EM

Drei Thesen zur DFB-Pleite gegen Frankreich: Löw hält zu lang an Plan A fest

Serge Gnabry wirkte als deutsche Spitze überfordert.
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Eine abgezockte, spielerisch aber gewiss nicht weltmeisterliche Leistung reichte den Franzosen gegen eine offensiv harmlose deutsche Mannschaft zum 1:0-Erfolg. Joachim Löw muss sich Kritik an so mancher Entscheidung gefallen lassen - auch wenn sein Plan mit Joshua Kimmich als Rechtsverteidiger nicht als gescheitert verstanden werden sollte. Drei Thesen zum verpatzten EM-Start des DFB-Teams.

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1. Der Kimmich-Plan ist nicht gescheitert

Kimmich agierte im Löw'schen 3-4-3 wie erwartet als rechter offensiver Verteidiger. Dadurch ging dem DFB-Team im Zentrum eine gute Portion Aggressivität und Laufbereitschaft abhanden. Toni Kroos und Ilkay Gündogan legten für ihre Verhältnisse jedoch ein sehr ordentliches Zweikampfverhalten an den Tag, trotz einiger und in Anbetracht der Qualität des Gegners nicht zu verhindernder Umschaltaktionen über Kylian Mbappe und Co. stimmte dank guter Mitarbeit von Matthias Ginter, Mats Hummels und Co. auch die Konterabsicherung über weite Strecken.

Der Beleg dafür: Bis auf die beiden nicht in den Statistiken aufgeführten Abseitstreffer gaben die spielerisch teils unter ihren Möglichkeiten agierenden Franzosen seit dem 1:0 in der 20. Minute keinen Schuss mehr auf das Tor von Manuel Neuer ab.

Allein deshalb war der generelle Plan mit der Dreierkette und Kimmich auf der rechten Seite kein Reinfall. Man darf zudem nicht vergessen, dass Kimmich wegen seiner frühen Gelben Karte in der 7. Minute praktisch zu keiner Phase des Spiels all-in bei Zweikämpfen gehen konnte und er mit Lucas Hernandez einen überaus unangenehmen Gegenspieler hatte, der ihn permanent beackerte. Dafür machte der Bayern-Star seine Sache gut, intensivierte speziell in der zweiten Halbzeit sein Offensivspiel. Seine Bilanz: Sieben Flanken (Bestwert aufseiten der Deutschen) und 90 Ballaktionen (die zweitmeisten nach Kroos/127).

Ihn am Samstag gegen Portugal (18 Uhr, im LIVETICKER) zurück ins Mittelfeld zu beordern, würde keinen Sinn ergeben. Mit Leon Goretzka dürfte Löw ohnehin wieder mehr Physis ins Zentrum bekommen, und ohne Ridle Baku im Kader gibt es eben keine bessere Option für die Rolle des offensiven Rechtsverteidigers als Kimmich.

Joshua Kimmich wurde gegen Frankreich in der zweiten Halbzeit aktiver in der Offensive.
© getty
Joshua Kimmich wurde gegen Frankreich in der zweiten Halbzeit aktiver in der Offensive.

2. Die DFB-Offensive braucht einen Zielspieler

"Die Mannschaft hat Biss gezeigt", befand Löw nach dem Abpfiff, "kämpferisch und läuferisch war das sehr gut." Allerdings erkannte der Bundestrainer auch, was seinem Team am Dienstagabend fehlte: "Im Spiel nach vorne hatten wir zu wenig Durchschlagskraft."

Frankreich ist eben nicht Lettland - und Serge Gnabry offensichtlich nicht die beste Waffe für die Rolle des Stoßstürmers, wenn es gegen Kante, also N'Golo Kante, und so manch andere Kante wie Presnel Kimpembe und Raphael Varane geht. Der beim FC Bayern eigentlich auf dem rechten Flügel agierende Angreifer hing in der Luft, näherte sich bis auf einen Volleyschuss in der 54. Minute dem Gehäuse von Hugo Lloris kaum.

Stattdessen ließ er sich oft zurückfallen - und stand sich dabei einige Male seinen beiden Offensivpartnern Kai Havertz und Thomas Müller auf den Füßen. "Wenn wir uns etwas ankreiden müssen, dann unsere Chancenerarbeitung", sagte Gündogan. "Bis auf den Volley von Serge kam da zu wenig."

Trotz knapp zwei Wochen Vorbereitung wirkte das deutsche Offensivspiel sehr unkoordiniert und planlos. Es fehlte ein Zielspieler mit der Fähigkeit, den Ball auch mal festzumachen, ihn klug zu verteilen und Räume zu schaffen - ähnlich wie Karim Benzema aufseiten der Franzosen. Löw sollte sein "Der-Serge-spielt-bei-mir-immer"-Kredo vor dem Duell mit Portugal noch einmal überdenken - oder Gnabry als Bayern-Gnabry spielen lassen.

3. Löws Wechsel müssen früher kommen

Noch blasser als Gnabry beim EM-Start: Havertz. Der Champions-League-Held des FC Chelsea gewann lediglich zehn Prozent der zehn Zweikämpfe, die er bestritt, suchte im letzten Drittel kaum Eins-gegen-Eins-Situationen.

Löw hätte hier schon zur Pause reagieren und frische Kräfte bringen müssen. Timo Werner und Leroy Sane kamen aber erst nach 74 Minuten für Gnabry und Havertz. Zu spät, um ins Spiel zu finden - und eine Schlussoffensive einzuläuten.

Kevin Volland, der einzige echte Mittelstürmer im Kader, betrat sogar erst in der 87. Minute das Feld - und agierte in Abwesenheit des ausgewechselten Robin Gosens bis zum Abpfiff sogar mehr als Linksverteidiger statt als Neuner.

Kevin Vollands Bewegungsradius im Spiel gegen Frankreich
© opta
Kevin Vollands Bewegungsradius im Spiel gegen Frankreich

Löw muss sich mehr zutrauen, wenn sein Plan A scheitert. Warten und hoffen, etwas nicht Funktionierendes werde im Laufe des Spiels schon noch funktionieren, war bereits 2018 in Russland ein Problem des Bundestrainers, als er den damals immer wieder für gute Impulse sorgenden Julian Brandt meist erst kurz vor Schluss für fünf bis zehn Minuten einwechselte.

Es ist ja nicht so, dass Löw keine Optionen hat. Neben Sane, Werner und Volland steht ihm auch noch Jamal Musiala als interessante Alternative zur Verfügung. Ein Spieler, der erst 18, mit seinen schnellen Bewegungen aber prädestiniert dafür ist, im letzten Drittel für Kreativität und positives Chaos zu sorgen. Gegen Frankreich ließ Löw Musiala aber auf der Tribüne - und berief stattdessen neben Gosens lieber noch zwei weitere Linksverteidiger (Christian Günter, Marcel Halstenberg) in seinen Spieltagskader.

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