Andreas Herzog im Interview: "Nach dem dritten Schnaps habe ich den Betrunkenen gespielt"

Szene aus einem Legendenmatch 2008: Andreas Herzog (r.) im Duell mit Lothar Matthäus.
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In der damaligen Zeit entstand der Spitzname "FC Hollywood". War der gerechtfertigt?

Herzog: Absolut. Ich kann bestätigen, dass wir für diesen Spitznamen alles erdenkliche getan haben. Wir waren eine Ansammlung von Superstars, keine Mannschaft. Wenn irgendetwas in der Kabine passiert ist, stand es am nächsten Tag in allen Zeitungen. Das war völlig anders als in Bremen, wo nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Einerseits war der Spitzname etwas negativ, andererseits ist Hollywood weltberühmt und jeder will dorthin.

Wer hat den FC Hollywood am meisten und wer am wenigsten genossen?

Herzog: Am meisten Lothar, mit Abstand am wenigsten Jürgen - und der wohnt jetzt lustigerweise selbst in Los Angeles.

Inwieweit haben die Klub-Bosse Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß oder Franz Beckenbauer gegengesteuert? Hoeneß soll angeblich sogar Detektive auf manche Spieler angesetzt haben.

Herzog: Klar wurde immer wieder Tacheles geredet, aber dadurch hat sich nichts geändert. Ob Detektive eingeschaltet wurden, weiß ich nicht. Aber selbst Detektive wären einem Lothar egal gewesen. Er hat sowieso gemacht, was er machen wollte.

Haben Sie sich von dem Trubel beeinflussen lassen?

Herzog: Bei Bremen hatte ich eine ganz andere Lockerheit, die ich bei Bayern wegen all der Superstars nicht ausleben konnte. Ich hatte von Beginn an viel zu viel Respekt. Da es sportlich für mich nicht gelaufen ist, habe ich mich in der Münchner Öffentlichkeit nicht wohlgefühlt. Nach einem Spiel war ich mit den Kollegen vielleicht mal essen, aber danach wollte ich immer heim. Ich habe mich in München so gut wie eingesperrt.

Was denken Sie, wenn heutzutage bei Trubel rund um den FC Bayern von einer Rückkehr des FC Hollywood gesprochen wird?

Herzog: Dass es damals auf jeden Fall viel ärger war als jetzt.

Sportlich lief die Saison 1995/96 wechselhaft: Platz zwei in der Bundesliga hinter Borussia Dortmund, aber immerhin gelang der Sieg im UEFA-Cup.

Herzog: Im Europacup haben wir uns zusammengerissen. Bei manchen Spielen dachte ich: "Bist du deppert, wenn wir zusammenhalten, sind wir in Europa unschlagbar." Weil wir als Mannschaft nicht funktioniert haben, hatten wir leider keine größeren Erfolge.

Andreas Herzog wechselte im Sommer 1995 für 2,5 Millionen Euro von Werder Bremen zum FC Bayern München - und kehrte ein Jahr später für die selbe Summe zurück.
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Andreas Herzog wechselte im Sommer 1995 für 2,5 Millionen Euro von Werder Bremen zum FC Bayern München - und kehrte ein Jahr später für die selbe Summe zurück.

Welchen Stellenwert hatte der UEFA-Cup für die Mannschaft? Beckenbauer hat ihn bekanntlich als "Cup der Verlierer" bezeichnet.

Herzog: Damals qualifizierten sich nur die jeweiligen Landesmeister für die Champions League, deshalb hatte der UEFA-Cup einen ganz anderen Stellenwert als heute die Europa League. Wir wollten den Titel unbedingt gewinnen. Für uns war das ein Riesenerfolg.

Sie kamen bei den beiden Finalspielen gegen Girondins Bordeaux nicht zum Einsatz. Haben Sie sich trotzdem als Sieger gefühlt?

Herzog: Christian Nerlinger und ich waren die einzigen beiden, die keine Minute gespielt haben. Für uns war das deshalb eine Spur weniger emotional. Bei der Heimfahrt im Bus war ich sogar richtig angefressen. Nach dem Bankett bin ich direkt aufs Zimmer gegangen. Ich weiß bis heute nicht, was die anderen noch gemacht haben. Im Nachhinein überwiegt aber die Freude über den Titelgewinn.

Die wohl berühmteste Szene Ihrer Zeit beim FC Bayern war, als Sie Ihr Kollege Oliver Kahn während eines Bundesligaspiels beim VfB Stuttgart auf dem Platz gepackt hat.

Herzog: Diese Aktion und der Umgang des Klubs damit haben für mich vom Kopf her das Ende bei Bayern bedeutet. Ich habe danach keine Unterstützung von den Verantwortlichen bekommen, stattdessen bin ich sogar geschimpft worden. Da habe ich gedacht: "Na servus, hier habe ich nichts mehr verloren."

Wie sind die Verantwortlichen mit dem Vorfall umgegangen?

Herzog: In der Pause des Spiels kamen Rummenigge und Hoeneß in die Kabine. Das haben sie nur gemacht, wenn es wichtig war. Ich bin zu Oliver gegangen und habe gesagt: "Wenn du mich noch einmal deppert anschaust, haue ich zurück." Daraufhin meinten Rummenigge und Hoeneß, dass mir schon lange eine aufs Maul gehört und ich leise sein soll. Dann hat mich Otto Rehhagel ausgewechselt.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Herzog: Ich war am Boden zerstört, dass ich nicht die Rückendeckung bekam, die ich gebraucht hätte. Ich habe daraus gelernt, dass man mit Gutmütigkeit nicht immer weiterkommt, sondern auch mal zurückschlagen muss.

Haben Sie sich mit Kahn später ausgesprochen?

Herzog: Ja. Am Ende war er sogar der Einzige, der mich von einem Verbleib überzeugen wollte. Er meinte, dass das erste Jahr bei Bayern wegen der Medien und des Erfolgsdrucks für jeden schwer sei und das zweite einfacher werden wird. Ich wollte aber nur mehr weg.

Kahn ist mittlerweile Vorstandsvorsitzender des FC Bayern. Hätten Sie ihm diese Rolle damals zugetraut?

Herzog: Ich habe ihn damals schon für einen intelligenten Menschen gehalten. Er hat über den Tellerrand geblickt und wollte sich in allen Bereichen weiterentwickeln. Aber ich hätte nie gedacht, dass er Vorstandschef bei Bayern werden könnte.