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Thesen zum EM-Finaleinzug Italiens nach Elfmeterschießen gegen Spanien: Azzurri müssen leiden, um zu triumphieren

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© getty

Italien steht nach dem 5:3 i. E. gegen Spanien im Finale der Europameisterschaft. Spanien dominierte zwar Spiel und Gegner, doch nach einer Szene vor Beginn des Elfmeterschießens war klar, wer der Sieger sein würde. Die Thesen zum Spiel.

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Azzurri müssen leiden, um zu triumphieren

"Italien wollte in der Verlängerung nur ins Elfmeterschießen, wir wollten noch 30 Minuten weiterspielen. Ich denke, das hat man gesehen", sagte Spaniens Trainer Luis Enrique bei der Pressekonferenz nach dem Halbfinale. Treffende Analyse, jedoch fehlte da noch das Warum. Denn: Die Azzurri wollten ins Elfmeterschießen, weil sie wussten, dass sie das gewinnen würden.

Das dürfte auch den Spaniern geschwant haben, als Giorgio Chiellini sich bei der der Seitenwahl mit kindlicher Freude empörte, weil Spaniens Kapitän Jordi Alba fälschlicherweise annahm, er hätte die Seitenwahl gewonnen. Chiellini verpasste Jordi Alba einen freundschaftlichen sanften Hieb, was sogar das Schiedsrichtergespann um Felix Brych zum Lachen brachte. Jordi Alba fands nicht ganz so entspannt. Chiellini gewann dann auch noch die zweite Wahl und stellte sich gut gelaunt zu den Seinen. Von denen dürften nur wenige die Szene mitbekommen haben, es wäre also überhöht zu sagen, Italien hätte in diesen Momenten der Albernheit das Elfmeterschießen gewonnen. Aber die Szenen sagten viel aus über den geitigen Zustand der Azzurri. Elfmeterschießen haben schon auch was mit Glück zu tun, wie Experte und Elfmeterschießenveteran Bastian Schweinsteiger in der ARD gewohnt scharf analysierte, aber Elfmeterschießen gewinnt man eben schon auch und vor allem im Kopf.

Selbst als Unai Simon Italiens ersten Elfmeter von Manuel Locatelli hielt, "sind wir alle ruhig geblieben. Wir wussten, dass wir es schaffen können", sagte Federico Chiesa, der nach einer Stunde zum 1:0 schlenzte und langsam zum italienischen Wembley-Schützen vom Dienst wird; schon gegen Österreich im Achtelfinale hatte Chiesa in der Verlängerung das 1:0 erzielt.

Das schier unerschöpfliche Selbstvertrauen dieser Azzurri hat viel mit jenem Achtelfinale zu tun. Nachdem Italien durch die Vorrunde geflogen war und nach einer sehr guten Halbzeit gegen Österreich waren die Azzurri in der zweiten Halbzeit plötzlich regelrecht implodiert. Die Mannschaft reagierte auf jeden österreichischen Ballgewinn noch hysterischer, plötzlich schien sie das Vertrauen in ihre Stärke - und in das System von Trainer Roberto Mancini - verloren zu haben. Vor der Verlängerung weckte Mancini die Spieler wieder auf. Andere Teams wären an so einem Rückschlag zerbrochen, die Azzurri wuchsen daran.

Auch der Schock nach dem Achillessehnenriss von Lorenzo Spinazzola, bis dahin der beste Außenverteidiger des Turniers, scheint bei den Azzurri eher noch mehr Motivation und noch mehr Kräfte freigesetzt zu haben.

Als Mancini nach dem Elfmeterschießen-Thriller gegen Spanien sagte, "wir wussten, dass wir heute leiden mussten" und Abwehrkante Leonardo Bonucci zugab, "Spanien hat uns heute dominiert, uns hat noch nie eine Mannschaft so in Schwierigkeiten gebracht", klang bei beiden im Subtext ein "na, und?" mit.

Vielleicht auch ein "endlich." Denn es ist ja so: Die Azzurri haben schon immer das große Drama gebraucht, um erfolgreich zu sein. Frag nach bei Zinedine Zidane.

Diese Klasse von 2021 mag sich wegen ihrer Art, Fußball zu spielen, zum EM-Favoriten aufgeschwungen haben, doch den Titel gewinnen wird sie am Ende eben auch, weil sie ihre eigene Hysterie überwunden hat, den Verlust ihres besten Spielers verdaute und gegen Spanien leiden (und zwischendurch gegen Belgien noch ein bisschen schauspielern) musste. Diese Azzurri vermitteln ein Gefühl der Unerschütterlichkeit, spätestens jetzt haut sie nichts und niemand mehr um.