiels.

Thomas Brdaric schloss seine erste Saison mit dem FC Chennaiyin in der Indian Super League auf Platz acht von elf ab und verpasste damit die Playoffs.
© imago images

Was haben Sie von Ihrer Zeit in Indien mitgenommen?

Brdaric: Das war eine tolle Erfahrung und hat meinen Horizont unfassbar erweitert. Ich musste mit Widrigkeiten umgehen, die man aus Europa nicht kennt. Außerdem habe ich gelernt, geduldiger zu sein.

Welche Widrigkeiten?

Brdaric: Indien ist ein Land der krassen Gegensätze. Ich habe in einem Fünf-Sterne-Hotel gelebt, während draußen vor der Türe unglaublich viele Menschen auf der Straße leben. Es ist schwer, das auszublenden. Aber das muss man schaffen. Das Wetter ist immer warm und schwül. Weil wir kein Flutlicht am Trainingsgelände hatten, mussten wir am späten Nachmittag noch vor Einbruch der Dämmerung trainieren. Da stand ich teilweise bei 40 Grad auf dem Platz. Dann der Verkehr, kürzeste Distanzen dauern sehr lange. Wegen des permanenten Stop-and-go kommt man durchgeschüttelt beim Training an. Das war wie eine Achterbahnfahrt jeden Tag. Und schließlich das Essen.

Hatten Sie Probleme?

Brdaric: Direkt nach unserer Ankunft ist mein Co-Trainer flachgelegen. Da habe ich noch gelacht und gesagt: "Wie kannst du dich so schnell erwischen lassen?" 24 Stunden später war ich dran. Ich habe eine Infusion bekommen. Keine Ahnung, ob ich sonst überlebt hätte. Mir ging es richtig dreckig. Aber wenn man das einmal durchgemacht hat, ist man an das Essen angepasst. Danach hatte ich keine Probleme mehr. Die Verantwortlichen wissen es zu schätzen, wenn man sich als Europäer mit all den Widrigkeiten abfindet.

Der FC Chennaiyin gehört unter anderem dem berühmten Bollywood-Schauspieler Abhishek Bachchan und der Cricket-Legende MS Dhoni. Wie präsent sind sie?

Brdaric: Am nächsten dran ist Vita Dani, die dritte Besitzerin. Abhishek kommt vor jedem Spiel ins Hotel und wünscht der Mannschaft viel Glück. Ein mega geiler Typ, super freundlich, super gebildet. MS Dhoni war leider nicht so oft da.

Fußball steht in Indien im Schatten seiner Sportart Cricket.

Brdaric: Cricket ist der Sport Nummer eins in Indien. Sobald Cricket läuft, muss sich der Fußball unterordnen. Aber es gibt auch Unterschiede zwischen den Bundesländern: In Kerala ganz im Süden interessieren sich beispielsweise mehr Menschen für Fußball als für Cricket. Dort gibt es ein Stadion mit 80.000 Plätzen, das meistens ziemlich voll ist. Auch die Klubs aus Kalkutta, ATK Mohun Bagan und SC East Bengal haben eine große Fanbase. Dort gibt es seit Jahrzehnten Fußballtradition.

Wie ist die Stimmung im Stadion von Chennaiyin?

Brdaric: Wir hatten zwei Fangruppen, die richtig gut Stimmung und ordentlich Krawall machen. Der Zuschauerschnitt liegt bei circa 15.000.

Wie würden Sie die Indian Super League qualitativ im Vergleich zu Deutschland einordnen?

Brdaric: Es ist eine Mischung aus allen deutschen Profi-Ligen.

"Ich musste mit Widrigkeiten umgehen, die man aus Europa nicht kennt": Thomas Brdaric über sein erstes Jahr als Trainer des FC Chennaiyin.
© Instagram / Chennaiyin FC

Die Indian Super League wurde 2014 als geschlossene Meisterschaft nach Vorbild der nordamerikanischen MLS gegründet, mittlerweile gibt es ein System mit Auf- und Abstieg. Anders als in der Anfangsphase werden keine teuren Ausländer mehr verpflichtet. Zeitweise spielten Roberto Carlos, David Trézéguet, Alessandro Nesta, Freddie Ljungberg und Nicolas Anelka in Indien.

Brdaric: Die Inder sind schlauer geworden. Die damaligen Investitionen haben sich nicht gelohnt, weil die begleitende Infrastruktur gefehlt hat.

Obwohl Indien das bevölkerungsreichste Land der Welt ist, liegt die Nationalmannschaft in der FIFA-Weltrangliste nur auf Platz 101. Gibt es keine guten indischen Fußballer?

Brdaric: Indische Talente sind rar gesät. Die meisten Spieler sind zwar technisch gut, im physischen und taktischen Bereich aber nicht auf der Höhe. Es gibt viele unfassbar schnelle, technisch gut ausgebildete Flügelspieler. Es fehlen aber zentrale Spieler, vor allem Stürmer. Deshalb werden die inneren Positionen meist von Ausländern besetzt.

Welchen indischen Fußballer sollte man sich merken?

Brdaric: Bei Chennaiyin kann ich Anirudh Thapa hervorheben. Er ist Nationalspieler, eines der größten Talente Indiens und ausnahmsweise ein zentraler Spieler. Ich habe ihn auf der Zehn eingesetzt.

Wie hat Ihr Trainer-Alltag in Indien ausgesehen?

Brdaric: Ich habe mich wie in einer Bubble gefühlt. Während der Saison habe ich mit der Mannschaft permanent im Hotel gewohnt. Der Fokus lag nur auf dem Fußball. Die Spieler waren von 9 bis 12 Uhr im Gym, dann haben wir gegessen, uns kurz hingelegt, um 15 Uhr sind wir zum Training gefahren, waren um 19 Uhr zurück, dann haben wir Abend gegessen und sind schlafen gegangen. Dazwischen gab es noch Sitzungen. Es ist nicht einfach, wenn man jeden Abend im Hotelzimmer die Wände anstarrt.

Wann sehen die Spieler ihre Familien und Freunde?

Brdaric: Wenn sie im Hotel zu Besuch kommen. Zwischen dem Durand Cup, der von August bis September ausgetragen wurde, und dem Meisterschaftsbeginn im Oktober habe ich ein paar Tage freigegeben und zwischen Meisterschaft und Supercup Ende März nochmal. Da konnten die Spieler ihre Familien und Freunde besuchen. Das Leben eines Profis in Indien ist wie das eines Nachwuchsspielers in Europa, der in einer Akademie dem Traum von einer Profikarriere alles unterordnet.

Was ist der Grund für diese Kasernierung?

Brdaric: Bei Klubs aus großen Metropolen wie Chennai ist das ansonsten organisatorisch nicht machbar. Wenn die Spieler ein paar Kilometer verteilt wohnen würden, wäre der Zeitaufwand, um zum Training zu kommen, wegen des Verkehrs zu groß.

"Das war ein Märchen-Jahr": In der Saison 2020/21 gewann Thomas Brdaric mit dem KF Vllaznia den albanischen Pokal - und verpasste den Meistertitel nur wegen der schlechteren Tordifferenz.
© Instagram / Thomas Brdaric

Vor Ihrer Tätigkeit in Indien haben Sie unter anderem in Weißrussland, Usbekistan, Albanien und Nordmazedonien gearbeitet. Wie kam das zustande?

Brdaric: Das war kein bewusster Plan, das hat sich so ergeben. Nach meiner Zeit im NLZ von Bayer Leverkusen konnte mich mein Berater 2011 bei Dinamo Minsk unterbringen. Das war mein Türöffner in den Profifußball. Ich habe den Posten als Sportdirektor übernommen und gleichzeitig in Kiew meinen Fußballlehrer absolviert. Für mich waren das zwei Fliegen mit einer Klappe. Während der eineinhalbjährigen Ausbildung bin ich von Minsk zu Bunyodkor Tashkent nach Usbekistan gewechselt, um dort die Akademie aufzubauen. Zu der Zeit bin ich im Dreieck zwischen Deutschland, Kiew und Minsk beziehungsweise Tashkent gependelt.

Haben den Fußballlehrer-Kurs in Kiew zeitgleich mit Ihnen noch andere Ausländer absolviert?

Brdaric: Nein, aber ein Jahr zuvor war Johan Cruyffs Sohn Jordi dabei. Er durfte es mit einem Dolmetscher machen, mir haben sie das aber nicht erlaubt. Deshalb musste ich neben dem Kurs und meinem Job auch noch russisch lernen. Dabei hat mir aber geholfen, dass ich Serbo-Kroatisch spreche.

Haben Sie noch Kontakt mit Menschen in der Ukraine?

Brdaric: Ja, ich habe Freunde in Minsk und Kiew. Es ist Wahnsinn, dass dort jetzt Krieg herrscht und ich nicht mehr hinreisen kann. Für mich ist das besonders emotional. Neuerdings kann man seine UEFA-Pro-Lizenz immerhin in jedem europäischen Land verlängern. Deshalb habe ich das beim letzten Mal nicht in der Ukraine, sondern in Albanien erledigt.

Was können Sie von Usbekistan und dem dortigen Fußball erzählen?

Brdaric: Im Winter wird es sehr kalt, im Sommer sehr heiß. Anders als in Indien gibt es in Usbekistan viele tolle Talente. Die Nationalmannschaft ist in Asien nicht umsonst immer unter den Top-10. Fußball ist in Usbekistan Sport Nummer eins, danach kommen verschiedene Kampfsportarten.

Thomas Brdaric: Seine Trainer- und Funktionärskarriere

ZeitraumKlubLandFunktion
2009Union SolingenDeutschlandTrainer und sportlicher Leiter
2010 bis 2011Bayer Leverkusen NLZDeutschlandCo-Trainer
2011KFC Uerdingen U19DeutschlandTrainer
2011Dinamo MinskWeißrusllandSportdirektor
2012Bunyodkor TashkentUsbekistanSportdirektor
2013 bis 2014TSG NeustrelitzDeutschlandTrainer
2014 bis 2015VfL Wolfsburg IIDeutschlandTrainer
2015 bis 2016TSV SteinbachDeutschlandTrainer
2017Shkendija TetovoNordmazedonienTrainer
2017 bis 2018TeBe BerlinDeutschlandTrainer
2018 bis 2019Rot-Weiß ErfurtDeutschlandTrainer
2020 bis 2022KF VllazniaAlbanienTrainer
seit 2022FC ChennaiyinIndienTrainer

Ihre nächste Auslandsstation war 2017 Shkendija Tetovo in Nordmazedonien. Nach nur wenigen Monaten waren Sie aber schon wieder weg.

Brdaric: Wir sind Vizemeister geworden und haben das Pokalfinale erreicht, kurz vor dem Endspiel musste ich das Land aber verlassen. Aufgrund der politischen Situation wurde es zu gefährlich, eine Eskalation stand kurz bevor. An meinem letzten Tag bin ich durch Tetovo gelaufen und habe zugeschaut, wie die Ladenbesitzer ihre Geschäfte verbarrikadiert haben. Es war sehr traurig, dass ich das Finale nicht mehr spielen konnte.

Ihre erfolgreichste Zeit hatten Sie dann ab 2020 beim KF Vllaznia in der albanischen Stadt Shkodra.

Brdaric: Ja, das war ein Märchen-Jahr. Wir haben den Meistertitel nur wegen der Tordifferenz verpasst, wurden Pokalsieger und ich wurde zum Trainer des Jahres gewählt. Ich habe diesen Traditionsklub aus dem Tiefschlaf geweckt und den ersten Titel seit vielen Jahren gewonnen. Es hat mir dort sehr gut gefallen. Ich liebe Shkodra.

Wie waren die Feierlichkeiten?

Brdaric: Unglaublich emotional. Die Fans sind komplett abgegangen. Wenn wir auch noch Meister geworden wären, dann wäre Shkodra explodiert. Dann hätten sich alle Fans bis Ultimo abgeschossen. Ich weiß nicht, ob die dann nochmal wach geworden wären.

Im Kader stand damals auch Ihr Sohn Tim.

Brdaric: Er hat in der zweiten Mannschaft gespielt und bei mir mittrainiert. Einmal habe ich ihn eingewechselt und er hat direkt getroffen. Weil es aber um Titel ging, wollte ich danach nicht zu viel experimentieren. Es war wunderbar, als Vater und Sohn zusammenzuarbeiten.