Richtig, Herr Gündogan, möchte und müsste man auf die rhetorische Frage antworten, die der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft nach dem unterirdischen 0:2 gegen Österreich im Interview beim ZDF stellte: "Schlechter kann's gerade nicht sein, ne?", sagte Gündogan. Er war nicht der einzige Protagonist beim DFB, aus dem die pure Ratlosigkeit sprach.
Deutschland kassierte in Wien die sechste Niederlage im Jahr 2023. So viele gab es zuvor nur 2018, damals jedoch in 13 statt elf Partien. Der durch die Bank katastrophale Auftritt im Nachbarland war ein einziger Offenbarungseid. Die gesamte Gemengelage rund um das DFB-Team ist ein halbes Jahr vor der Heim-EM der Super-GAU für den Verband.
In sechs Monaten und 23 Tagen beginnt die Europameisterschaft. Die erhoffte Aufbruchstimmung, so viel ist schon längst und allerspätestens seit dem Dienstagabend sicher, wird es nicht geben. Auch der Trainerwechsel zu Julian Nagelsmann, der mit einem Sieg in vier Spielen den schlechtesten Start eines Bundestrainers seit Erich Ribbeck vor 24 Jahren hinlegte, ist bereits so gut wie verpufft.
Denn dass Deutschland in den noch vier ausstehenden Begegnungen vor EM-Start sportlich ein gänzlich gegenteiliges Gesicht zeigen oder gar glänzen wird, ist höchst unwahrscheinlich - und war es bereits vor dem Spiel in der österreichischen Hauptstadt. Das vielsagende Interview eines desillusionierten Nagelsmann nach der Partie sprach Bände.
DFB-Trainer Julian Nagelsmann malte ein Bild des Schreckens
Der Coach hatte schon vor Anpfiff klar gemacht, dass seine Mannschaft unter "Ergebnisdruck und Art-und-Weise-Druck" stehe in diesem atmosphärisch sehr wichtigen Spiel zum Jahresabschluss. Die Stimmungslage war ja ohnehin bereits stark negativ beeinflusst, wogegen sich der Bundestrainer nach der Pleite gegen die Türkei noch wehrte.
Nun malte er mit seinen eigenen Aussagen selbst ein Bild des Schreckens, als er über seinen Kader sprach. Man sei auf dem Feld keine Einheit, müsse aufgrund der eklatanten Defensivschwächen "die Zeit des Verteidigens minimieren" und habe "unfassbar viel Arbeit auf allen Positionen". Seinem Team fehle das Selbstvertrauen, "es wird nichts leicht von der Hand gehen", sagte Nagelsmann.
Er forderte zudem auch, eine Akzeptanz für die sportlich schwierige Situation zu entwickeln und somit zu kapieren, dass man aktuell eben nicht gut genug ist, um Länder wie Österreich, die Ukraine, die Türkei oder Japan zu besiegen. Nagelsmanns Worte klangen verzweifelt, aber zugleich ehrlich. Denn sie beschrieben das, was auf dem Spielfeld zu sehen war.
DFB: Bei Deutschland steht keine Mannschaft auf dem Platz
Deutschlands Eliteelf gehen die einfachsten Dinge ab, die im Kontext des Fußballs zuletzt immer wieder "Basics" genannt wurden. Es fehlt dem Team an gegenseitiger Unterstützung, stattdessen kommt es wie eine leidenschaftslose Ansammlung an Einzelkämpfern daher. Bei Österreich stand eine eingespielte, emotionale und miteinander arbeitende Mannschaft mit einer klaren Spielphilosophie auf dem Platz, bei den Deutschen nicht.
Nagelsmanns Truppe spielte zu langsam, ohne Dynamik. Man fand fast keine Lösungen mit dem Ball und machte einfachste Fehler im Aufbauspiel. Zu keinem Zeitpunkt hatte die Mannschaft die Kontrolle erlangt, gegen den Ball fehlte ohnehin jede Ordnung. Die dämliche Rote Karte für Leroy Sané war die Krönung einer erschütternden Vorstellung.
Nun stehen vier Monate ohne Länderspiele und somit ohne Chance zur Wiedergutmachung an. Blickt man auf Körpersprache und Ausstrahlung der Nationalspieler, scheint ihnen das gar nicht so Unrecht zu sein. Eine Lust oder gar Gier, sich im Nationaltrikot für sein Heimatland zu präsentieren, war zuletzt nicht zu sehen.
Gelingt Nagelsmann der Transfer des guten Mannschaftsbildes?
Nagelsmann äußerte auch, dass er beim DFB mit vielen Spielern arbeite, die bei Mannschaften mit einem für gewöhnlich hohen Ballbesitzanteil spielen und somit nicht so viel gegen den Ball arbeiten müssen. Ist er konsequent, müsste er also künftig entweder den Spielstil verändern oder ein paar Spieler austauschen.
Es sieht nach Letzterem aus und wäre womöglich ein erster Schritt: "Wenn man die ganzen Talente sieht, die wir haben, die ganzen Zauberer - die wuppen es normal, wenn es nicht schon seit Jahren so läuft, wie es läuft. Vielleicht müssen wir auf zwei Prozentpunkte Talent verzichten und zwei mehr 'Worker' hineinwerfen", sagte er.
Viel wichtiger ist aber "der Transfer des guten Mannschaftsbildes, das wir außerhalb haben", wie Nagelsmann betonte, auf das Feld. Nur wenn sich das DFB-Team als Gemeinschaft zeigt, gegenseitig emotionalisiert und füreinander kämpft, hat es die Chance, die verloren gegangene Akzeptanz beim Publikum zurückzugewinnen. Ob selbst dann die Qualität des Kaders ausreicht, um Spiele zu gewinnen und die Wende herbeizuführen, ist nach der Bankrotterklärung von Wien allerdings fraglicher denn je.
DFB-Team: Die Länderspiele von Deutschland im Jahr 2023
Datum | Heim | Gast | Ergebnis |
25.3.2023 | Deutschland | Peru | 2:0 |
28.3.2023 | Deutschland | Belgien | 2:3 |
12.6.2023 | Deutschland | Ukraine | 3:3 |
16.6.2023 | Polen | Deutschland | 1:0 |
20.6.2023 | Deutschland | Kolumbien | 0:2 |
9.9.2023 | Deutschland | Japan | 1:4 |
12.9.2023 | Deutschland | Frankreich | 2:1 |
14.10.2023 | USA | Deutschland | 1:3 |
18.10.2023 | Mexiko | Deutschland | 2:2 |
18.11.2023 | Deutschland | Türkei | 2:3 |
21.11.2023 | Österreich | Deutschland | 2:0 |